Trifft Grüne im Wahlkampf: Mögliche Intrige gegen Gelbhaar wirft neue Fragen auf | ABC-Z
Trifft Grüne im Wahlkampf
Mögliche Intrige gegen Gelbhaar wirft neue Fragen auf
19.01.2025, 08:44 Uhr
Im Fall Gelbhaar kommen immer mehr Fragen auf. Der Grünen-Politiker selbst sieht sich als Opfer einer Diffamierungskampagne. Die Ombudsstelle der Partei hält sich immer noch bedeckt und Parteikollege Audretsch erklärt, nichts mit der mutmaßlichen Intrige zu tun zu haben. Das alles wirft kein gutes Licht auf die Partei, die mitten im Wahlkampf steht.
Fünf Wochen vor der Bundestagswahl droht eine mögliche Intrige aus den eigenen Reihen den Wahlkampf der Grünen zu überschatten. Recherchen des ARD-Rundfunksenders Berlin-Brandenburg (RBB) legen nahe, dass eine Grünen-Bezirkspolitikerin unter falscher Identität Belästigungsvorwürfe gegen den Berliner Grünen-Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar erhob – was die vorherige RBB-Berichterstattung über die Vorwürfe zum Teil entkräftet. Zuvor hatte der „Tagesspiegel“ über diese jüngste Entwicklung berichtet. Gelbhaar selbst hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen.
Die Grünen-Bundeschefs Franziska Brantner und Felix Banaszak drohten mit einem Parteiausschlussverfahren, sollte sich der Verdacht einer parteiinternen Intrige gegen Gelbhaar bestätigen. „Der Verdacht, dass gegenüber der Presse eine falsche Erklärung gegen ein anderes Parteimitglied mit schweren Vorwürfen erhoben wurde, ist gravierend“, erklärten sie auf Anfrage von ntv/RTL. „Wer in einem solchen Verfahren falsche Aussagen an Eides statt tätigt, begeht im Zweifelsfall nicht nur eine Straftat, sondern fügt der gemeldeten Person, der Partei, aber auch den auf Vertrauen aufbauenden Strukturen und den anderen meldenden Personen erheblichen Schaden zu“, so die Vorsitzenden. Bis zur Entscheidung des Parteischiedsgerichts werde die Person „von der Ausübung aller Mitgliedschaftsrechte ausgeschlossen“, hieß es dazu weiter.
Zweifel an Identität von Hauptzeugin
Die Vorwürfe gegen Gelbhaar waren im Dezember erhoben worden. Mehrere Frauen hatten dem Rundfunk Berlin-Brandenburg nach Angaben des Senders zum Teil anonym, zum Teil eidesstattlich versichert, von Gelbhaar belästigt worden zu sein. Gelbhaar wies alle Anschuldigungen stets zurück. Er verzichtete gleichwohl auf eine Kandidatur für die Landesliste.
Am Freitag zog der RBB dann Teile seiner Berichterstattung zu dem Fall zurück. Der öffentlich-rechtliche ARD-Sender berichtete auf seiner Webseite, an der Identität einer Person, die solche Vorwürfe erhoben hatte, seien Zweifel aufgetaucht. Mittlerweile stehe fest, dass sie nicht diejenige gewesen sei, für die sie sich ausgegeben habe, so der RBB. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit existiert diese Frau gar nicht.“
Weitere Recherchen hätten zu einer Grünen-Bezirkspolitikerin geführt, bei der für den Sender feststehe, dass sie sich als die betroffene Person ausgegeben und unter falschem Namen eine eidesstattliche Versicherung abgegeben habe. RBB-Redakteur Thorsten Gabriel sagte in der „Abendschau“, der Sender habe Strafanzeige erstattet. Mit den Entwicklungen zur Hauptzeugin seien die Vorwürfe gegen Gelbhaar zwar nicht komplett vom Tisch, erklärte Gabriel. „Aber mindestens ein wesentlicher Vorwurf, über den wir berichtet hatten, schon.“ Es habe aber noch „weitere Schilderungen“ gegeben, über die der Sender berichtet habe. „Da sind die Identitäten nicht in Zweifel zu ziehen“, versicherte der Redakteur. Auf welche Anschuldigungen er sich konkret bezieht, blieb offen.
Gelbhaar ist kein Kandidat für den Bundestag mehr
Gelbhaar selbst sieht sich als Opfer eine Diffamierungskampagne. In einem am 9. Januar erschienenen Interview mit dem „Business Insider“ betonte der Grünen-Verkehrspolitiker, niemals jemanden absichtlich belästigt zu haben. Gegen ihn lägen auch keine Strafanzeigen vor. „Nein, im Gegenteil. Ich habe Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Verleumdung gestellt“, sagte Gelbhaar.
Der politische Schaden für ihn ist groß. Gelbhaar war Mitte November mit 98,4 Prozent der Stimmen zum Direktkandidaten zur Bundestagswahl für Berlin-Pankow gewählt worden. Mitte Dezember zog er seine Kandidatur für einen Platz auf der Landesliste der Berliner Grünen kurzfristig zurück. An Silvester erklärte er auf seiner Website in einer ausführlichen Stellungnahme, die Belästigungsvorwürfe seien gelogen. Bei dem Vorgang müsse es sich „um eine in Teilen geplante Aktion“ handeln, mit dem Ziel, ihn massiv zu diskreditieren. Bei einer erneuten vom Kreisverband Pankow angesetzten Abstimmung wurde die Landesabgeordnete Julia Schneider zur Direktkandidatin gewählt. An Schneider als Direktkandidatin halte der Verband fest, hieß es am Samstag.
Union wittert Verantwortung auf höherer Ebene
Die Union übte scharfe Kritik an dem Vorgang und forderte Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck und seinen Wahlkampfmanager, den Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch, auf, die Sache aufzuklären. „Die Grünen müssen jetzt für Transparenz und Aufklärung sorgen: Wie tief ist Andreas Audretsch in den Fall verstrickt – und was wusste Robert Habeck?“, sagte die stellvertretende CDU-Generalsekretärin Christina Stumpp der dpa. Sie sprach von einem „brutalen Hauen und Stechen in Habecks direktem Umfeld“.
Audretsch und Gelbhaar wollten ursprünglich beide für Platz zwei auf der Landesliste kandidieren. Nachdem Gelbhaar vor dem Hintergrund der Vorwürfe seine Kandidatur kurz vor dem Landesparteitag zurückzog, wurde Audretsch gewählt. Der Listenplatz zwei gilt als so gut wie sicher, um in den Bundestag einziehen zu können. Wenn Gelbhaar nicht zurückgezogen hätte, wäre es zu einer Kampfabstimmung zwischen beiden gekommen.
Audretsch erklärte am Samstag, nichts mit der mutmaßlichen Intrige zu tun zu haben. „Ich weiß nicht, welche Frauen Vorwürfe erhoben haben und habe mit dem gesamten Vorgang nichts zu tun“, schrieb Audretsch auf dpa-Anfrage. „Ich habe zu keinem Zeitpunkt Einfluss genommen auf die Entscheidungen von Stefan Gelbhaar, des Kreisverbandes Pankow oder politischer Entscheidungsträger“, versicherte der Grünen-Wahlkampfmanager. Jeder Versuch, ihn damit in Verbindung zu bringen, sei „unzulässig und unredlich“, erklärte Audretsch.
Aufklärung durch Ombudsstelle wirft Fragen auf
Schon seit Wochen beschäftigt sich eine Ombudsstelle der Grünen mit den Vorwürfen gegen Gelbhaar. Ergebnisse sind bislang nicht bekannt. Gelbhaar selbst sagte im Interview mit dem „Business Insider“, dass er von der Ombudsstelle am 13. Dezember über „Meldungen“ über ihn informiert worden sei. Die Beschreibungen seien aber „sehr vage“ geblieben.
Offen blieb bislang auch, für wie glaubwürdig die Ombudsstelle die Meldungen gegen Gelbhaar hält – ob sie sich mit den gegenüber dem RBB geäußerten Anschuldigungen decken und ob die vom RBB genannte Bezirkspolitikerin auch dort den Kontakt gesucht hatte. Eine dpa-Anfrage an die Ombudsstelle blieb bis zum Samstagnachmittag unbeantwortet.