Tradition zu Weihnachten: Wo ist der Karpfen hin? – Starnberg | ABC-Z
Bevor man noch mit dem Fisch ins Haus fällt, fängt man am besten mit der Schuppe an. Nach getrockneten Karpfenschuppen, sagt der Starnberger Fischhändler Peter Dechant, werde zu Weihnachten nämlich nach wie vor gefragt, mehr noch als nach dem Karpfen selbst. Denn eine der Schuppen im Portemonnaie, das besagt die Tradition, soll dem Träger einiges an Glück bescheren.
Den ganzen Karpfen wiederum, selbst lange Tradition, weil an Heiligabend auf der gedeckten Tafel, wollen immer weniger Menschen kaufen geschweige denn essen. Einst so selbstverständlich wie Kartoffelsalat und Würstl, so
selbstverständlich wie Eier an Ostern, verschwindet der Teichfisch immer mehr von den Esstischen dieses Landes. Und mit ihm ein Stück Tradition.
Man kann sich jetzt das ganz große Bild anschauen. Kann feststellen, dass vor Jahrzehnten die Karpfenfischer weitaus größere Erträge einbrachten. Kann aufgrund von Zahlen, die das Statistische Bundesamt erhebt, sagen, dass auch in den 2010er-Jahren die gezüchtete Menge an Karpfen sank, mit Schwankungen zwar, aber immerhin. Oder man fragt einfach nach bei den Leuten nach, die es wissen müssen. Bei Fischhändlern.
Bei Peter Dechant etwa, dessen Fischladen in Starnberg weit über die Kreisstadt hinaus bekannt ist. Er sagt: „Karpfen war früher das eine Essen.“ Und heute? Sei das ganz anders, haben andere Fische dem Karpfen den Rang abgelaufen. Klar ist auch, Karpfen wird immer noch gegessen, erst recht zu Weihnachten, aber nicht mehr in der Menge wie einst.
Ähnliches hört man von vielen Fischhändlern im Fünfseenland. Barbara Mastaller-Gastl von der traditionsreichen Fischerei Gastl in Dießen am Ammersee etwa sagt: „Karpfen wird praktisch nur noch an Weihnachten nachgefragt und das sind auch nicht viele.“ Dafür würden andere Fische nachgefragt, sehr, sehr viele sogar.
Die Weihnachtszeit ist stressig
Und vielleicht muss man genau hier, an der Ladenkasse, ansetzen, um die langsam verschwindende Tradition des Weihnachtskarpfens zu beschreiben – und das, was ihr folgen könnte. Denn Gegenwart wird auch immer an der Verkaufstheke ausgehandelt. Nicht nur in der Kulinarik, aber vor allem dort.
Ein Freitag Anfang Dezember, ein Fischtag also. In Peter Dechants Laden ist es voll und laut. Kundinnen und Kunden besorgen Fischsalate, Fonds, vor allem aber frischen Fisch. Der Inhaber wartet nicht in seinem verwinkelten Laden, der in einem mehrere Jahrhunderte alten Haus ist, sondern in einem Café auf der anderen Straßenseite. Er trägt eine schwarze Mütze und eine blaue Weste, beide mit Firmenlogo, und begrüßt einen mit festem Handschlag.
Dechant ist gebürtiger Starnberger, mit 16 Jahren fing er seine Fischerlehre an, allerdings nicht im elterlichen Betrieb, sondern am Bodensee. Fisch, das kann man so platt sagen, ist sein Ding. Irgendwo – ob Frühstück, Mittagessen oder Abendbrot – dürfte bei ihm immer ein bisschen Fisch dabei sein, sagt er.
Für Fischhändler wie ihn ist es gerade eine stressige Zeit. Der ganze Lebensmittelhandel macht kurz vor Weihnachten das Geschäft des Jahres. Noch vor Ostern, und auch leicht vor Silvester. „Und Fisch“, sagt Dechant, „ist da besonders extrem: Denn da konzentriert es sich auf die letzten zwei Tage.“ Denn der Fisch soll ja vor allem eines nicht: schlecht werden.
„Hochwertiger Fisch wird an Weihnachten besonders nachgefragt“, sagt Dechant. Lachs in allen Variationen, frisch, geräuchert, gebeizt. Saibling. Thunfisch. Aber auch Jakobsmuscheln und Austern. Ein großer Aufwand, schon rein logistisch. In manchen Jahren stellen sie einen zusätzlichen Kühllaster auf, um die Mengen zu bewältigen.
Dafür, dass weniger Karpfen gegessen wird als früher, hat Dechant Verständnis. Logisch sei es ohnehin, die Vorlieben bei den meisten Fischessern zeige eindeutig Richtung Salzwasserfische. Hinzu kommt: Karpfen ist geschmacklich nicht jedermanns Sache. Lachs zum Beispiel sei viel einfacher zugänglich, was auch den andauernden Hype um Lachs erkläre, sagt Dechant. Zudem sei er selbst kein Fan davon, Fisch jeder Art „blau“ zu servieren, also ihn zu garen, wie man es mit klassischen Weihnachtskarpfen oft mache. Er bevorzuge Fisch aus dem Ofen. „Gemüsebett, Kräuter, ein wenig Öl und den Ofen auf Umluft“ – mehr brauche es eigentlich nicht.
Barbara Mastaller-Gastl aus Dießen hat die zahlreichen Gräten des Karpfens in Verdacht, die so manchem den Appetit verderben dürften. Sie betont aber auch: In klassischen Teichfischereigegenden wie Franken und Sachsen halte sich die Tradition. Und in Osteuropa, wo der Weihnachtskarpfen immer noch weitverbreitet sei, ohnehin. Viele derjenigen, die bei ihr noch Karpfen kaufen, seien aus Osteuropa zugewandert, sagt Mastaller-Gastl. „Die können damit noch richtig was anfangen“, etwa eine Karpfenmilchsuppe daraus machen.
Dass Karpfen überhaupt zu einem Weihnachtsgericht wurde, hat religiöse Gründe. Heiligabend galt früher noch als Teil der Fastenzeit. Fisch wiederum galt nicht als Fleisch, weswegen Karpfen seelenruhig gegessen werden konnte. Speziell nach Südbayern sei der Weihnachtskarpfen unter anderem über viele sudetendeutsche Familien gekommen, die hier nach dem Zweiten Weltkrieg neu Fuß fassen mussten, sagt Dechant.
Sushi-Abende lösen alte Traditionen ab
Und jetzt? Entstehen neue Traditionen, zumindest im Kleinen – und nicht mehr an religiöse Feiertage gebunden. Dechant hat da auch ein Beispiel, auf das er immer wieder zurückkommt. Er beobachte nämlich, wie junge Erwachsene, so im Alter von 25 bis 45 Jahren, zunehmend bei ihm in Laden vorbeischauen und große Mengen rohen Fisch bestellen, um Sushi daraus zu machen. Vor allem natürlich Lachs, aber nicht nur.
Die jungen Kunden würden dann damit gemeinsame Sushi-Abende machen, mit Freunden und Familie. Dechant sagt, diese Sushi-Feiern hätten einen „Event-Charakter“, neue Traditionen halt. „Ich finde“, sagt Dechant, „im Süden wird der Fisch eher zelebriert.“ Und diese Abende seien nun einmal auch ein Ausdruck dessen. Letzten Endes, sagt Dechant, komme es doch darauf an, den Kunden glücklich zu machen. Ganz egal ob Rotbarsch oder Lachs, ob Jakobsmuschel oder Karpfen.