Treibt Deutschland Europas Strompreise hoch? | ABC-Z
Der Winter in Europa wirkt sich auf die Produktion erneuerbarer Energien und auf Strompreise ganz allgemein aus. Da Stromkonzerne bisher keine größeren Mengen an Elektrizität speichern können, muss die Energie verbraucht werden, wenn sie generiert wird. In der Vergangenheit wurde der europäische Strommarkt durch fossile Energiequellen und Atomkraft stabilisiert.
Wenn Erneuerbare in das System eingeführt werden, wird es anfälliger für Störungen. Je größer der prozentuale Anteil der erneuerbaren Energie, desto größer die Abhängigkeit von einer launischen Sonne und unbeständigen Winden. Ohne Sonne bleiben die Solarpaneele im Dunkeln. Wenn der Wind nicht weht, drehen sich Turbinen nicht. Das passiert in Europa vor allem im Winter, in einer Jahreszeit, in der mehr Energie zum Heizen gebraucht wird.
Dieser Zeitraum, wenn wenig oder gar keine Energie produziert werden kann, weil Wind und Sonnenlicht begrenzt sind, wird auch Dunkelflaute genannt. Mit weniger erneuerbarer Leistung müssen andere Elektrizitätsquellen angezapft werden, und das kann zu kurzzeitigen Preisspitzen führen. Manchmal bedeutet das, Strom importieren zu müssen.
Zuletzt beeinflusste eine Dunkelflaute die Preise stark. Aber auf den Jahresdurchschnitt wirke sich das kaum aus, sagt der Ökonom Mathias Mier vom ifo-Zentrum für Energie, Klima und Ressourcen in München. Die Folgen könnten in Zukunft zwar größer sein, aber es sei die Aufgabe von Regierungen und Märkten, das System so zu steuern, dass sich Dunkelflauten möglichst wenig auswirkten, so Mier gegenüber der DW.
Die meisten Verbraucher in Deutschland haben langfristige Vertragsbindungen mit Preisgarantie. Preisempfindlicher sind industrielle Produktionsstätten, die wechselnde Tagestarife für Elektrizität zahlen. Generell werden die Strompreise bestimmt durch die Art der Versorgung, die Kosten für Instandhaltung und Investitionen in das Stromnetz, durch Steuern und die Kosten für saubere und alternative Technologien, wie Conall Heussaff erläutert, der beim Thinktank Bruegel in Brüssel Elektrizitätspreise und den Strommarkt erforscht.
Angebot und Nachfrage sind ebenfalls Faktoren, so Heussaff gegenüber der DW – aber nur kurzfristig. Ein System sauberer Energie wie in der EU führe meistens zu niedrigeren Durchschnittpreisen, mit kurzen Phasen sehr hoher sogenannter Spotpreise auf dem freien Markt.
Dieses Jahr hat Deutschland ein paar kurze Dunkelflauten erlebt. Eine davon hat hohe Wellen geschlagen, als das Land mehr Strom importieren musste als üblich, um die Nachfrage zu decken. Das führte zu einer dieser kurzen Phasen mit steigenden Preisen im In- und Ausland, denn Elektrizität wird dorthin geleitet, wo Nachfrage und Preis am höchsten sind.
Am frühen Morgen des 12. Dezember kostete eine Megawattstunde Elektrizität 107 Euro. Der Preis schoss innerhalb von Stunden auf 936 Euro hoch, so die Daten der Denkfabrik Agora Energiewende. Am nächsten Tag war der Preis wieder auf etwas unter 115 Euro gefallen.
Obwohl sich die Preise schnell normalisierten, kamen die Reaktionen aus Skandinavien prompt. Norwegens Energieminister Terje Aasland überlegte laut, die Stromerzeugungs- und -verbrauchsgemeinschaft mit Dänemark zu kappen. Andere in Norwegen wollten die Verbindungen nach Deutschland und Großbritannien neu verhandeln, schrieb die britische Tageszeitung “Financial Times”. Schwedens Energieministerin Ebba Busch sagte, sie sei für ein neues Unterwasserkabel nach Deutschland nur offen, wenn Deutschland seinen Strommarkt so umgestalte, dass schwedische Verbraucher und ihr Zugang zu preiswerten einheimischen Energien geschützt würden.
Diese Rufe nach mehr Elektrizitätsnationalismus stehen im Konflikt mit dem EU-Ziel eines integrierten Strommarktes. Wenn Länder daheim niedrige Preise garantieren, bevor sie Elektrizität ins Ausland schicken, dann schadet das dem System und Klimaziele werden schwerer erreichbar.
Der europäische Strommarkt sei technisch und organisatorisch sehr eng verbunden, sagt Conall Heussaff, vor allem wenn man bedenke, dass viele unterschiedliche Nationen beteiligt seien. Es ist das zweitgrößte synchronisierte Stromnetz der Welt nach China. Fast jede siebte Stromeinheit werde grenzüberschreitend gehandelt, fügt Mathias Mier hinzu. Auch das belege die enge Verbundenheit des europäischen Elektrizitätsmarktes.
Für die Europäische Kommission hat der Aufbau dieser grenzübergreifenden Energieinfrastruktur Priorität. Sie soll die Abhängigkeit von Importen verringern. Und sie soll den Zugang zu Energie verbessern sowie die Ziele des Europäischen Green Deal erreichen helfen: Bis 2030 sollen 55 Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen werden als 1990 – und Europa soll bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent werden.
Erneuerbare Energien waren 2023 die Hauptquelle für Strom in der EU. Sie machten 44,7 Prozent des Elektrizitätsmixes aus, das waren zwölf Prozent mehr als 2022, so die offizielle EU-Statistikbehörde Eurostat. Atomkraft trug knapp 23 Prozent zur Stromproduktion bei, fossile Brennstoffe 32 Prozent.
Gleichzeitig warnt die EU-Kommission, dass der Stromverbrauch bis 2030 um 60 Prozent zunehmen könnte. Noch besorgniserregender ist, dass 40 Prozent der Verteilernetze mehr als 40 Jahre alt sind. Sie könnten Probleme haben, die stärkere Nachfrage und zusätzliche Produktion etwa durch Photovoltaikanlagen auf Hausdächern zu bewältigen.
Um den Investitionsbedarf zu koordinieren, hat die EU die Transeuropäischen Netze für Energie geschaffen. Sie sollen Planung und Genehmigung von grenzüberschreitender Energieinfrastruktur erleichtern, Elektrizität eingeschlossen.
Fast alles kann verbessert werden – auch eine komplexe Struktur wie die des europäischen Elektrizitätsmarkts. Doch dazu müssen Regierungen dazu bewegt werden, entsprechenden Projekten zuzustimmen, zu investieren und am Ball zu bleiben.
Für Mathias Mier stellt es die größte Herausforderung dar, für standortbezogene Preise zu sorgen, die Angebot und Nachfrage tatsächlich widerspiegeln und gleichzeitig ermöglichen, auf die Nachfrage zu reagieren.
Die Preisentwicklung findet auch Conall Heussaff wichtig. Bisher hätten sich Strompreise in Europa uneinheitlich entwickelt. Einige Regionen hätten Glück: Sie verfügten über erneuerbare Energien wie Wind, Sonne oder Wasserkraft – und damit über einen Preisvorteil. Andere Regionen seien nicht so begünstigt. Aber erschwingliche Energie in ganz Europa sei entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit.
Um Strompreise generell zu senken, macht Heussaff drei Vorschläge: Anreize für mehr Flexibilität bei der Nachfrage, um auf veränderte Bedingungen reagieren zu können. Grenzüberschreitende Investitionen sollten europaweit besser koordiniert werden. Und es sollten mehr technische Verbindungen zwischen den Ländern geschaffen werden, um Energieressourcen verstärkt gemeinsam nutzen zu können.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.
Autor: Timothy Rooks
Von Timothy Rooks