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Totalversagen im Bundestag: Merz mangelbehaftet, Demokratie mangelbehaftet, alle blamiert | ABC-Z

Erst eine Mehrheit mit der AfD, dann eine dramatisch eingeleitete Niederlage: Ohne jeden Effekt auf die Migrationspolitik hat Unionskanzlerkandidat Merz für eine historische Bundestagswoche gesorgt. Doch der teils inszenierte Furor von SPD und Grünen ist nicht minder schädlich. Im Parlament ist viel zu Bruch gegangen, zu viel.

Wie schnell doch die Dinge den Bach runtergehen können. Wer an diesem Tag nicht die Volten hinter den Kulissen des Bundestags und die flammenden Reden im Plenum verfolgen konnte, kann das Geschehene kaum nachvollziehen. Wer aber konnte und wollte, geht mit Kopfschmerzen und Bauchweh ins Wochenende.

Kopfschmerzen, weil kaum zu begreifen ist, wie sich die Verantwortlichen von Union, SPD, Grünen und FDP binnen einer Woche derart verrennen und überwerfen konnten. Bauchweh, weil das nun zerrissene Tischtuch zwischen den demokratischen Parteien erschreckend den viel beschworenen Weimarer Verhältnissen vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten ähnelt. So weit ist es zwar längst nicht, doch die Richtung ist eindeutig.

Den Anfang machte Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz. In seiner verständlichen Empörung über die Messermorde von Aschaffenburg hat der CDU-Chef unmittelbar nach der Tat zwei Entschließungsanträge und das Zustrombegrenzungsgesetz angekündigt. Deren Inhalte waren bis zum Mittwoch für die Union nicht verhandelbar. Als dann tatsächlich einer der beiden Entschließungsanträge nur mit den Stimmen der AfD zu einer Mehrheit kam, war es für eine Korrektur beinahe schon zu spät. Aus ehrlichem Entsetzen einerseits und eigennützigem Wahlkampfkalkül andererseits gingen SPD und Grünen auf die Barrikaden: nicht mit brennenden Reifen, dafür mit teils uferlosen Faschismus-Vorwürfen in Richtung Union und nur noch höchst eingeschränkter Verhandlungsbereitschaft.

So blieben denn auch alle Versuche beider Seiten ergebnislos, in letzter Minute doch noch eine für alle gesichtswahrende Lösung zu finden. Über Stunden wurden Debatte und Abstimmung über das Zustrombegrenzungsgesetz für weitere Gespräche hinausgezögert. Eine Rücküberweisung in die Ausschüsse kam dennoch nicht zustande: Union und FDP machten zwar allerlei Angebote, doch das Gesetz blieb für sie im Kern unverhandelbar. Zu wenig aus Sicht von Grünen und Sozialdemokraten, um Merz doch noch aus der selbst gegrabenen Grube zu helfen.

Völlig verkalkuliert

So kam es zum Showdown, den Merz eigentlich nur verlieren konnte: eine Mehrheit nur mit AfD-Stimmen oder eine Niederlage. Es wurde Letzteres: Bei der FDP gab es zu viele Abgeordnete, die ihrer Fraktions- und Parteispitze die Unterstützung verweigerten. Auch ein Dutzend Christdemokraten folgte lieber Angela Merkels Warnung vor der AfD als Friedrich Merz‘ Führungsanspruch.

Tapfer behauptete Merz hernach, das sei dennoch eine fruchtbare Debatte gewesen. Doch hinter den Kulissen müsste er toben: Er hat sich völlig verkalkuliert. In Sachen Migrationspolitik hat er nichts erreicht. Hätte er auch nicht mit einer Mehrheit, weil das Zustrombegrenzungsgesetz im Bundesrat keine Mehrheit gefunden hätte – auch wegen renitenter CDU-Ministerpräsidenten wie Kai Wegner. Der im Bundestag erfolgreiche Entschließungsantrag bleibt ohnehin folgenlos, weil nicht bindend für die Bundesregierung. Merz würde hier wohl argumentieren, dass er zumindest demonstriert habe, dass er alles zu unternehmen bereit sei für eine wirklich andere Migrationspolitik.

Doch gewinnt die Union die Wahl, braucht sie Koalitionspartner. Merz hat offenbar völlig unterschätzt, wie heftig die Anwürfe gegen seine Person und Partei nach dem Abstimmungsergebnis vom Mittwoch ausfallen würden. Merz habe die „Lebensader der Demokratie“ beschädigt, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich im Bundestag. Denkbar, dass die SPD nach dem 23. Februar trotzdem mit der Union koaliert. Aber auch mit einem Kanzler Merz? Und wie sehr wird die Union an Merz festhalten, sollten CDU und CSU nach dieser Woche deutlich unter 30 Prozent absacken?

Unerbittliche Sozialdemokraten und Grüne

Über Merz‘ aufrichtige Motive und persönliche Integrität lässt sich anhand der Ereignisse so oder so urteilen. Auf sein strategisches Geschick, auf seine Weitsicht auch in Drucksituationen aber wirft die Woche ein denkbar schlechtes Licht: Dreieinhalb Wochen wird es nun vor allem um Merz‘ vermeintliche AfD-Nähe und das Thema Migration gehen statt um Wirtschaftspolitik. Dabei ist dieses Thema den Menschen noch immer am wichtigsten und sie rechnen CDU und CSU hier die größte Kompetenz zu. Möglich, dass Merz tatsächlich an seiner berüchtigten Impulsivität scheitert. Nicht unmöglich aber auch, dass ihn die Wählerinnen und Wähler genau dafür belohnen werden.

Zudem ist Merz‘ Fehleinschätzung von SPD und Grünen zum Teil nachvollziehbar. Wie unerbittlich Rednerinnen und Redner beider Parteien am Freitag mit Merz abrechneten, machte Staunen. Das permanente Infragestellen von Merz‘ Charakter, die Unterstellung einer nahenden Koalition aus Union und AfD war nicht nur für Merz kränkend. Viele aufrichtige Demokratinnen und Demokraten in der Unionsfraktion empfanden die Auftritte von ihren rot-grünen Kollegen als ehrabschneidend. Wer weiß, ob die vielen heftigen Vorwürfe die Union nicht noch mehr zusammengeschweißt haben? Die elf Abweichler in der Union waren allesamt Merkel-Getreue, die überwiegend nicht erneut kandidieren.

Ein vergiftetes Angebot

Auch die Kompromissangebote von SPD und Grünen waren giftig. Ein Versprechen, zumindest wesentlichen Teilen des Zustrombegrenzungsgesetzes nach erneuten Verhandlungen zuzustimmen, konnten sie sich nicht abringen. Dabei entsprachen etwa die erweiterten Befugnisse für die Bundespolizei weitgehend SPD-Forderungen. Als Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge kurz vor der finalen Abstimmung noch einmal anbot, das Gesetz gemeinsam in die Ausschüsse zurückzuüberweisen, kam sie nicht ohne erneute Vorwürfe aus. Die Union sei verantwortlich dafür, dass die Menschen „Angst“ vor einer Regierung der Rechtsextremisten hätten, sagte sie da. Reicht man so jemandem die Hand?

Aber darum ging es SPD und Grünen bei ihrem vermeintlichen Kompromissangebot auch gar nicht. Sie erzwangen lediglich, dass Union und AfD gemeinsam die Hand heben mussten, um gegen die Rücküberweisung zu stimmen. So entstand im Plenum jenes Bild, das die Union unbedingt vermeiden wollte: Sowohl über die Entschließungsanträge am Mittwoch als auch über das Zustrombegrenzungsgesetz wurde auf Betreiben der Union mit Namenskärtchen an der Urne abgestimmt. Wäre das Gesetz mit einer Mehrheit durchgekommen, die Mitte-Links-Parteien hätten mit dem Bild der gemeinsam erhobenen Arme von Unions- und AfD-Abgeordneten Kampagne gemacht. Vielleicht machen sie es auch so.

Viel Haltung, wenig Inhalte

SPD und Grüne haben sich seit Samstag entschlossen gezeigt, auf maximale Konfrontation mit Merz zu gehen. Deshalb warnt der um seine Kanzlerschaft kämpfende Olaf Scholz nun landauf, landab vor einer Regierung aus Union und AfD. Deshalb haben die Redner beider Parteien am Freitag viel darüber gesprochen, wie unmöglich gemeinsame Mehrheiten mit der AfD sind, aber fast gar nicht über die Inhalte des Zustrombegrenzungsgesetzes. Alle Inhalte ließen sie unter den Tisch fallen und verpassten darüber die Chance, darzustellen, was sie selbst für mehr geordnete Migration getan haben und künftig zu tun gedenken. Was mögen die vielen Menschen denken, die keine AfD-Wähler sind, aber nach Magdeburg und Aschaffenburg ein Signal der Veränderung erwarten?

Und so bleibt festzuhalten, dass am Anfang dieses denkwürdigen Sitzungstages im Bundestag zwar ein impulsiver Friedrich Merz stand, aber sich auch sonst kein Beteiligter mit Ruhm bekleckert hat. Im Gegenteil: Grüne und SPD sind derart hoch auf den Baum geklettert, dass sie kaum verletzungsfrei wieder herunterkommen. Dabei hatten Sozialdemokraten und Grüne doch immer wieder betont, dass die Parteien der demokratischen Mitte auch in Zukunft miteinander sprechen und regieren können müssen. Wie passt das zu dem, was sich in dieser Woche ereignet hat? Viele Fragezeichen, aber so ist das nun einmal, wenn die Politik Kopfschmerzen und Bauchweh bereitet.

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