“Transformationen” in Kochel am See: „Das arbeitet nachdem.“ – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z
„Transformationen“ heißt ein Kunstprojekt, das im einstigen Kloster Schlehdorf begonnen und im Frühjahr in Kochel Einzug gehalten hat, genauer: in „Erika’s Café“, einem Leerstand am Ortseingang. Die treibenden Kräfte Anna Schölß und Johannes Hochholzer verwandelten das verwaiste Lokal mithilfe engagierter Künstlerinnen und Künstler in eine Kreativ-Werkstatt. Jetzt neigt sich das Experiment seinem Ende zu. Am Samstag, 19. Oktober, feiert die Werkstatt für Transformationen „Erntedank“.
SZ: Frau Schölß, welche Früchte hat das Projekt im einstigen Café Erika getragen?
Anna Schölß: Eine Menge! Es ist vor allem viel Bewegung entstanden. Wir hatten Künstlerinnen und Künstler zu Gast, die in der Werkstatt an Interventionen gearbeitet, sich zudem aber auch mit Kochel beschäftigt haben – mit der Umgebung, mit Traditionen, mit Politik und dem künstlerischen Vermächtnis des Blauen Reiters. Uns ist es gelungen, mit interkulturellen Aktionen Menschen und Kontexte zusammenzubringen, die auf den ersten Blick wenig vereinbar sind.
Zum Beispiel?
Ergül Cengiz, eine türkisch-stämmige Künstlerin aus München, hat sich der Lüftlmalerei zugewandt und dazu auch einen Workshop mit Kindern der Kochler Grundschule gegeben. Ihre Frage war: Was würdet ihr auf euer Haus malen? Seither gehen diese Kinder mit anderen Augen durch den Ort. Wenn sich Brauchtum und zeitgenössische Kunst begegnen, kann etwas Neues entstehen. Mit unserer Werkstatt haben wir so etwas wie ein Parallel-Universum zu den üblichen Treffpunkten geschaffen, an denen man ja fast immer etwas konsumieren muss. Bei uns konnte man einfach mit einem unverbindlichen Interesse vorbeischauen und neue Menschen und Ideen kennenlernen. Die Kunst fungierte als Brücke.
Wurde dieses Angebot von Kochlern angenommen?
Am Anfang war das Interesse verhalten. Das hat sich dann allmählich geändert. Ein Meilenstein war die „Passage Kochel“ im September, die der Kochler Zitherspieler Georg Glasl angestoßen hat. Als der Kunstzug mit Blaskapelle, angeführt von Glasl und der Performerin Ruth Geiersberger, die B 11 überquert hat, begleitet von Fahnen, in die Ergül Cengiz islamische Zitate hinein gewebt hat, da haben die Leute geschaut. Es war ein Moment, in dem viele Menschen etwas getan haben, was sie noch nie zuvor gemacht hatten. Mitglieder der Blaskapelle haben Neue Musik gespielt, dazu die kulturellen Zitate aus verschiedenen Ländern und Religionen – das hat eine Wirkung gehabt. Das hat begeistert. Und das arbeitet bei vielen Kochlern und Kochlerinnen noch nach.
Sie haben etwas aufgebrochen?
Oh ja! Auf jeden Fall! Und das hat in einem solch kleinen Ort eine viel stärkere Wirkung als in einer Stadt wie München, wo man sich an Performances gewöhnt hat. Hier ist man hautnah am Experiment. Mit Max Leutenbauer vom Museum für Heimatgeschichte – er ist auch so ein Visionär – sind wir in Austausch gegangen. Zunächst werden wir die Bilder, die der Kochler Fotograf Bernd Ritschel von der Passage-Performance gemacht hat, im alten Schusterhaus ausstellen.
Haben Sie sich im vergangenen halben Jahr verändert?
Ich habe auf jeden Fall einen anderen Blick auf Kochel gewonnen. Das Spiel mit verschiedenen Welten finde ich wahnsinnig schön. Ich bringe gerne Menschen und Dinge zusammen, die scheinbar nicht zusammenpassen. Johannes Hochholzer und ich haben hier auf dem Land mit unseren sehr unterschiedlichen Perspektiven und Wissensbereichen einen temporären Raum geschaffen, in dem über die künstlerische Praxis philosophische und gesellschaftliche Dynamiken und Fragestellungen verhandelt werden können. Und das ist etwas Neues. Die Akademie der Bildenden Künste hat uns zu einem Vortrag eingeladen. Es spricht sich herum, dass das hier kein gewöhnliches Kunstprojekt ist. Auch für die Widerstände und Vorbehalte, mit denen wir in Kochel zu tun hatten, bin ich dankbar, daran wächst man.
Die Gemeinde fördert mittlerweile Ihr Projekt. Wo treffen sich die Interessen?
Zu Beginn habe ich dem Bürgermeister meine Sichtweise erklärt: Wir haben in Kochel das Franz-Marc-Museum, wir haben ein irres Vermächtnis des Blauen Reiters und der Moderne, und wir haben eine Landschaft, von der sich Künstlerinnen und Künstler seit jeher angezogen fühlen. Mit der neuen Museums-Direktorin Jessica Keilholz-Busch stehen wir in einem engen künstlerischen Austausch. Deshalb ist es für mich eine Mission, hier auch zeitgenössische Tendenzen sichtbar zu machen, die sich vom Angebot in den Städten unterscheiden. Hier hat man Ruhe, kann sich auf einzelne Aspekte konzentrieren. Das ist wie ein Brennglas. In unserer Werkstatt haben wir durchgehend hochwertige Kunst gezeigt – von Ergül Cengiz, Florian Haller, Rita De Muynck oder Gabi Blum. Es war uns wichtig, die regional ansässigen Kunstschaffenden wie Markus Kunas, Felix Lampadius oder Georg Pollinger mit ins Boot zu holen und ihnen eine Plattform zu schaffen. Das ist ein Aushängeschild für den Ort. Der Bürgermeister und die Gemeinde haben gemerkt: So ein Raum hat einen Wert. Plötzlich ist da ein Treffpunkt, der sich permanent wandelt und in dem Ideen entstehen, die nach außen getragen werden. Eine solche Zwischennutzung kann Impulse geben.
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Die Zwischennutzung im Café Erika endet in Kürze. Wie geht es dort weiter?
Die Familie Heinritzi wird dort mit ihrem Fahrrad-Geschäft einziehen. Ihr gehört das Haus und sie hat uns all das hier ermöglicht. Der Raum wurde in den vergangenen Monaten von tollen Künstlern und Künstlerinnen umgestaltet, die Wände sind bemalt. In Kochel wird es also bald einen richtig coolen Fahrradladen geben. Das ist unser Dankeschön.
Und die Werkstatt für Transformationen?
Wir ziehen vorübergehend in die frei werdenden Räume gegenüber, den nächsten temporären Leerstand in Kochel. Dort werde ich über einen längeren Zeitraum eine neue Arbeit entwickeln. Wir sind offen für neue Orte und Ideen für unser Wirken in Kochel und der Region. Leerstehende Räume sind für die Kunst und Kultur unglaublich wichtig. Da herrscht solch eine Knappheit.
Was man von leer stehenden Räumen generell nicht sagen kann. Die Innenstädte sind voll davon.
Daher plädieren wir ja für Zwischennutzungen. Durch sie kann wieder eine Lebendigkeit entstehen. Der Kochler Bürgermeister Jens Müller sagt, wir hätten ihn inspiriert. Er überlegt, einen Seniorentreffpunkt in einem leer stehenden Haus einzurichten.
Ihr Projekt lebt von Ideen und Idealismus. Woher kommt das nötige Geld?
Das ist ein Dauerthema. Wir freuen uns sehr über die Förderung der Gemeinde, aber das ist natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Material, Honorare, all das will finanziert sein, wir haben mit einem winzigen Budget gearbeitet und sind krass unterbezahlt. Es wäre schön, wenn unsere Arbeit entlohnt würde. Viele Leute denken noch immer, Künstlerinnen und Künstler würden zum Spaß arbeiten. Ankäufe und angemessene Förderungen können ein Ausdruck der Wertschätzung sein.
Sie feiern am Samstag von 11 bis 22 Uhr Erntedank mit „Downtown Kochel“. Wer verbirgt sich hinter diesem Label?
Eine lebendige Szene, die sich im Kochler Bahnhofsquartier gebildet hat. Das Tiny Soul gehört ebenso dazu wie Lenas Café im Schusterhaus, Käse Jäger, Optik Marksteiner oder die Heinritzis als Ermöglicher. Wir wollen feiern, dass da so eine tolle Nachbarschaft entstanden ist. Zur Eröffnung in der Werkstatt für Transformationen um 11 Uhr kommt Bürgermeister Müller, anschließend gibt es Führungen, Vorträge und ein Kinderprogramm, eine Tanzperformance und eine Teezeremonie. Um 15 Uhr starten wir einen Fahrrad-Korso durch Kochel. Der Künstler Johannes Volkmann stellt seine „Verkehrsschilder der Gerechtigkeit“ für diesen Tag auf. Eigentlich wollten wir die B 11 sperren und dort zehn Minuten Kaffee trinken und Kunstwerke hin- und hertragen. Das ist uns nicht geglückt. Aber nun radeln wir einfach gemeinsam durch Kochel. Alle sind dazu herzlich eingeladen.
„Erntedank“ in der Werkstatt für Transformationen, Kochel, Samstag, 19. Oktober, 11 bis 22 Uhr, Ausstellung mit Werken von Gabi Blum, Franziska Barišić, Lisa Busche, Christin Büttner, Ergül Cengiz, Rita de Muynck, Florian Haller, Alicia Henry, Johannes Hochholzer, Luisa Koch, Markus Kunas, Felix Lampadius, Georg Pollinger, Bernd Ritschel, Anna Schölß, Martin Schuster, Nicola von Thurn und Johannes Volkmann; weitere Informationen unter www.transformationen.eu