Trainer Matthias Obinger beim HC Erlangen: Auf einmal im Licht – Sport | ABC-Z

Es fließt, wenn Matthias Obinger über Handball spricht. Er redet über dies und über das. Aber nach über einer halben Stunde verschlägt es ihm plötzlich die Sprache. Er will jetzt erklären, wie es ihn überwältigte, als er Ende September die Max-Schmeling-Halle in Berlin betrat, doch auf einmal findet er keine Worte mehr. „Die Max-Schmeling-Halle“, sagt Obinger, „diese berüchtigte und ehrwürdige Halle, das war …“ Obinger stockt und nimmt dann noch einen Anlauf: „Das war …“ Er sucht nach dem richtigen Wort und entscheidet sich schließlich für: „Beeindruckend.“
Dann schüttelt Obinger, kaum merklich, den Kopf. Nein, das trifft es auch nicht so ganz. Aber was soll er denn sagen, wenn es gar keine Worte für diese Gefühle gibt, die er damals gespürt hat?
Ein sonniger Vormittag in Würzburg, Obinger, 45, sitzt vor einer Kaffeerösterei, nur einen Freiwurf entfernt vom Mainfrankentheater. Allzu oft sei er zwar nicht hier im trubeligen und gehetzten Stadtleben, sagt Obinger – aber wenn ihm zu Hause, in Estenfeld, der Kaffee ausgeht, komme er gerne her, um einzukaufen. Jetzt sitzt er mit einer Packung Peru-Bohnen auf einem Hocker. Die Frühlingssonne meint es an diesem Vormittag besonders gut. Sie strahlt ihn von der Seite an – und das hat Symbolkraft: Matthias Obinger ist jetzt plötzlich im Licht.
Beinahe sechs Jahre nach seinem Abschied vom damaligen Zweitligisten Rimpar leitet er auf einmal die Mannschaft des HC Erlangen an. Auf dem Papier ist er zwar bloß Assistent von Johannes Sellin, aber in der Praxis arbeiten die beiden Hand in Hand. Obinger ist jetzt also Bundesliga-Trainer. Eine Position, in der man ihn eigentlich schon vor Jahren erwartet hatte.
„Irgendwann hat mein Berater mal gesagt: Viel mehr darfst du nicht ablehnen, sonst fragt bald keiner mehr nach dir.“
Es war eine gewaltige Leistung, dass er Rimpar 2017 an die Schwelle zur Bundesliga führte. Ein kleiner Klub ganz groß – und er, Obinger, führte die Feder, als die Wölfe ihre Erfolgsgeschichte schrieben. Obinger galt damals als eines der größten Trainertalente des Landes, 2019 zog er sich aber zurück und ging nur noch seinem Hauptberuf als Hochschullehrer nach. Heute sagt er über die Schnelllebigkeit des Sports: „Ich wollte mich nicht auf das Vabanquespiel einlassen.“ Kurze Pause – dann ruft er mehr, als dass er es sagt: „Nie!“
Was Obinger meint: „Es gab viele Anfragen, aber es wäre immer mit einem Umzug und der Unsicherheit verbunden gewesen, wie lange es geht. Und ich habe mir schon lange das Credo gegeben, nie abhängig vom Handball zu werden.“ Deshalb schlug er alle Anfragen aus, lehrte in Hochschulen und nahm in Kauf, im Handball mehr und mehr vergessen zu werden: „Irgendwann hat mein Berater mal gesagt: Viel mehr darfst du nicht ablehnen, sonst fragt bald keiner mehr nach dir.“
Aber dann, im Frühjahr des vergangenen Jahres, meldete sich Erlangens Präsident Carsten Bissel. Obinger machte Urlaub in Italien und war gerade um die Mittagszeit vom Strand in seine Ferienwohnung zurückgekommen. „Wenn Carsten Bissel anruft, überlegst du nicht, ob du es machst – sondern nur, wie du es möglich machst“, sagt Obinger und verrät: „Als ich aufgelegt habe, war für mich schon klar, dass es auf eine Zusage rausläuft.“
Jetzt, vor der Würzburger Kaffeerösterei, braucht Obinger nicht einmal zehn Minuten, um rüberzubringen, wie weit das Feuer um sich greift, das wieder in ihm ausgebrochen ist. Es ist, das spürt man, längst ein Flächenbrand. Weil er aber nie alles auf die Karte Handball setzen wollte, blieb er derart lange außen vor. Erst im Sommer 2024 konnte er nicht mehr anders. Er sagte Bissel zu und kehrte als Erlanger Berater und Kaderplaner in die Branche zurück. Als der Klub seinen Wiedereinstieg ankündigte, sei er regelrecht überflutet worden von einer Welle an Nachrichten und Glückwünschen. „Sogar Schiedsrichter haben sich gemeldet“, sagt Obinger und hört sich fast genauso ungläubig an wie in dem Moment, als er über die Max-Schmeling-Halle spricht.
Auf den Auswärtsfahrten schaut er Spiele der dänischen oder der serbischen Liga und arbeitet sich in die Details ein
Wenn er sich an das September-Spiel in Berlin erinnert, hat er etwas von kindlicher Freude in sich. Sie übermannt ihn – und wenn man Obinger genau beobachtet, spürt man, wie sehr ihn dieser Moment in der Max-Schmeling-Halle erfüllt hat. Jetzt, vor der Rösterei, ist er wieder in diesem Augenblick, als er einen Fuß in die Halle setzte. Er bedeutete ihm alles, auch wenn er seinerzeit, als Berater, noch im Hintergrund arbeitete. Er war zwar schon in den Tagesbetrieb des HCE eingebunden, aber erst seit der Trennung von Trainer Martin Schwalb ist er noch weiter nach vorn gerückt.
„Zu meiner Zeit in Rimpar konnte ich im Schlaf sagen, welcher Spieler wann welche Bewegung macht“, sagt Obinger, „das ist mir natürlich abhandengekommen. Da musste ich mich erst wieder reinfuchsen.“ Aber jetzt schaut er auf den Auswärtsfahrten mit Sellin Spiele der dänischen oder der serbischen Liga an und arbeitet sich in die Details ein. Obinger ist also wieder in seinem Element. Er lehrt zwar weiterhin an der Hochschule, aber der Handball hat ihn wieder. Und er hat den Handball.
Die Vereinbarung mit dem HCE gilt nur bis Saisonende. Wie es dann weitergeht, ist unklar. Die Erlanger stecken mitten im Abstiegskampf. Bei seinem Debüt überraschten sie zwar mit einem 33:33 gegen Hannover-Burgdorf, ein paar Tage später setzte es aber schon wieder einen Rückschlag: 24:30 in Lemgo. Derzeit ist Länderspielpause – für den HCE die Gelegenheit, sich auf die letzten 13 Spiele einzuschwören, in denen eine Menge auf dem Spiel steht. Erlangen ist Vorletzter, die Zugehörigkeit zur Bundesliga hängt am seidenen Faden.
Noch ist nicht abzusehen, welches Ende die Saison für den HCE nimmt, aber für Matthias Obinger ist eines schon jetzt klar: Selbst wenn es schiefgehen sollte, wird er nicht wieder fünf Jahre pausieren.