Trennung nach 20 Jahren: Ilona (37) hatte sich selbst verloren | ABC-Z
FOCUS online: Die Zahl der Deutschen, die sich nach jahrzehntelanger Beziehung trennen, steigt. Was früher oft allein aus finanziellen Gründen schwierig war, wagen heute immer mehr Menschen. Warum haben Sie nach 20 Beziehungsjahren entschieden, nochmal neu anzufangen?
Ilona Bengesser: Es gab von meiner Seite aus einen einseitigen Kinderwunsch. So könnte man es stark vereinfacht ausdrücken. Zu Beginn der Beziehung war eigentlich für uns beide klar, dass wir Kinder wollten. Doch für meinen Partner kam nie der richtige Zeitpunkt. Als ich dann Anfang 30 war, wollte ich nicht mehr warten, das Thema wurde zur Dauerbelastung – durch die wir uns dann generell voneinander entfernten. Über die Jahre zeigte sich immer mehr, dass unsere Vorstellungen, wie wir leben wollen und was uns wichtig ist, auseinander drifteten. Wir waren ja auch unfassbar jung, als wir zusammenkamen – ich war 17, er 18.
Wann wussten Sie, dass sich diese divergierenden Lebensvisionen nicht mehr zusammenbringen lassen?
Bengesser: Gezweifelt habe ich schon lange. Drei Jahre vor der letztendlichen Trennung hatte ich mich schon einmal für kurze Zeit getrennt, weil ich keine gemeinsame Perspektive mehr sah. Als mein Partner dann aber einer Paartherapie zustimmte, bekam ich wieder Hoffnung, dass wir es vielleicht doch hinbekommen könnten. Man hat nach so vielen Jahren schließlich auch viel miteinander erlebt, auch in schwierigen Zeiten zueinander gehalten, das schweißt zusammen.
Viele Paare scheuen den Schritt zur Paartherapie. Wie hat die Unterstützung von außen die Dynamik Ihrer Beziehung beeinflusst?
Bengesser: Die Paartherapie war für uns total bereichernd! Wir lernten, besser miteinander zu kommunizieren, über unsere Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen. In den drei Jahren danach waren wir uns so nah wie in den 17 Jahren davor noch nie. Anfangs hatte ich sogar das Gefühl, mich neu in meinen Partner zu verlieben. Das war aufregend und richtig schön!
Doch irgendwann verschwand diese Euphorie wieder und ich merkte, dass wir so viel reden können wie wir wollen, es würde nichts an unseren unterschiedlichen Lebensvorstellungen ändern. Ich spürte immer mehr, dass es einfach nicht mehr passte zwischen uns. Uns verband nichts mehr.
Gab es einen Schlüsselmoment, in dem Ihnen das klar wurde oder kam das schleichend?
Bengesser: Ja, zwei Wochen vor der Trennung hatte ich nach einem wieder mal frustrierenden Gespräch sowas wie einen Aha-Moment. Daran erinnere ich mich noch gut, da ich gefühlt nach Jahren, in denen ich immer alles mit dem Kopf regeln wollte und rational nach Lösungen gesucht habe, zum ersten Mal ein ganz klares Bauchgefühl hatte, das mir sagte: Hier stimmt etwas fundamental nicht mehr und das lässt sich auch nicht mehr reparieren. Diese Klarheit hatte ich davor nie.
Woher kam die Klarheit auf einmal?
Bengesser: In den Monaten zuvor hatte ich eine Ausbildung zur systematischen Beraterin gemacht. In dieser Weiterbildung setzte ich mich viel mit inneren Prozessen auseinander, viele Themen kamen hoch und ich begann, wieder eine bessere Verbindung zu mir selbst aufzubauen. Mir wurde klar: Ich hatte mich selbst verloren und lebte nur noch für diese Beziehung, die mir jegliche Energie raubte. Ich wollte, dass es endlich gut wird. Deshalb hielt ich auch so lange an der Beziehung fest, obwohl sie mir schon lange nicht mehr das geben konnte, was ich wollte. Je mehr Raum ich dieser Gefühlsebene gab, desto stärker wurde mein Bauchgefühl. Das war ausschlaggebend, dass ich mich nach so vielen Jahren trennen konnte.
In vielen Beziehungen sind es die Frauen, die sich trennen. Wollte Ihr Partner es weiter versuchen?
Bengesser: Ich denke, er hat auch gespürt, dass unser gemeinsamer Weg trotz aller Anstrengungen auf beiden Seiten vorbei ist. Allerdings war er noch nicht soweit, die Beziehung von sich aus zu beenden. Als ich in der Küche stand und zu ihm sagte, dass es so nicht weitergeht, hat er nur Ja gesagt. Da war mir klar, dass es dieses Mal endgültig ist. Bei meinem Trennungsversuch drei Jahre vorher war das noch anders gewesen, da hatte er noch um uns gekämpft. Er ist dann auch sehr schnell ausgezogen.
Sie blieben in der gemeinsamen Wohnung, weil Sie in Ihrem Elternhaus lebten.
Bengesser: Genau. Ehrlicherweise hatte ich an dem Tag, als mir klar wurde, dass es auf eine Trennung hinausläuft, schon begonnen nach einer Wohnung für ihn zu gucken. Sein Auszug war wahnsinnig schmerzhaft, aber ich habe es nicht mehr ertragen, dass er in meiner Nähe ist. Ich habe mich ja nicht nur von ihm als Person getrennt. Nach 20 gemeinsamen Jahren, in denen wir so viel erlebt haben, für das ich so dankbar bin, war das auch eine Trennung von einem Lebenstraum. Deswegen hatten wir anfangs auch den Wunsch, wenigstens freundschaftlich verbunden zu bleiben.
Und hat’s funktioniert mit dem Freunde bleiben?
Bengesser: Jedenfalls haben wir heute, zwei Jahre nach der Trennung, keinen Kontakt mehr. Ich habe gemerkt, dass mir das nicht gut tut.
Haben Sie die Trennung je bereut?
Bengesser: Nein, nie. Mir geht es gut. Durch die Trennung ist in meinem Leben viel durcheinander geraten, es war eine extrem schwere Phase. Aber unter dem Strich geht es mir heute besser als je zuvor, weil ich viel mehr in Verbindung mit mir selbst bin. Ich bin sicher noch nicht so weit, dass ich sagen würde, dass ich die Trennung komplett verarbeitet hätte. Es gibt immer noch Phasen, in denen ich an meinen Ex-Partner denke, doch die werden weniger – inzwischen natürlich auch dank meines neuen Partners. Mit ihm darf ich vieles, das ich in meiner alten Beziehung über Jahre vermisst habe, erleben. Dafür bin ich sehr dankbar.
Was hat Ihnen nach der Trennung am meisten geholfen, dass Sie heute so positiv auf Ihre Entscheidung und die Neuordnung Ihres Leben gucken können?
Bengesser: Am meisten geholfen hat mir die pure Akzeptanz aller Gefühle, die nun mal da waren. Außerdem habe ich nach der Trennung aufgehört, alles mit mir selbst auszumachen. Ich habe viel und offen mit Freunden und Familie gesprochen. Wenn mir nach Weinen war, habe ich geweint und keine falsche Fassade aufrechterhalten – egal, ob wir gerade zuhause oder im Restaurant saßen. Zu spüren, dass man ein soziales Netz hat, das einen fängt, wenn man fällt, empfand ich ebenfalls als sehr tröstlich.
Durch die Trennung war plötzlich auch wieder mehr Platz für Dinge, die mir Spaß machen wie zum Beispiel das Malen. Endlich hatte ich dafür wieder Energie! Generell hat mir meine Kreativität beim Weitermachen geholfen, deswegen habe ich all den Schmerz auch in einen Podcast gepackt.
Was raten Sie Menschen, die an ihrer Langzeitbeziehung zweifeln?
Bengesser: Ich glaube, da gibt es keine eindeutige Empfehlung. Wenn man jedoch nur noch aus Gewohnheit oder Angst, allein zu sein, zusammen ist, darf man hinterfragen, ob man die Beziehung fortführen möchte. Wenn man sich traut zu springen, kann das sehr wehtun, aber sich auch sehr lohnen.