Transfersommer: Geld regiert das Feld | ABC-Z

Die Premier League rangiert oben in der Nahrungskette
Am letzten Tag fiel der Rekord. Für um die 150 Millionen Euro geht, wie erwartet, Alexander Isak von Newcastle United zum FC Liverpool. Vielleicht entlastet das Florian Wirtz ein wenig, denn er ist mit 125 Millionen nicht mehr der teuerste Transfer dieses Sommers. Der Meister Liverpool hat damit mehr als eine halbe Milliarde in neue Spieler investiert, der Trainer Arne Slot plant den Angriff auf Europa. Insgesamt haben die Vereine der Premier League in diesem Transferfenster nach einer Schätzung von Deloitte mehr als 3 Milliarden Pfund (3,5 Milliarden Euro) für Transfers ausgegeben. Sie können sich das leisten, dank der hohen TV-Einnahmen und dank der reichen Eigentümer. Newcastle United zum Beispiel ist seit wenigen Jahren in saudi-arabischen Händen. Den Torjäger Isak konnten sie aber nicht halten, holten stattdessen Nick Woltemade. Neuerdings kann sich selbst die Zweite Liga Englands viel leisten, so holte der Absteiger FC Southampton Caspar Jander vom 1. FC Nürnberg für geschätzt 12 Millionen Euro, Boni nicht eingerechnet.
Es war noch nie so einfach, für viel Geld zu verkaufen
Nur mal drei Beispiele, um zu verdeutlichen, wie teuer heute Spieler sind, die zwar zweifellos zu den besseren Spielern zählen, aber nicht zu dem, was man Weltklasse nennt. Benjamin Šeško: 76,5 Millionen Euro. Mateo Retegui: 68,25 Millionen Euro. Nick Woltemade: 85 Millionen Euro. Noch vor Kurzem waren diese Summen für die absoluten Toptoptop-Spieler reserviert. Doch inzwischen werden auch für Zweierschüler Fantasiesummen gezahlt.
Das heißt auch: Für Vereine war es noch nie so einfach, Fußballer für viel Geld zu verkaufen. Das liegt zu einem großen Teil an der Premier League, in der auch Klubs wie Nottingham Forest einkaufen wie verrückt. Es liegt aber auch am neuen Player von der Arabischen Halbinsel. Die Saudi Pro League kauft nicht nur Spieler wie Retegui oder Darwin Núñez für mehr als 50 Millionen Euro, sondern auch Mittelklassespieler wie den Franzosen Allan Saint-Maximin für zehn Millionen Euro. Kein Wunder also, dass in dieser Transferperiode laut transfermarkt.com weltweit erstmals mehr als neun Milliarden Euro für Spieler ausgegeben wurden.
Die Transferjournalisten mischen mit
Der Transferjournalist Florian Plettenberg hatte die News nach eigener Aussage exklusiv: Der Stürmer Nicolas Jackson werde nicht, wie unter anderem von ihm selbst berichtet, per Leihe zum FC Bayern wechseln. “DEAL 100 % OFF!”, schrieb Plettenberg auf Instagram. Einen Tag später wechselte Jackson per Leihe zum FC Bayern. Der Transferjournalismus ist zu einem eigenen Genre im Unterhaltungsbetrieb Profifußball geworden. Und er beeinflusst ihn. Weil andere Medien Schnappatmung bekommen, wenn die Transferjournalisten beispielsweise berichten, Florian Wirtz wechsele nach München. (Wirtz spielt nun in Liverpool.) Und weil es in der Öffentlichkeit mehr um potenzielle Transfers eines Vereins geht als um das Können der Spieler, die schon da sind. Auch die Vereine scheinen das zu erkennen. Schon vor anderthalb Jahren schimpfte Uli Hoeneß in einem Interview mit der FAZ über die Transferjournalisten und sagte: “Heute ruft alle Welt schon nach neuen Spielern, wenn einer drei Wochen verletzt ist.” Da ist wohl was dran.
Nick Woltemade hat sich finanziell optimiert, nicht sportlich
Nur weil die Premier League mehr Geld hat, heißt das nicht, dass die die Bundesliga automatisch den Kürzeren ziehen muss. Das zeigt das Beispiel Nick Woltemade. Der, so ließ sein Berater mehrfach ausrichten, wollte eigentlich unbedingt zum FC Bayern. Dort ist die Chance auf Titel viel größer. Der FC Bayern ist auch die bessere Marke. Der deutsche Rekordmeister hat aber für Nick Woltemade einfach nicht mehr mitgeboten, deswegen ging er nach Newcastle. Man könnte auch sagen: Der FC Bayern war nicht so verrückt, für einen 23-Jährigen ohne internationalen Leistungsnachweis 85 Millionen Euro zu zahlen.
Nicht alle rennen dem Geld hinterher
Enzo Millot, Darwin Núñez, João Félix – sie sind noch keine 30, spielen jetzt aber in einer sportlich ziemlich irrelevanten Liga. Warum? Wegen des lieben Geldes. Das ist nicht verwerflich, die Familien Millot, Núñez und Félix haben für alle Zeiten ausgesorgt. Aber es ist eine Verschwendung von Talent. Schön zu sehen also, dass nicht alle nur dem Geld hinterherrennen. Yussuf Poulsen zum Beispiel verzichtet auf sehr viel Geld, um mit dem HSV gegen den Abstieg zu spielen, statt bei Leipzig auf der Bank zu sitzen. Und Victor Boniface, der im Winter kurz vor einem Wechsel zu Cristiano Ronaldos Klub al-Nassr stand, bleibt in Deutschland: Leverkusen verleiht ihn an Werder Bremen.
Beim Kaufrausch in der Premier League bleiben die englischen Talente auf der Strecke
Wie gut Englands Nachwuchs wirklich ist, zeigte der EM-Titel der U21 im Juli. Spielzeit bekommen die meisten Talente in der Premier League aber trotzdem nicht. Harvey Elliott, Spieler des Turniers, saß bei Liverpool nur auf der Bank, er versucht es jetzt bei Aston Villa. Spielen darf Florian Wirtz. Statt auf den Final-Torschützen Omari Hutchinson zu setzen, holte Nottingham Forest den Schweizer Dan Ndoye für 42 Millionen. Arsenal stellt dem Supertalent Ethan Nwaneri den Spanier Martín Zubimendi (70 Millionen) in den Weg und James McAtee, Kapitän der Europameistermannschaft, kommt bestenfalls von der Bank.
Beim Kaufrausch in der Premier League hat keiner Zeit, Talente zu entwickeln. So wird die englische Liga immer weniger englisch. 70 Prozent der Spieler kommen aus dem Ausland – Höchstwert in den Top-5-Ligen. Ein Blick auf die Startaufstellungen beim Topspiel Liverpool gegen Arsenal spricht Bände: Bei den Gunners spielten lediglich zwei Engländer in der Startelf, bei Liverpool kein einziger. Die Premier League wird immer mehr zur globalen Bühne und der heimische Nachwuchs schaut von der Ersatzbank aus zu.
Auch mancher Bundesligist priorisiert Geld statt sportlichen Erfolg
Die Premier League zahlt sehr gut, manchmal auch für durchschnittliche Spieler. Das verleitet Vereine dazu, speziell in Deutschland, sich mit dem Geschäftsmodell Durchlaufstation zufriedenzugeben. Borussia Dortmund hat es vorgemacht, Eintracht Frankfurt macht es nach. Sie holen Talente schon mit dem Ziel, sie gewinnbringend weiterzuverkaufen. Das bringt schnelles Geld. Natürlich ist es schwer und in Einzelfällen unmöglich, mit England mitzuhalten. Doch dort läuft jeder Spieler wegen der großen nationalen Konkurrenz stets Gefahr, mit seinem Verein die Champions League zu verpassen. Das ist dem FC Liverpool kürzlich mal passiert, Manchester United unterläuft das ständig, der Europa-League-Sieger Tottenham Hotspur wurde in der Vorsaison nur 17. In Frankfurt hingegen hat man zurzeit gute Chancen, dauerhaft in Europas Eliteliga dabei zu sein. In Dortmund sehr gute. In München muss ein Spieler praktisch gar nichts fürchten. Ganz so machtlos im Kampf um Fußballer, wie die Verantwortlichen tun, sind deutsche Vereine nicht. Sie könnten es mit einem Argument versuchen, das manchmal besser zieht als Geld: einer sportlichen Idee.
Die Serie A wird zur Serie AH
Die Serie A war mal eine Liga, in der viele der weltweit besten Fußballer spielten. Heute ist die Serie A eine Liga, in der viele der ehemals besten Fußballer der Welt spielen. Beim Meister SSC Neapel spielt jetzt Kevin De Bruyne. Mit seinen 34 Jahren ist er für italienische Verhältnisse fast noch ein Jungspund. Nach Florenz wechselte der 39 Jahre alte Edin Džeko. Der 38-jährige Jamie Vardy wechselte von Leicester City zu Cremonese. Und Milan verpflichtete fürs Mittelfeld Luka Modrić – der wird nächste Woche 40. Natürlich wechseln auch noch Talente nach Italien, aber Topstars nicht. Nur die, die mal Topstars waren, aber ihre beste Zeit hinter sich haben, kommen in die Serie A. Sie wird zur Altherren-Liga.
Die Türkei macht Saudi-Arabien Konkurrenz
Der Fußball in der Türkei profitiert von der Gunst und der Steuerpolitik des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Die Süper Lig macht neuerdings Saudi-Arabien Konkurrenz, insbesondere die Vereine aus Istanbul zahlen sehr gut. Am Deadline Day wechselte der brasilianische Tormann Ederson, 32, der in Manchester seinen Stammplatz verlor, zu Fenerbahçe. Aber die türkische Liga eignet sich nicht mehr nur als Ehrenrunde kurz vor dem Karriereende. So kaufte Galatasaray den 26-jährigen ehemaligen Wolfsburger Victor Osimhen für umgerechnet 75 Millionen von Neapel, er soll 15 Millionen netto im Jahr verdienen. Der prominenteste Transfer war Leroy Sané, 29. Er verließ die Bayern ablösefrei und spielt nun ebenfalls für Galatasaray. Der Wechsel hat unmittelbar sportliche Konsequenzen, denn Julian Nagelsmann verzichtet vorerst auf Sané in der Nationalmannschaft. “Er spielt jetzt in einer Liga”, begründete der Bundestrainer seine Entscheidung, “die einen Tick schlechter ist als andere”.
Am Ende leiden die Fans
Egal, wie schwer der Abschied fällt, derjenige, der geht, hat es leichter als diejenigen, die bleiben müssen. Das gilt in Beziehungen und im Fußball. Während der verkaufte Spieler mit Medizinchecks, Fototerminen, ersten Trainings und dem Kennenlernen neuer Mannschaftskollegen beschäftigt ist, bleiben die Fans enttäuscht zurück. Denn volle Vereinskassen sind zwar schön, aber noch schöner ist es, jemandem jahrelang zuzujubeln. Jemandem, dem man glaubt, dass ihm der Verein halb so sehr am Herzen liegt wie einem selbst. Der das Gleiche durchgemacht hat wie die Fans. Der zum Verein gehört. Den man dabeihaben will, selbst wenn er sportlich vielleicht nicht mehr den Unterschied macht. So wie Yussuf Poulsen, der zu RB Leipzig kam, als der Verein noch in der dritten Liga kickte. Jetzt wechselte er zum HSV. Die Fans hätten ihn sicher lieber behalten, gefragt hat die aber keiner. Vielleicht wird man sie zurate ziehen, wenn Vereine merken, dass es so ganz ohne Identifikationsfigur nicht geht. Bei Eintracht Frankfurt könnte es bald so weit sein. Dienstälteste relevante Spieler sind dort Mario Götze und Ansgar Knauff – beide seit drei Jahren beim Verein.