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Trailrunning: Viereinhalb Tage Laufen ohne Unterbrechung – Sport | ABC-Z

An der Talstation des Hausbergs in Garmisch-Partenkirchen haben sich rund 50 Menschen versammelt. Einige tragen Leggings, Laufschuhe und kleine Rucksäcke, andere stehen in dicken Daunenjacken vor dem schwarzen Zelt. Musik dröhnt aus Boxen, doch für Après-Ski liegt noch deutlich zu wenig Schnee. Was die Menschen hier zusammenbringt, ist ein „Backyard Ultra“ – ein extravagantes Laufevent, das vorsorglich auf 24 Stunden begrenzt ist. „Damit wir alle auch noch etwas vom Wochenende haben“, sagt Lisa Buddenberg und lacht. Sie gehört zu den „Nomads“, einer Trailrunning-Community in Garmisch-Partenkirchen, einem bunten Mix aus Einheimischen und Zugezogenen mit etwa 30 Aktiven.

Pünktlich um 16 Uhr ruft die 34-Jährige „Drei, zwei, eins!“ und lässt die hölzerne Startklappe fallen. Die Läuferinnen und Läufer sprinten los, begleitet von drei Hunden und einem Baby im geländegängigen Kinderwagen. Sie haben genau eine Stunde, um die 6,7 Kilometer lange Strecke zurückzulegen, was im Läuferjargon als Yard bezeichnet wird. Für Einsteiger gibt es in Garmisch eine kürzere Runde von 4,2 Kilometern, um möglichst viele zum Mitmachen zu motivieren. Ziel ist es, so viele Yards wie möglich zu absolvieren – jede Stunde startet eine neue Runde, bis nur noch der oder die Letzte übrigbleibt. Nach 24 Runden hätte man 100 Meilen zusammen, so die Theorie. Gelaufen wird auch nachts und trotz Kälte, Erschöpfung und der Versuchung, ins warme Bett zu gehen.

Die Idee hatte Lisa Buddenberg selbst, inspiriert durch die Team-Weltmeisterschaften im Backyard Ultra, die Mitte Oktober stattfanden. An 63 Orten weltweit absolvierten nationale Teams zeitlich unbegrenzt ihre Runden. Der „Backyard Ultra“, was so viel heißt wie Hinterhof-Langstreckenrennen, wurde 2011 von dem US-Amerikaner Gary Cantrell erfunden, der auch die legendären Barkley Marathons ins Leben rief. Bei der Team-WM gewinnt die Nation, die insgesamt die meisten Runden absolviert. Das deutsche Team, bestehend aus zwei Frauen und 13 Männern, lief in Nürnberg und belegte Platz 16, während Belgien mit beeindruckenden 1147 Runden den Titel gewann. Währenddessen stellten die drei letzten noch im Rennen verbliebenen Belgier auch den neuen Weltrekord auf: Sie beendeten den Backyard gemeinsam nach jeweils 110 gelaufenen Runden, was 737 Kilometern und viereinhalb Tagen entspricht. Megan Eckert holte ebenso bei der Team-WM mit 87 Runden den neuen Weltrekord der Frauen.

Die Strecke in Garmisch führt zunächst am Sportzentrum vorbei, wo sich die Nomads im Sommer wöchentlich zum Training auf der Tartanbahn treffen, und dann entlang des Waldes mit Blick auf die Berge. Die Sonne geht langsam hinter den Waxensteinen unter, der Himmel färbt sich hellorange. In der ersten Runde hilft die Aussicht noch gegen die Anstrengung, doch bald bricht die Dunkelheit herein. Die Crew stellt dann Kerzen an den Markierungen auf, die Läufer tragen Stirnlampen und Knicklichter, um für andere sichtbar zu bleiben. Bald zeigen sich erste Strategien: Eine Läuferin verlangsamt bergauf ihr Tempo, um Kräfte zu sparen, andere sprinten, als ginge es ums schnelle Ankommen – vielleicht auch, um mehr Zeit zur Regeneration zu haben. Auf Kilometer vier steht mit oranger Sprühfarbe „Habt Spaß“ auf dem Asphalt. Am Wendepunkt der Strecke läutet pünktlich die Zugspitzbahn bei Einfahrt in den Alpspitzbahnhof. Die ersten Läufer kehren nun wieder um und feuern die Entgegenkommenden an.

Offiziell ist das Rennen in Garmisch am nächsten Morgen um neun Uhr vorbei

„Eigentlich schade“, sagt Lisa Buddenberg, die aus der Nähe von Bielefeld stammt, „ich hätte die Challenge selbst gern ausprobiert.“ Im beheizten Zelt versorgt sie die Teilnehmenden mit Tee, Suppe, frischem Obst, Keksen und Gummitieren. In der Jugend Leichtathletin, begann sie vor sechs Jahren mit Trailrunning und schätzt den freiheitlichen Geist des Sports. „Es zählt nicht die Pace, sondern die Verbindung zur Natur“, sagt sie. Die Nomads sind für sie Sportgruppe und Freundeskreis zugleich.

Für Lisa Buddenberg und René Claußnitzer sind die Nomads Sportgruppe und Freundeskreis zugleich. (Foto: LRK/oh)

Um 17.36 Uhr kehren die ersten Läufer der zweiten Runde zurück. Flott seien sie unterwegs gewesen, sagt René Claußnitzer, einer der Gründer der Nomads. Aber bei ihm geht es heute nicht darum, die Challenge durchzuhalten. Er gehört auch zum Unterstützerteam. Vor vier Jahren zog der gebürtige Erzgebirgler nach Garmisch, um näher an den Bergen zu sein. Mit dem Laufen begann er vor acht Jahren, auch um Partys und Alkohol etwas entgegenzusetzen. Ihm fiel das leichter, wenn am nächsten Tag ein Halbmarathon anstand. Auch in Dresden hatte er damals eine Laufgruppe gegründet, die Pacekillers, die aber eher auf der Straße unterwegs waren. Mittlerweile nehmen auch die Communitys im Geländelauf zu, was ein weltweites Phänomen darstellt. Mit den Nomads holt der 34-Jährige inzwischen die Party auf den Trail, wenn sie etwa beim Zugspitz-Ultra, dem bekanntesten Trailrennen Deutschlands, mit Tröten, Glocken und Megafonen am Wegrand stehen und die Läuferinnen und Läufer anfeuern.

Worauf es heute beim Backyard Ultra ankommt? „Essen, Essen, Essen“, sagt Claußnitzer, der einen buschigen, langen, schwarzen Bart trägt und einen goldenen Nasenring. Dazu kommt noch Temperaturmanagement, also in den Pausen nicht zu sehr auszukühlen – und sich die Kräfte gut einzuteilen. Das Entscheidende sei aber der „Iron Mind“, also zu sagen, „hey, eine Runde geht immer noch“. Die Nomads hat er so benannt, weil die Gruppe offen für alle ist, egal ob die Person in Garmisch wohnt oder nicht oder welchen Hintergrund sie hat. „Bei uns geht es um die Gemeinschaft und die Freude am Laufen“, sagt er.

Offiziell war das Rennen in Garmisch am nächsten Morgen um neun Uhr vorbei; „last person standing“ war Monika Heitzinger, die schon in der ersten Runde ihre Geschwindigkeit bei leichten Anstiegen gedrosselt hatte. Zuletzt war sie nur noch allein auf der Strecke. Als sie ihren letzten Strich auf der großen Liste bei Runde 17 setzte, soll sie gesagt haben: „So, ich geh jetzt heim und duschen.“ Die Kälte habe sie dann doch „etwas geschlaucht“. Am Samstagnachmittag trifft sich die Community noch zum Weißwurstfrühstück. Ein paar laufen noch ein, zwei Runden in der Sonne, einfach zum Spaß – und darum geht es schließlich bei den Nomads.

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