Sport

Tour de France: Lipowitz wird Opfer der Taktik und des eigenen Übermuts | ABC-Z


Tourreporter

Stand: 24.07.2025 22:36 Uhr

Florian Lipowitz verliert auf dem Col de la Loze Zeit und hat als Gesamtdritter nur noch 22 Sekunden Vorsprung auf Rang vier. Auch das Weiße Trikot ist in Gefahr. Die Gründe sind taktische Fehleinschätzungen seines Teams und ein übermütiger Angriff.

Regen und Hagel hatten längst aufgehört oben auf dem Col de la Loze, der Tourtross quälte sich den Berg hinunter, vorbei an den Teamhotels. Dort dürfte es einige angeregte Diskussionen gegeben haben. Es gab ja einiges aufzuarbeiten nach diesem “brutalen Tag”, wie der zweimalige Toursieger Jonas Vingegaard die 18. Etappe hinterher bezeichnete. “Ich weiß nicht, ob ich schon jemals einen so harten Tag erlebt habe bei der Tour de France”, sagte der Däne.

Es war ein Tag gewesen, an dem sich die Rennsituation permanent geändert hatte und es taktische Fehleinschätzungen, geplatzte Allianzen, Gewinner und Verlierer gegeben hatte. Zu Letzteren gehörte auch Florian Lipowitz – zumindest auf dem Papier.

Das Team entscheidet sich für Offensive

Der junge deutsche Radprofi hatte auf dem Col de la Loze mehr als anderthalb Minuten von seinem Vorsprung auf Rang vier in der Gesamtwertung eingebüßt. Der Schotte Oscar Onley liegt jetzt nur noch 22 Sekunden hinter Lipowitz und droht ihm nicht nur den Platz auf dem Podium in Paris, sondern auch das Weiße Trikot des besten Jungprofis streitig zu machen.

Lipowitz war dabei nicht nur ein Opfer seines eigenen Übermuts, sondern auch der Taktik seines eigenen Teams sowie der Rennumstände geworden. “Unsere Strategie war es, aktiv zu fahren und Druck auf unsere Konkurrenten um den Podiumsplatz auszuüben”, gab der Sportliche Leiter der Red Bull-Bora-hansgrohe-Mannschaft, Enrico Gasparotto, später zu Protokoll.

Aus diesem Grund hatte die deutsche Equipe ihren nominellen Kapitän Primoz Roglic in eine Ausreißergruppe geschickt, der vor der Etappe im Gesamtklassement nur 38 Sekunden hinter Onley auf Rang fünf gelegen hatte. Das schien auch prima zu funktionieren, bevor auf dem zweiten Anstieg des Tages, dem Col de la Madeleine, der Kampf um das Gelbe Trikot entbrannte.

Vingegaard isoliert Pogacar – und Lipowitz

Dort hatte Vingegaards Team Visma-Lease A Bike das Tempo derart forciert, dass Vingegaard mit einer Attacke zwar nicht seinen Rivalen Tadej Pogacar abschütteln konnte, aber den in Gelb fahrenden Slowenen von seinen Teamkollegen isoliert hatte. Dadurch fand sich Lipowitz plötzlich alleine wieder: vor ihm Pogacar und Vingegaard, die zu Roglic aufgeschlossen hatten. Onley lag deutlich hinter ihm. “Da ist er ruhig geblieben und hat seinen Rhythmus gefunden”, lobte Gasparotto hinterher.

Lipowitz fuhr in der Tat stark und fand unten im Tal dann sogar wieder Anschluss an die Gruppe um das Gelbe Trikot, weil Vingegaard und sein Teamkollege Matteo Jorgenson keine Allianz zustande brachten, um den Vorsprung nach hinten weiter auszubauen. Jorgenson bemühte sich lautstark, aber vergeblich darum, Felix Gall dazu zu bringen, in die Führung zu gehen – obwohl der als Siebter des Klassements durchaus Interesse daran haben musste, Zeit auf die zu diesem Zeitpunkt abgehängten Lipowitz und Onley herauszufahren.

Primoz Roglic in der Ausreißer-Gruppe bei der 18. Etappe der Tour de France

Lipowitz attackiert und fährt damit in “die Hölle”

Vingegaard und Jorgenson stellten daraufhin die Tempoarbeit ein, weil dies vor allem Pogacar genutzt hätte. Stattdessen sprang Jorgenson der Attacke des späteren Etappensiegers Ben O’Connor und des Kolumbianers Einer Rubio hinterher. “Wir wollten nicht mit Tadej im Windschatten fahren, daher war es für uns besser, von hinten zu kommen und Matteo an der Spitze zu haben”, erklärte der Sportdirektor von Visma-Lease A Bike, Grischa Niermann, später.

Lipowitz nutzte diese Konstellation zu einer eigenen Attacke, die ihm zwar zunächst drei Minuten Vorsprung auf die Gruppe um Pogacar und Vingegaard einbrachte, ihn auf den letzten beiden Kilometern hinauf zum Col de la Loze dann aber “die Hölle” erleben ließ, wie er später gestand.

Sein Team hatte dennoch nicht die Absicht, Lipowitz’ Offensivdrang zu bremsen. “Florian ist ein junger Fahrer bei seiner ersten Tour de France, er fährt gerne offensiv. Und manchmal muss man etwas riskieren, um etwas zu gewinnen”, sagte Gasparotto. “Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man. Das ist etwas, wodurch man lernt und sich weiterentwickelt.”

Lipowitz und Roglic haben immer noch die besseren Karten

Daran ist nicht zu zweifeln, aber am Ende war nicht nur Lipowitz, sondern auch sein Teamkollege Roglic ein Verlierer. Denn Oscar Onley, der fast bis zum Schluss bei Pogacar und Vingegaard geblieben war, machte nicht nur mehr als anderthalb Minuten auf Lipowitz gut, sondern baute auch seinen Vorsprung auf Roglic um 48 Sekunden aus.

Die Frage, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, wenn Roglic und er am Schlussanstieg gemeinsame Sache gemacht hätten, verneinte Lipowitz. “Wir haben beide offene Rollen und ich glaube, wenn man einen guten Tag hat und nicht Zeit verlieren kann, dann muss man auch fahren.”

Der Kampf um Platz drei in Paris ist also weiter offen, auch wenn das Red-Bull-Duo immer noch die besseren taktischen Möglichkeiten gegenüber Onley hat, der weitgehend auf sich alleine gestellt ist. Der Kampf um das Gelbe Trikot dürfte nach der Königsetappe dagegen bereits entschieden sein – obwohl Jonas Vingegaard auf dem Col de la Loze tapfer behauptete: “Es ist noch nicht vorbei.”

Pogacar sieht den Tag als Sieg

Doch was auch immer sie bei Visma-Lease A Bike versuchen: Sie können Tadej Pogacar nicht in Bedrängnis bringen. Im Gegenteil – Pogacar konnte seinen Vorsprung erneut um ein paar Sekunden ausbauen. Ihn trennen jetzt bereits rund viereinhalb Minuten von seinem Rivalen. Das Ziel des Tages sei es gewesen, Gelb zu verteidigen, sagte Pogacar. “Insofern begreife ich den Tag heute als Sieg.”

Vingegaards Sportdirektor Grischa Niermann klang dann auch schon deutlich pessimistischer vor der letzten Bergetappe am Freitag: “Wir haben alles versucht, aber der stärkste Fahrer trägt das Gelbe Trikot. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Ergebnis morgen das gleiche sein wird.”

Back to top button