Kultur

Tragik im Vornicht beachten: Alice Sara Ott spielt John Field und Beethoven | ABC-Z

Dass der Titel „Mondscheinsonate“ eine romantische Erfindung ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Vielen Hörern sind die – absichtlichen oder unabsichtlichen – Anklänge des Adagios dieser Sonate an das nächtliche Terzett aufgefallen, das auf den tödlichen Stich in das Herz des Komturs am Beginn von Mozarts „Don Giovanni“ folgt. Und weil diese Szene nachts spielt, muss man sich beim Abschied von der Mondschein-Assoziation nicht einmal besonders umgewöhnen.

Bei aller Skepsis gegenüber sprechenden Künstlerinnen und Künstlern: Es ist löblich, wenn Alice Sara Ott diese Bezüge vor der Aufführung von Beethovens Sonate Nr. 14 am Klavier vor Ohren führt und außerdem noch auf Gemeinsamkeiten mit einem Nocturne von John Field hinweist. Der nur mäßig bekannte und in Konzerten selten gespielte Mozart- und Beethoven-Zeitgenosse liegt der Pianistin derzeit besonders am Herzen, weshalb sie seine kurzen Klavierstücke als vermittelnden Kontrast zwischen die Aufführung der Sonaten Nr. 14, 19 und 20 mischte.

Alice Sara Ott interpretiert Field mit Sentiment, aber ohne Sentimentalität 

Wer am Anfang für einen Moment abgelenkt war, merkte womöglich gar nicht den Übergang zwischen Fields überraschend heiterem C-Dur-Nocturne und dem mozartnahen Perlen am Beginn der Beethoven-Sonate op. 49 Nr. 1, in denen nur für Momente der ruppige Tonfall des Komponisten aufblitzt. Und das spricht für Fields Qualität, dessen Musik die Pianistin mit Sentiment, aber ohne Sentimentalität interpretiert.

Die 1988 in München geborene Pianistin Alice Sara Ott.
© Hannes Caspar
Die 1988 in München geborene Pianistin Alice Sara Ott.

von Hannes Caspar

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Die Sonate op. 109 gelang Ott sehr ausgewogen. Das lyrische Intermezzo im Prestissimo-Mittelsatz wies bereits auf das Finale voraus, das die Pianistin stimmungsmäßig etwas einseitig als Gebet auffasst. Und leider wirkte der Übergang von der letzten Variation zur Rückkehr des Themas ein wenig gezwungen, wenn man allerhöchste Maßstäbe ansetzt.

Reden ist so heikel wie Schweigen

In der Sonate Nr. 14 baute die Pianistin die Entwicklung vom Adagio sostenuto über das Allegretto zum furiosen Presto agitato als Steigerung dramaturgisch sehr geschickt auf. Das Finale war zwar hörbar eine Höllenfahrt, ohne dass sich Alice Sara Ott zu knalligem Geknatter und rein äußerlicher Virtuosität hinreißen ließ. Und auch als Fortsetzung der „Don Giovanni“-Thematik überzeugt diese Sicht.

Die Münchnerin ist eben eine Pianistin mit Geschmack. Und davon profitiert der Miniaturist John Field mit seinen Nocturnes, die nicht nur traurig und verhangen, sondern oft auch hell und mittäglich klingen. Alice Sara Ott erfasst den Charakter dieser zwischen Mozart, Beethoven und Schubert changierenden Moments musicaux nicht nur am Klavier sehr genau, sie hat auch in alten Noten einen schönen Begriff dafür gefunden: „Tragik im Vorbeigehen“. Das trifft es sehr gut.

Zuletzt formulierte die Künstlerin ihre Sorgen über die Weltlage aus und forderte dazu auf, am Sonntag die Demokratie zu stärken, ehe sie sich mit Arvo Pärts „Für Alina“ verabschiedete. Niemand wird da widersprechen wollen, und es dürfte auch eine richtige Strategie sein, Anti-Demokraten allerorts klarzumachen, dass sie auch mit 20 Prozent in Umfragen nicht für die Mehrheit der übrigen 80 Prozent sprechen.

Aber genau das macht derlei Selbstbestätigungen allgemeinen Gutmenschentums ein wenig wohlfeil, wenn sie aus Höflichkeit unkonkret bleiben. Und das macht mutiges Reden in Konzerten so unbefriedigend wie ein feiges Schweigen, das allein die Kunst human sprechen lässt.


Alice Sara Otts Gesamtaufnahme der Nocturnes von John Field erschien bei der Deutschen Grammophon

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