Kultur

Bertolt Brecht : Auf eine Zigarre an Brechts Grab | ABC-Z

Das Grab eines Dichters kann ein großartiger Ort der Inspiration sein. Stellen wir uns die Dichterinnen Emine Sevgi Özdamar (geboren 1946) und Şeyda Kurt (geboren 1992) am Grab von Bertolt Brecht vor. Beide standen da einmal, beide wurden stark von Brechts Werk inspiriert. Özdamar, die spätere Büchnerpreisträgerin, verließ ihre Heimat, die Türkei, aus Liebe zum Werk des Dramatikers. Sie folgte dem Brecht-Regisseur Benno Bresson nach Ost-Berlin, Paris und Avignon. In Özdamars autobiografischem Roman Ein von Schatten begrenzter Raum wird geschildert, wie die Erzählerin einmal zum Brecht-Grab pilgert und dort eine Zigarre findet.

Jahrzehnte später stand Şeyda Kurt an Brechts Grab. Und auch in dieser Anekdote spielt Tabak eine Rolle. Kurt stibitzte nämlich die Zigaretten, die ein Brecht-Jünger als Gabe an den Unsterblichen abgelegt hatte, nur um am nächsten Tag reuevoll mit einer neuen Packung zurückzukehren. Die Beichte kann man in einem Brief nachlesen, den Şeyda Kurt auf Instagram dem toten Dichter schrieb. “Lieber Bert”, so beginnt ihr Brief, “in meinen frühen Zwanzigern litt ich das erste Mal an einem Burn-out.” Daraufhin habe sie sich in ein billiges Hotel eingemietet, mit nichts als einem Brecht-Drama in der Tasche …

Das Schauspielhaus Bochum zeigt unter der Regie von Felicitas Brucker nun Trommeln in der Nacht nach Brecht – mit ergänzenden Texten von Şeyda Kurt. “Weil du kein Händchen für gute Frauenfiguren hast”, so Kurt, hat sie, die Autorin der Bestseller Radikale Zärtlichkeit und Hass, eigene Textpassagen hinzugefügt.

Beide Frauen, Emine Sevgi Özdamar und Şeyda Kurt, führen heute Brechts Werk fort – Özdamar in ihren Arbeiten fürs Theater. Und nun Kurt mit ihren Texten, die sie in Brechts Trommeln in der Nacht einschrieb.

Brechts frühes Stück spielt im Berlin des Jahres 1919, zur Zeit des Spartakusaufstandes. Seit vier Jahren gilt Andreas Kragler (in Bochum dargestellt von Stefan Hunstein) als im Krieg vermisst. Als er wiederkehrt, erfährt er, dass seine Geliebte, Anna (Linde Dercon), sich soeben auf das Drängen ihrer Eltern mit einem anderen verlobt hat und von diesem schwanger ist.

Bei Şeyda Kurt erkämpft sich nun Anna den Raum, der ihr bei Brecht nicht zusteht: “Jetzt rede ich!” Sie hat es satt, dass die Mutter ihre Unterhosen auf Blutflecken untersucht. Dass der Vater im Krieg mit Leichen reich geworden ist. Dass die Eltern sie zur Hochzeit zwingen. Weder will sie das Kind behalten noch für den Staat “gebärtüchtig” sein. Bei Kurt steht Anna am Ende nicht mit Kragler auf der Bühne, sondern mit der Prostituierten Marie. “Ich sehne mich nach Verbundenheit ohne Unterwerfung. Nach Zärtlichkeit ohne Lügen”, sagt Marie. Deutschland rüstet auf, Kurt fordert radikale Zärtlichkeit.

“Auf Wiedersehen, Bertolt Brecht, ich gehe nach Bochum” – mit diesen Worten verabschiedet sich in Emine Sevgi Özdamars Ein von Schatten begrenzter Raum die Erzählerin vom Brecht-Grab, denn sie will, Achtung, in Bochum am Schauspielhaus arbeiten. Sie übergibt gewissermaßen den Staffelstab an die jüngere Autorin, Şeyda Kurt. Um nach Bochum zu gehen, muss man sich aber nicht von Brecht verabschieden – man findet ihn genau hier. Offenbar führt das Rauchen von Brechts Tabak zu großartigen Inszenierungen wie dieser. Bitte mehr davon.

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