Tour de France: Toursieger Tadej Pogačar – beim vierten Mal ein anderer | ABC-Z

Tourreporter
Tadej Pogacar gewinnt zum vierten Mal die Tour de France. Seine Überlegenheit bleibt unangefochten. Doch der Slowene ist in diesem Jahr nicht mehr der Junge mit dem Rad, der einfach nur spielen will.
Tadej Pogacar stand ganz in Gelb gekleidet auf dem Podium in Paris und fühlte sich unwohl. “Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt hier zu stehen und vor so vielen Menschen zu sprechen”, sagte Pogacar. Dabei war es ja nicht das erste Mal, dass er dort oben stand, die Champs Élsysées vor Augen. Aber vielleicht wird so ein Moment tatsächlich nicht zur Routine.
Vier Mal hat Tadej Pogačar nun bereits die Tour de France gewonnen. Im Alter von 26 Jahren hat das noch kein Radprofi geschafft. Und es fällt schwer zu glauben, dass darauf kein fünftes, sechstes oder gar siebtes Mal folgen wird. Die Dominanz mit der Pogacar auch in diesem Jahr die Frankreich-Rundfahrt wieder bestritten hat, spricht dafür, dass weitere Toursiege folgen werden.
Vingegaard scheint zu resignieren
Selbst Jonas Vingegaard, der in diesem Jahr in bester Verfassung am Start stand und lediglich beim ersten Zeitfahren am fünften Tag der Tour deutlich unter seinen Möglichkeiten blieb, war in den vergangenen drei Wochen chancenlos gegen Pogačar. Der Däne wirkte am Ende fast schon resigniert und ratlos, angesichts der Übermacht seines Konkurrenten.
Dabei war Vingegaard mit knapp viereinhalb Minuten Rückstand nach 3.300 Kilometern noch vergleichsweise nah dran. Der Gesamtdritte Florian Lipowitz lag schon mehr als zwölf Minuten zurück, der Franzose Jordan Jegat auf Rang zehn, hat mehr als eine halbe Stunde länger gebraucht. Und ab Platz 13 betrug der Rückstand schon mehr als eine Stunde.
Jonas Vingegaard (l.) und Tadej Pogacar
Ernsthaft und am Ende auch müde
Doch trotz aller Überlegenheit, Pogačar war bei seinem vierten Toursieg ein anderer als bei den drei Erfolgen davor. Nicht mehr der neue Kannibale mit dem Gesicht eines Lausbuben, der das größte und härteste Radrennen eher als ein Spiel betrachtete, bei dem er maximalen Spaß haben wollte, mit jeder Kamera flirtete und Quatsch machte auf seinen Social-Media-Kanälen.
Das gab es diesmal nicht. Pogačar wirkte in diesem Jahr ernsthafter, am Ende auch müder, manchmal auch genervt. Ob er Angst vor einem Burn out habe, wurde am späten Abend in Paris gefragt. im vergangenen Jahr hätte er die Frage wahrscheinlich abgetan, aber nun beantwortete die Frage ausführlich.
“Sollte ich einen Burn out bekommen, könnte ich meine Karriere beenden und könnte glücklich sein damit, was ich erreicht habe”, sagte Pogačar. Radprofis seien manchmal zu obsessiv mit ihrem Training und würden dann früh in der Saison müde, müssten dann aber trotzdem weiter Rennen fahren. “Burn outs kommen häufig vor und natürlich kann es auch mich treffen.”
Der Kannibale mit dem Lausbuben-Gesicht ist weg
Die Jahre an der Spitze scheinen in der Tat jetzt schon ihren Tribut zu zollen: Als Pogačar 2020 erstmals bei der Tour erschien, war er der Neue, das Wunderkind, ein junger Draufgänger, der das Rennen auf den Kopf stellte, als er seinem Landsmann Primož Roglič am vorletzten Tag noch das Gelbe Trikot entriss. Im Jahr darauf fuhr er praktisch ohne Konkurrenz.
Er machte allerdings erstmals Bekanntschaft mit einem jungen Dänen, der eigentlich als Helfer für Primož Roglič vorgesehen war, nach dessen Ausscheiden aber auf Rang zwei fuhr. In den beiden Jahren darauf reklamierte Vingegaard das Gelbe Trikot für sich und brachte Pogačar 2023 seine vielleicht größte Niederlage bei. “Ich bin weg, ich bin tot”, funkte Pogačar damals am Col de la Loze. Rund siebeneinhalb Minuten lag er am Ende in Paris hinter Vingegaard.
2024 kam Vingegaard mit der Erfahrung eines Horrorsturzes, der ihn um sein Leben hatte fürchten lassen, nach Frankreich. Er war trotzdem gut, aber nicht gut genug für Pogačar, der nicht nur Gelb und das Bergtrikot gewann, sondern auch noch sechs Etappensiege feierte.
Sieger Gesamtwertung | 2020, 2021, 2024, 2025 |
Sieger Bergwertung | 2020, 2021, 2025 |
Etappensiege | 21 |
Tage im Gelben Trikot | 54 |
Der Vorwurf: Pogačar langweilt sich
Es waren auch in diesem Jahr wieder vier Etappensiege. Aber der Eindruck war, dass es durchaus noch zwei, drei mehr hätten sein können. Pogačar, so schien es, verzichtete jedoch darauf, einfach alles mitzunehmen. Der Slowene gewann vor allem die Etappen, auf die es ankam. Nachdem er im ersten Zeitfahren unerwartet mehr als eine Minute auf Vingegaard gewonnen hatte, tütete er das Gelbe Trikot auf den ersten beiden Pyrenäenetappen endgültig ein.
Das Rennen war da erst zur Hälfte rum, aber danach musste Pogačar die mehr als vier Minuten Vorsprung auf den Dänen nur noch verwalten. Weder auf der prestigeträchtigen Etappe zum Mont Ventoux, noch in den Alpen versuchte er ernsthaft, einen weiteren Tageserfolg einzufahren. Dabei hatte er noch in der ersten Woche erklärt, er werde nicht aufhören zu gewinnen, denn dafür werde er schließlich bezahlt.
Dass Pogačar in den Alpen keine Anstalten machte, seinen nunmehr 21 Etappensiegen einen weiteren hinzuzufügen, obwohl es durchaus Gelegenheiten gegeben hätte, brachte ihm in Frankreich den Vorwurf ein, er langweile sich offensichtlich. Französische Ex-Profis und Journalisten warfen ihm deshalb Respektlosigkeit gegenüber dem Nationalheiligtum Tour de France vor.
“Ich bin wirklich krank”
In Wahrheit war Pogačar offensichtlich krank. In La Plagne saß er am Freitag nach zwei kalten verregneten Tagen versunken in eine dicke Daunenjacke mit Mütze auf dem Kopf bei der obligatorischen Pressekonferenz. Es wirkte als habe er Schüttelfrost. Einen Tag später, als das Peloton wieder durch Starkregen gefahren war, antwortete er auf die letzte Frage nur kurz, um dann abzubrechen mit den Worten: “Ich bin wirklich krank.”
Unabhängig von seinem Gesundheitszustand, hat sich mit der unangefochtenen sportlichen Dominanz des Slowenen aber auch eine grundsätzlich neue Ernsthaftigkeit eingestellt. Pogačar war nicht zu Scherzen aufgelegt diesmal, auch sein Lächeln wirkte nicht mehr jugendlich unbekümmert und mit den Kameras flirtete er auch zu Beginn der Rundfahrt nicht. “Ich bin gereift, erwachsender geworden”, sagte Pogačar. “Es ist meine sechste Tour gewesen. Ich kann selbstbewusster sein, nun, da ich mehr Erfahrung habe.”
Die Rolle des Patrons
Mit der Reife geht scheinbar auch ein neues Rollenverständnis einher. Erstmals wirkte Pogačar fast wie der Patron des Pelotons. So wie es die großen Toursieger immer waren, die stets auch eine gewisse Härte zeigten. Er kritisierte in der ersten Woche das taktische Verhalten von Vingegaards Team Visma–Lease A Bike, ließ seinen Helfer Nils Politt Angreifer zusammenstauchen, die einen Ausreißversuch starteten, als ein Teil des Pelotons sich noch am Straßenrand erleichterte und maulte, die Strecke sei wohl entworfen worden, um ihm Angst zu machen, weil er in Hautacam, auf dem Mont Ventoux und am Col de la Loze schon von Vingegaard abgehängt worden war.
Und wie bei den Dominatoren von einst, gibt es inzwischen warnende Stimmen aus dem Radsport selbst, die von Eintönigkeit und Langeweile sprechen. Dass sein Siegeshunger bei der Konkurrenz auf Kritik stößt und er sich damit womöglich wenig Freunde machen könnte, quittierte Pogačar mit einem Achselzucken: Mit 99 Prozent der anderen Fahrer im Peloton werde er nach seiner Karriere nichts mehr zu tun haben.
Auch die ewige Skepsis, mit der Pogačar – trotz seiner Beteuerung sauber zu sein – schon seit langem konfrontiert ist angesichts seiner Überlegenheit, den immer neuen Geschwindigkeitsrekorden wie etwa in diesem Jahr am Mont Ventoux und seines mit einschlägiger Dopingvergangenheit versehenen Umfelds, ficht ihn längst nicht mehr an.
In Paris wirkte Pogačar jedoch so müde wie nie zuvor, auch wenn er es auf der spektakulären letzten Etappe dort noch einmal wirklich wissen wollte. An diesem Tag aber fand er seinen Meister in Wout van Aert. Dies sei vielleicht die härteste Tour, die er je gefahren sei, sagte der Slowene.
Eine Pause will der Slowene dennoch nicht einlegen. Wahrscheinlich werde er schon am Dienstag wieder auf dem Rad sitzen, eine Kaffee trinken und den Sommer daheim in Monaco genießen. Also einfach der Junge sein, der Spaß hat.