Trainer Roberto Cevoli: „Was die Mentalität betrifft, hat San Marino einen gigantischen Schritt nach vorn gemacht“ | ABC-Z
San Marino ist seit Jahrzehnten der Prügelknabe im Weltfußball. Nun gelang der Coup: Die „Titanen“ genannte Mannschaft aus dem Zwergstaat steigt in der Nations League auf. Team und Trainer können nun sogar noch größer denken. „Ein surrealer Traum“, sagt Coach Cevoli im Interview.
San Marinos Amateurkicker kreischten wie nach einem großen Titelgewinn und warfen Trainer Roberto Cevoli euphorisch in die Luft – beim verzückten Verbandschef flossen Tränen der Freude. Mit einem historischen 3:1 in Liechtenstein hatten die Fußballer des Zwergstaates in der vergangenen Woche in der Nations League den Aufstieg in die C-Liga geschafft. Zumindest für einen glückseligen Abend in Vaduz streifte das Schlusslicht der Fifa-Weltrangliste sein jahrzehntealtes Verlierer-Image ab – und kann nun sogar von der Teilnahme an den Qualifikations-Play-offs für die Weltmeisterschaft 2026 träumen.
„Abgesehen von der ernsthaften Gefahr eines Herzinfarkts kann ich nur sagen, dass diese Jungs heute Abend Geschichte geschrieben haben“, stammelte der sichtlich gerührte Verbandspräsident Marco Tura und verriet: „Ich musste weinen zwischen den Jungs. San Marino verbuchte den ersten Auswärtssieg seiner Länderspiel-Historie, den höchsten Erfolg obendrein und erzielte erstmals drei Tore in einem Match.
Nach dem überraschenden ersten Sieg nach mehr als 20 Jahren im September feierte die Mannschaft von Trainer Roberto Cevoli den nächsten Erfolg. Noch nie gelang ein Sieg nach einem Rückstand – überhaupt stehen die Fußballer, die „Titanen“ genannt werden, nun erst bei drei Länderspielerfolgen: Alle drei sprangen gegen Liechtenstein heraus, zunächst bei einem Freundschaftsspiel 2004 und nun zweimal in dieser Nations-League-Saison. „Die erste Halbzeit mit 0:1 hinten zu beenden, war eine Beleidigung für den Fußball. Aber die Jungs waren brillant und haben sich verdient, was sie erreicht haben“, sagte San Marinos 55 Jahre alter Trainer Cevoli.
Lorenzo Lazzari (46. Minute), Nicola Nanni (66./Elfmeter) und der eingewechselte Alessandro Golinucci (76.) drehten das Match. Nanni spielt in der dritten italienischen Liga, Lazzari – ein Universitätsstudent – noch eine Klasse tiefer. Golinucci kickt sogar nur in der heimischen Liga in San Marino – neben seinem regulären Beruf als Lagerarbeiter für eine Spielzeugfirma. Ihren Coach Cevoli machte das stolz, wie er im Interview berichtet.
Frage: Signore Cevoli, wie hat sich Ihr Leben seit dem 3:1 am vergangenen Dienstag in Liechtenstein verändert?
Roberto Cevoli: Ich habe sehr viele Nachrichten bekommen, die ich immer noch nicht alle beantwortet habe. Und es kommen wieder neue Nachrichten. Freunde und ehemalige Mitspieler, Spieler, die ich trainiert habe – alle freuen sich mit mir und machen uns Komplimente.
Frage: Wie fiel denn Ihre Aufstiegsparty in Vaduz aus?
Cevoli: Ganz ehrlich? Das war keine große Sache, wir sind zurück ins Hotel, waren sehr müde und haben nicht viel unternommen. Wir haben ein paar Flaschen Wein getrunken, ein paar Toasts ausgesprochen und sonst weiter nichts. Ich hoffe aber, dass wir das in San Marino noch nachholen werden.
Frage: Was bedeutet der Sprung in die C-Liga der Nations League für San Marino – für den Zwergstaat und Ihren Verband?
Cevoli: Wir sind noch nie im Fußball in einem Wettbewerb aufgestiegen. Das ist etwas Neues. Historisches. Wir haben in Liechtenstein Rekorde gebrochen, zum ersten Mal mehr als zwei Tore in einem Spiel erzielt, zum ersten Mal auswärts gewonnen. Es erfüllt uns mit Stolz, San Marino in diesem Moment zu vertreten, weil die ganze Welt noch ein paar Tage über uns sprechen wird.
Frage: Ist die Nations League die große Chance für die ewigen Außenseiter?
Cevoli: Da ist viel Wahres dran. Wir haben in diesem Wettbewerb unseren größten Erfolg aller Zeiten erlebt. Wenn man als San Marino immer gegen die stärksten Mannschaften der Welt spielt, kann man nie seine Grenzen erkennen und sich verbessern. Die Nations League wurde anfangs stark kritisiert, aber sie hat sich als eine sehr positive Sache erwiesen. Dieses Turnier ermöglicht es uns, mit Mannschaften, die auf dem gleichen Niveau wie wir spielen, zu konkurrieren. Und es ist kein Zufall, dass wir es geschafft haben, in die Liga C zu gelangen.
Frage: Es ist durch den Gruppensieg sogar nicht ausgeschlossen, dass San Marino in den Play-offs zur WM 2026 spielt.
Cevoli: Das wäre eine zusätzliche Möglichkeit, uns zu zeigen. Aber alles, ohne seltsame Hoffnungen zu erwecken. San Marino bei einer WM – das ist im Augenblick ein surrealer Traum. Aber sollte es wirklich dazu kommen, dass wir die Play-offs spielen dürfen, würden wir mit Würde antreten und versuchen, unser Bestes zu geben.
Frage: Sie wurde in Italien geboren, sind aber längst Staatsbürger San Marinos. Im Dezember 2023 wurden Sie zum Nationaltrainer. Wieso haben Sie den Job beim 210. und damit Tabellenletzten der Fifa-Weltrangliste angenommen?
Cevoli: Weil wir es nur besser machen können, denn wenn man Letzter ist, kann man nicht noch schlechter werden. (lacht) Aber Spaß beiseite: Die Mannschaft deines Landes zu trainieren ist immer etwas Schönes und Besonderes. Das war der erste Grund für meine Entscheidung. Seine Nation zu repräsentieren, und sei es nur im Sport, ist eine großartige Sache und deshalb bringt es einen meiner Meinung nach dazu, noch etwas mehr zu geben.
Frage: Zu Ihrem Kader gehören Spieler aus der dritten und vierten Liga Italiens sowie Amateure aus der heimischen Liga. Fällt es Ihnen schwer, einen Lehrgang und Länderspiele vorzubereiten?
Cevoli: Es ist sehr schwierig, weil San Marino ja nur 34.000 Einwohner hat. Dadurch ist die Auswahl an Spielern natürlich limitiert. Wir haben uns dafür entschieden, auf junge Spieler zu bauen und mit ihnen zu arbeiten. Es gibt viele gute junge Leute, dadurch haben wir das Durchschnittsalter der Mannschaft deutlich gesenkt. Diese jungen Spieler begeistern einen, sie haben gute Qualitäten, und die Ergebnisse der letzten Spiele sind eine Konsequenz.
Frage: San Marino war immer der Prügelknabe, Deutschland hat mal 13:0 gegen Ihr Land gewonnen. Aber richtig hohe Niederlagen hat es schon länger nicht mehr gegeben. Bei der jüngsten EM-Qualifikation unterlag man nur sehr unglücklich 1:2 gegen Dänemark. Was ist aus Ihrer Sicht die größte Entwicklung des Teams?
Cevoli: Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Gegner jetzt Liechtenstein und Gibraltar waren. Aber es ist nicht mehr so, dass wir nach dem ersten Gegentor auseinanderbrechen. Das war beim 1:1 gegen Gibraltar und auch jetzt beim 3:1 in Liechtenstein so. Was diese Mentalität betrifft, hat San Marino einen gigantischen Schritt nach vorn gemacht, das Team ist sehr gereift.
Frage: Ihre Nationalmannschaft hat einen Fanclub, der sich „Brigata Mai una gioia“ nennt, auf Deutsch heißt das: „Nie eine Freude.“ Wäre nach dem Aufstieg nicht der ideale Zeitpunkt, um den Namen zu ändern?
Cevoli: Nein!
Frage: Nein?
Cevoli: Unsere Tifosi möchten ihren Namen nicht ändern. Sie fühlen sich diesem Namen verbunden. Zumindest haben sie mir das gesagt. Sie sehen – das ist bei uns wirklich ein Thema. Das ist eine Frage, die mir viele Leute gestellt haben. Auch die Fans wurden gefragt. Aber sie haben darum gebeten, dass der Name bestehen bleibt. Die Gruppe hat mittlerweile Mitglieder aus der ganzen Welt. In Liechtenstein waren welche aus Peru und Saudi-Arabien da. Es ist eine fantastische Sache.
Der Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) geführt und zuerst in BILD AM SONNTAG veröffentlicht.