Trainer Robert Klauß bei Rapid Wien: „Ich habe in 15 Monaten so viel erlebt wie andere in zehn Jahren“ – Sport | ABC-Z

Herr Klauß, Sie sind jetzt seit 15 Monaten in Wien. Wie haben Sie sich eingelebt?
Ich fühle mich sehr wohl in der Stadt, die extrem viel bietet, auch abseits des Fußballs. Als Mensch empfinde ich hier ein hohes Maß an Lebensqualität.
Was sind Ihre Hotspots? Kaffeehaus? Prater? Innenstadt?
Unser Trainingsgelände grenzt an den Prater, das heißt, ich fahre dort jeden Tag durch und meistens mit dem Fahrrad. Das ist schon schön, gerade im Sommer. Es gibt hier so viele tolle Orte, die Menschen sind viel draußen unterwegs. Aber ich würde da jetzt keinen speziellen Hotspot herausheben.
Wie kommen Sie mit dem Wiener Schmäh klar, dieser ironischen, manchmal schwarzhumorigen Art der Leute dort?
Bis jetzt sehr gut. Bevor ich hergekommen bin, hat man mir gesagt, dass die Wiener sehr viel granteln. Das kann ich bisher gar nicht bestätigen. Ich finde sie sehr offen und herzlich. Der Schmäh gehört dazu, ich finde es gut, dass die Leute hier alles nicht zu ernst nehmen und lockerer im Umgang sind. Anders als wir Deutschen, die ja manchmal dazu neigen, zu verbissen zu sein.
Rapid Wien ist Rekordmeister und der Klub mit der größten Tradition in Österreich. Wie arbeitet es sich dort?
Man merkt schon, dass wir der Verein sind, der am meisten im Fokus ist. Das drückt sich in beiden Richtungen aus – wenn wir gewinnen und wenn wir verlieren. Das ist schön, weil wir die Leute emotional mitnehmen können. Man merkt es auch in der Stadt, dass so viele grün-weiße Fans mit uns mitfiebern. Jeder hat irgendwie eine Verbindung zum Verein, wir sind tief verankert in der Stadt. Wenn wir gewinnen, sind wir die Besten aller Zeiten, wenn wir nicht gewinnen, so wie zuletzt, ist schnell alles schlecht. Aber das ist ja bei allen Traditionsklubs so, das war in Nürnberg nicht anders.
Sie nehmen das aber positiv auf?
Es ist mir lieber, als wenn sich keiner für uns interessieren würde. Unser Job ist es, dafür zu sorgen, dass wir mehr Erfolge als Misserfolge haben, dann sind die Leute zufrieden, dann herrscht große Euphorie, die wir dann auch für uns nutzen können.
Aber der Druck beim traditionsreichen Rekordmeister mit Klubikonen wie Hans Krankl, Andreas Herzog, Ernst Happel und Max Merkel muss doch riesig sein.
Stimmt schon, aber davon müssen wir uns freimachen. Mittlerweile sind die handelnden Personen solche, die nicht so tief da drinstecken. Die zwar wissen, was es bedeutet, aber mehr den Blick von außen darauf haben. Das gilt ja auch für mich, obwohl ich schon viel mitbekommen habe von diesem Verein.
Wie ist Ihr Verhältnis zu den Fans? Immerhin starteten Sie Ihre Trainerkarriere im Red-Bull-Konzern – dem Gegenentwurf zu Traditionsvereinen.
Ich hatte sehr früh ein sehr gutes Gespräch mit Fanvertretern, das war ein schöner Austausch. Seitdem haben wir regelmäßig Kontakt, nicht nur im Stadion, sondern auch bei Veranstaltungen, zu denen ich gerne komme, wenn die Anhänger etwas organisiert haben. Das Verhältnis war von Beginn an sehr gut. Da kamen natürlich auch Fragen, wo ich herkomme, wofür ich stehe und was ich vorhabe. Ich habe das sehr transparent erklärt, und das hat offenbar Anklang gefunden.
Und wofür stehen Sie?
Wichtig ist bei Rapid zu verstehen, dass es nur miteinander geht, dass wir in diesem Klub wirklich eine große Familie sind. Wenn die Leute auf der Tribüne das Gefühl haben, wir lassen unser Herz für diesen Verein auf dem Platz, dann unterstützen sie uns immer, unabhängig vom Ergebnis. Sie wollen, dass wir uns bewusst sind, für welch großen Klub wir spielen dürfen, und dass das eine Ehre ist.
Lässt sich all das mit dem Club vergleichen? Dort ist das Umfeld ja auch pulsierend.
Das ist schon sehr vergleichbar, allerdings muss ich sagen, dass zu meiner Zeit in Nürnberg Corona noch präsent war, ich konnte also gar nicht so viel Kontakt zu den Leuten haben. Und ich kam natürlich direkt aus Leipzig und wurde wegen dieser ganz frischen RB-Vergangenheit von der aktiven Fanszene noch mal kritischer gesehen. Man muss natürlich schon sagen, dass der Club halt nur zweite Liga spielt, dort ist der Misserfolg der letzten Jahre tiefer verankert und die Leute sind schneller frustriert. In Nürnberg sieht man sich eigentlich als Bundesligist, von der Tradition und vom Standing her. Aber die Realität ist Mittelmaß zweite Liga. Und das ist natürlich schwer zu begreifen und tut den Leuten weh.
Rapid wartet aber auch schon seit 17 Jahren auf einen Titel.
Ja, sicher, aber hier spielen wir immer noch um internationale Plätze, auch wenn wir nicht Meister geworden sind. Man feiert Erfolge, weil man – vielleicht ausgenommen unsere jüngste Phase – in der österreichischen Bundesliga mehr Spiele gewinnt als verliert. Es gibt also in den letzten Jahren schon mehr positive Dinge als in Nürnberg.
Mittlerweile hat Trainer Miroslav Klose den Club nach einer schwachen Phase im Herbst auf Kurs gebracht. Inwiefern verfolgen Sie Ihren Ex-Verein noch?
Ich schaue mir jedes Wochenende die Ergebnisse und die Aufstellungen an, hin und wieder auch Spiele, wenn wir nicht selbst spielen oder trainieren. Es gibt immer noch Spieler, die aus meiner Zeit noch da sind, allerdings wenige. Schon erschreckend, wie hoch die Fluktuation da mittlerweile ist. Aber etwa mit Torwart Chris Mathenia habe ich noch viel Kontakt, wir hatten immer ein sehr gutes Verhältnis. Mit Sportdirektor Olaf Rebbe hatte ich regelmäßig Kontakt, der ist ja seit Kurzem nicht mehr da. Mit Sportchef Dieter Hecking ebenfalls, der ist auch weg. Aus dem Trainerteam ist nur noch der Torwartcoach da, alle anderen sind gegangen.
Sie sprechen ohne Bitterkeit über Ihre Trennung, obwohl der Geduldsfaden der Clubberer damals nicht gerade lang war. Ein paar Monate vorher waren Sie für Rang acht noch gefeiert worden, und dann mussten Sie schon im Oktober 2022 gehen, weil der Saisonstart misslang.
In dem Moment habe ich auch gedacht, das muss jetzt eigentlich nicht sein, das ist sinnlos, weil wir es garantiert wieder dorthin geschafft hätten, wo wir waren. Wir hatten damals den Kader nicht realistisch eingeschätzt, die Zielsetzung Platz eins bis sechs und die daraus resultierende Erwartungshaltung waren nicht richtig, das hat Dieter Hecking später selbst eingeräumt. Ich wusste, ich bin derjenige, der dafür herhalten muss, so ist das Trainergeschäft nun mal. Die zwei Jahre und fast vier Monate waren eine wunderschöne Zeit. Ich habe es geschafft, die Mannschaft und insbesondere junge Spieler zu entwickeln und zu verbessern. Es hat geholfen, dass die Verantwortlichen im Nachgang sagten: ‚War schon gut mit dir, wir wissen jetzt, was wir an dir hatten.‘ Ich schaue jedenfalls nicht böse zurück.
Schauen wir auf die aktuelle sportliche Situation von Rapid: Mit dem Sieg gegen Kopenhagen und der direkten Qualifikation fürs Achtelfinale der Conference League wurde im Dezember ein Highlight gesetzt. Doch nach der Winterpause kommt Ihre Mannschaft schleppend in die Gänge, sie beendete am Wochenende mit dem 5:0 gegen Altach eine Serie von fünf sieglosen Spielen. Was ist da aktuell los?
Ich glaube, dass wir trotzdem auf einem vernünftigen Weg sind. Die Art, wie wir spielen, und die Statistiken – all das passt. Wir schaffen es nur nicht, die Dominanz, die wir erzeugen, so in Punkte umzuwandeln, wie es eigentlich sein müsste. Wir hatten jetzt aber auch drei sehr formstarke Teams, wir haben den ein oder anderen Fehler zu viel gemacht und Gegentore zugelassen. Wir müssen einerseits ruhig bleiben und unseren eingeschlagenen Weg mit vielen jungen Spielern weitergehen. Und wir müssen es andererseits kurzfristig schaffen, enge Spiele für uns zu entscheiden, um regelmäßig zu punkten und in der Tabelle nicht hinterherzuhinken.
In Österreich wird nach 22 Spieltagen die Tabelle halbiert, die ersten Sechs gehen in die Meisterrunde und nehmen die Hälfte ihrer Punkte mit. Zwei Spieltage vor Schluss des Grunddurchgangs sieht es gut aus für Rapid.
Im Moment ist die Liga sehr verrückt, jeder kann jeden schlagen, jeder lässt Punkte, es ist nicht mehr die Dominanz von Salzburg und Sturm, die in den letzten Jahren vorneweg marschiert sind. Das tut unserer Liga gut, sie ist dadurch attraktiver geworden.
Spüren Sie Unruhe? Die Boulevardpresse in Österreicht kann auch sehr aggressiv sein.
Im Vergleich zu Deutschland ist das relativ entspannt. Wenn ich das mit Nürnberg vergleiche, ist die Berichterstattung zwar auch kritisch, aber doch weitaus weniger hart.
Wenn Sie das Kalenderjahr 2024 bei Rapid Revue passieren lassen mit der Europapokal-Qualifikation, einer knappen Niederlage im Pokalfinale, Conference-League-Reisen in die Türkei, nach Moldawien und Zypern, Fankrawallen nach dem Derby – was bleibt ihnen besonders in Erinnerung?
Ich habe in 15 Monaten so viel erlebt wie andere vielleicht in zehn Jahren. Natürlich die Derbyvorfälle nach dem Sieg im Herbst gegen die Austria, dann sind wir noch völlig unverschuldet in einen Wettskandal bei unserem Trainingslager vor gut einem Jahr in der Türkei verwickelt worden. Langweilig wird es nie, aber ich würde mir schon wünschen, dass es manchmal mehr um den Sport geht. All das kostet Energie, Kraft und dann am Ende auch Punkte, weil der Fokus einfach teilweise fehlt.
Und dann war da kurz vor Weihnachten die schlimme Geschichte um Kapitän Guido Burgstaller, der bei einem tätlichen Angriff vor einem Lokal einen Schädelbruch erlitt. Der frühere Schalker und Nürnberger wollte ja im kommenden Sommer seine Karriere beenden.
Das ist zu hundert Prozent eine persönliche Tragödie, weil er angegriffen wurde, eine schwere Verletzung erlitt und jetzt nicht Fußball spielen kann. Da klammere ich jetzt mal den Verein aus, weil es nur um den Menschen geht und darum, dass er wieder vollständig gesund wird und Sport treiben kann. Es sieht gut aus, Guido ist auf einem guten Weg. Wir sehen ihn jeden Tag, er trainiert auch schon individuell. Aber es gibt keine Prognosen, ob und wann er noch einmal eingreift.
Kommen wir auf die Saison in Europa zu sprechen: Rapid ist im Sommer trotz der Weggänge von Leopold Querfeld zu Union Berlin und Marco Grüll zu Werder Bremen nur ganz knapp in den Playoffs zur Europa League an Sporting Braga gescheitert, hat aber bisher eine fulminante Conference-League-Saison hingelegt.
Das Aus gegen Braga hat wehgetan, aber es hatte halt auch die positive Seite, dass wir in der Conference League gegen etwas einfachere Gegner viele Siege feiern und auch viel Geld einnehmen konnten.
Erstmals seit 1997/98, damals im Uefa-Cup, steht Rapid wieder im Achtelfinale eines Europapokals. Und da geht es diesen und kommenden Donnerstag gegen den bosnischen Klub Borac Banja Luka. Was ist möglich?
Sie sind auf alle Fälle ein unangenehm zu bespielender Gegner, wie man schon im Herbst bei ihrem Match gegen den LASK gesehen hat (2:1 für Banja Luka, d. Red.).
Mal zu Ihrer Person: Wie würden Sie Ihren Stil als Trainer beschreiben? Sind Sie ein klassischer Ausbilder junger Spieler?
Nicht nur, aber es spielt eine große Rolle. Ich war lange in Leipzig im Nachwuchs tätig, habe auch in Nürnberg eng mit der Akademie zusammengearbeitet. Und es stimmt schon, dass meine Art von Fußball eine gewisse Frische und Jugendlichkeit erfordert, vielleicht sogar eine gewisse Naivität, womit ich meine, dass man keine Angst vor Fehlern hat. Und mir ist eine Durchlässigkeit zwischen der Akademie und dem Profibereich schon sehr wichtig.
Apropos Leipzig: Sie waren damals Teil des allerersten RB-Kaders. Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an die Übernahme Ihres Oberligaklubs Markranstädt denken?
Das war wirklich kurios. Es kam damals nur die Meldung, dass uns der Getränkekonzern Red Bull übernimmt, wir werden von einem halbprofessionellen Fünftligisten zu einem Klub, der schnellstmöglich in den Profifußball will. Die Mannschaft bestand dann schnell zur Hälfte aus Amateurfußballern wie mir und aus Profis, die davor in der ersten, zweiten und dritten Liga gespielt hatten. Relativ flott haben wir uns aneinander gewöhnt und sind dann auch gleich aufgestiegen. War schon eine wilde und auch coole Zeit.

Sie nutzten die Situation damals, um ins Trainergeschäft einzusteigen, und waren dabei, als die Akademie aufgebaut wurde, führten die U17 ins Halbfinale um die deutsche Meisterschaft. Später waren Sie Co-Trainer der Profis. Was haben Sie aus ihren elf Jahren als Coach dort mitgenommen?
Ich habe den Weg von der fünften Liga bis in die Champions League mitmachen dürfen, habe mich zuerst in provisorischen Containern umgezogen und am Schluss in den Kabinen der modernsten Akademie Deutschlands. Das waren so viele Dinge, die auf mich eingeprasselt sind. Ich hatte das Glück, dass ich damals im besten Alter war: am Ende meines Studiums, ich war aufnahmefähig für all den Input, den ich bekommen habe. Ich habe mein Handwerk von der Pike auf gelernt und dort alles erlebt, was man erleben kann.
Und Sie hatten in Ralf Rangnick und Julian Nagelsmann ziemlich prominente Lehrmeister.
Schon Ralfs Input als Sportdirektor hat mich enorm geprägt. Als ich sein Co-Trainer war, konnte ich viel eigeninitiativ mitgestalten, weil er in seiner Doppelfunktion gar nicht immer greifbar war als Trainer. Bei Julian habe ich jede Menge über Taktik, Trainingsgestaltung und Herangehensweise an ein Spiel gelernt. Irgendwann habe ich mich dann reif genug gefühlt, um selbst als Cheftrainer zu arbeiten.
Und mit Rangnick haben Sie jetzt vermutlich wieder viel zu tun, er trainiert ja die österreichische Nationalmannschaft.
Ja, manchmal sogar bei uns auf der Anlage. Wir sind Freunde, tauschen uns sowieso regelmäßig aus. Und ich versuche auch, immer da zu sein, wenn Länderspiele sind.
Sie gelten als moderner Coach, mancher nennt Sie einen Laptop-Trainer. Viele Journalisten haben Sie harsch kritisiert, als Sie in Ihrer Zeit beim Club einen Kurzvortrag mit vielen modernen Fußball-Fachbegriffen gehalten haben. Wie blicken Sie heute darauf zurück?
Mich hat damals geärgert, dass so ein Wirbel darum gemacht wurde. Ich musste mich rechtfertigen, Klarstellungen abgeben et cetera. Das kann man als Trainer nicht gebrauchen, weil man mit der Mannschaft arbeiten will. Wenn ich noch mal taktisch ins Detail gehe, kündige ich das vorher an. Dann kann sich jeder entscheiden, ob er hinhören will oder nicht.