Tränen und „Happy Birthday“ – Timo Bolls unvergesslicher Abend | ABC-Z

Die Szenerie an diesem Samtag Abend in Düsseldorf war einmalig: Eine dunkle Turnhalle, gebannte rund 1.100 Zuhörer und vorne im Rampenlicht stand ein zu Tränen gerührter Mann, der dort eigentlich gar nicht so gerne steht: Timo Boll. Beim Tischtennis-Spiel der Borussia gegen Ochsenhausen feierte der Rekordeuropameister einen großen Abschiedsabend, kurz vor seinem Karriereende im Sommer.
Laut schallte es vom Start weg mehr als nur einmal „Timo, Timo!“ mit Standing Ovations durch die Halle. Vor allem, als dieser nach der Partie das Mikrofon ergriff und in für ihn typischer Art und Weise erst einmal bescheiden all jenen Dank sagte, die ihn auf seiner langen und erfolgreichen Karriere begleitet hatten. Als bei dieser Danksagung seine Mitspieler und seine Familie an der Reihe waren, kullerten sie dann doch – die Tränen.
Tränen bei der Abschiedsrede
„Es ist ein sehr emotionaler Moment für mich. Ich darf auf eine ereignisreiche Karriere zurückblicken. Genau hier habe ich vor fast 30 Jahren meine ersten Ballwechsel in der Bundesliga spielen dürfen. Ich hatte immer Angst vor diesem Tag und diesem Moment. Denn es tut gewaltig weh, seiner großen Leidenschaft Lebewohl zu sagen“, erklärte er gerührt und führte an die Fans gewandt fort: „Es hat mir unfassbar Spaß gemacht, euren Tischtennis-Entertainer spielen zu dürfen!“
„Das ist ein Moment, den ich nie vergessen werde. Heute kam alles zusammen“, gab er hinterher am Sportschau-Mikrofon zu. Ganz in Vergessenheit geriet an diesem Abend nicht nur die 2:3-Niederlage seines Klubs Borussia Düsseldorf, sondern auch, dass Boll nicht nur Abschied feierte. „Mein Geburtstag ist etwas in Vergessenheit geraten. „, sagte er lachend. Doch nach einem wahren Ansturm an Interviewanfragen und Autogrammwünschen, durfte Boll privat mit den engsten Vertrauten etwas feiern.
Schon monatelang überall bejubelt
Der Abschied mit allen Fans startete dagegen bereits vor der Partie. Borussia Düsseldorf bereitete seiner Identifikationsfigur die große Bühne: Boll bekam einen Extra-Einlauf mit filmischen Szenen aus seiner Karriere, dazu ein Geburtstagsständchen der kompletten Halle. Fast schon skurril war es, als der Hallensprecher direkt danach daran erinnerte, dass übrigens noch ein Tischtennis-Spiel ausgetragen werden musste.
Diese Welle der Sympathie, die Boll an diesem Abend entgegen schlug, war jedoch nur ein Höhepunkt einer bemerkenswerten Abschiedstournee. „Das letzte Jahr war schon verrückt“, sagte der 44-Jährige. Landauf, landab standen die Leute in den Hallen der Bundesliga für ihn auf. Selbst bei seinem letzten internationalen Auftritt bei Olympia 2024 oder im Mutterland des Tischtennis, China, hielt es niemanden auf den Sitzen.
Sportliche Erfolge ohne Ende
Es zeigt: Die Verdienste des Odenwälders für den Tischtennissport in Deutschland und darüber hinaus sind kaum zu beschreiben. Über 25 Jahre prägte er die Weltspitze. Es ist kaum zu glauben, doch seinen ersten von 172 Nationalmannschaftsauftritten gab es im Jahr September 1997, also vor fast 28 Jahren, zu bestaunen. Im gleichen Jahr übrigens, als beispielsweise Schalke 04 den UEFA-Pokal gewann.
Alleine Bolls sportliche Triumphe könnten ganze Bücher füllen: 20 EM-Titel, neun WM- und vier Olympiamedaillen. Bis heute ist selbst von ausgewiesenen Tischtennis-Experten kaum zu erklären, dass der Odenwälder nie Gold bei einer WM oder bei Olympischen Spielen holte. Der geneigte Sport-Interessierte hat vielleicht neben seinen Tischtennis-Aktivitäten noch vor Augen, wie er 2016 bei Olympia in Rio de Janeiro die deutsche Fahne tragen durfte.
Bescheidenheit zeichnet Bolls Charakter aus
All das Sportliche greift jedoch viel zu kurz, um die Persönlichkeit der Tischtennis-Legende zu erfassen. Es ist vor allem das Menschliche bei all dem Erfolg, das Boll ausmacht. Stets nahm er sich Zeit für seine Fans, schrieb Autogramme bis weit nach Spielende – so wie an diesem Abend, obwohl er noch zur privaten Feier weiter muss. „Ich war auch mal ein kleiner Tischtennis-Fan“, erklärt beim Schreiben in die Runde und macht dann geduldig weiter.
Boll wird national und international geschätzt für seine Fairness, für seine Bescheidenheit und seinen Fokus der wichtigen Dinge im Leben. Fast schüchtern winkte er gegen Ochsenhausen bei seiner Ehrenrunde ins Publikum – als wäre ihm das Ganze eher unangenehm. Kaum sah man Boll während all seiner Auftritte aufbrausend, wütend oder meckernd. Immer noch wohnt er mit seiner Frau Rodelia und Tochter Zoe im beschaulichen Höchst. Und da kommt ein Rekordeuropamsiter in Düsseldorf auch mal in Schlappen und Jogginghose zur Trainingshalle und bietet Medienkollegen einen Kaffee an.
Sieg und Niederlage am Geburtstag
Es ist nicht verwunderlich, dass er mit einer anderen deutschen Sport-Legende sehr gut befreundet ist, der man die gleichen positiven und bescheidenen Attribute zuschreibt: Dirk Nowitzki. Dieser war an Bolls Abschiedsabend übrigens nicht in Düsseldorf zu Gast.
Am Tisch durfte der 44-Jährige gleich zweimal gegen Tiago Abiodun und Ochsenhausens Spitzenspieler Simon Gauzy zeigen, was er nach 25 Jahren in der Weltspitze noch immer leisten kann. Während er Tiago Abiodun mehrfach seine immer noch vorhandene Klasse spüren ließ, war Frankreichs Topsieler Gauzy an diesem Tag ein unüberwindbarer Gegner.
Boll mit Chance auf zwei Abschiedstitel
Dass es am Ende im Team nicht für den Sieg reichte, spielte kaum eine Rolle. Denn noch war es nicht das allerletzte Spiel in Bolls beeindruckender Karriere. Zwei Auswärtsspiele stehen für Düsseldorf in der Hauptrunde noch an – und für die TTBL-Playoffs ist die Borussia schon qualifiziert. Mindestens eine Partie wird in der heimischen Halle stattinden.
Auch in der Champions League könnte noch ein Titel folgen. Dort findet das Final Four Ende Mai ebenfalls mit Boll-Beteiligung statt. Der Rekordeuropameister verspricht einen großen Kampf um seine letzten Titel: „Jeder von meinen Teamkollegen würde mir diesen Traum noch gerne erfüllen. Wir haben uns alle Chancen offen gehalten.“ Es wäre der würdige Abschluss einer unglaublichen Karriere.