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Torhüter und Bildhauer Chillida: San Sebastián ehrt den Künstler – Sport | ABC-Z

Man könnte eine Reihe von Vermutungen anstellen, die das Mysterium klären könnten, warum ausgerechnet Torhüter von der Muse geküsst werden; angefangen damit, dass sie gewissermaßen Eremiten des Rasens sind. Denn: Bedarf es nicht auch der Einsamkeit, um Kunst zu erschaffen? Julio Iglesias und Albert Camus zum Beispiel, sie waren sehr talentierte Torwächter, ehe sie Schnulzen sangen, beziehungsweise sich dem Existenzialismus hingaben; die einstige HSV-Legende Rudi Kargus wurde ein sehr respektierter Maler. Es gab einen weiteren Mann, der vom faszinierenden Torwart zum Künstler wurde, am Samstag wird aus Anlass des Spiels von Real Sociedad San Sebastián gegen Real Madrid an seinen 100. Geburtstag erinnert: Eduardo Chillida, einer der größten abstrakten Bildhauer des 20. Jahrhunderts, gestorben 2002.

Camus und Chillida war nicht nur die Rolle als Torwart gemein, sondern auch, dass sie dem Fußball zeit ihres Lebens dankbar waren. Camus versicherte, dass der Fußball ihm alles beigebracht habe, was er über „die Moral und Verpflichtungen des Menschen“ wusste; Chillida behauptete, dass er auf dem Rasen gelernt habe, Räume zu deuten. Nicht auf die banale Weise, die dem berühmten Bonmot des FC-Bayern-Profis Thomas Müller zugrunde liegt. Sondern im Wortsinn.

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Durch das Torgehäuse, so sagte es Chillida, werde der zweidimensionale Raum namens Spielfeld „zu einer Art Dieder“, also zu einer dreidimensionalen Form, in der sich „alle wirklich aktiven Phänomene des Fußballs abspielen“ – und die den Torwart dazu zwinge, „schnell und unmittelbar zeitlich-räumliche Intuitionen“ und „Beziehungen zu zwei Mysterien namens Zeit und Raum“ zu entwickeln. Der Vater der Kaiserslauterer Torwartschule, Gerry „Tarzan“ Ehrmann, würde das wahrscheinlich Strafraumbeherrschung nennen. Chillida aber, er sagte auch dies: „Die Anforderungen, die an einen guten Torwart und an einen guten Bildhauer gestellt werden, sind wahrscheinlich dieselben.“ Einen seiner Nachfolger, den großen Luis Arconada, hielt er als Torwart für so begabt, dass er ihm – erfolglos – dazu riet, ebenfalls Bildhauer zu werden.

Chillidas bildhauerisches Schaffen ist auch vor dem Bundeskanzleramt zu sehen

Chillida muss ein gigantisches Torwarttalent gewesen sein. Er hatte in der Saison 1942/43 in 14 Spielen des damaligen Zweitligisten Real Sociedad derart überzeugt, dass Real Madrid die Kosten der Operation tragen wollte, um Chillidas Knie zu retten und ihn als Keeper zu verpflichten. Auch Barcelona und Atlético waren hinter Chillida her. In jenen Tagen aber war ein Kreuzband- und Meniskusriss gleichbedeutend mit dem Karriereende. Seine Ehefrau Pilar erzählte gern, dass sie auf den Straßen von San Sebastián immer wieder mal dem Seufzer begegnete, was für ein Torwart der Real Sociedad verloren gegangen sei. „Was für einen Bildhauer die Welt dadurch gewann!“, habe sie entgegnet.

Massiv wie Chillidas Hände: seine Skulptur vor dem Bundeskanzleramt. (Foto: Ipon/Imago)

Viele der Skulpturen Chillidas stehen im öffentlichen Raum, unter anderem in Berlin vor dem Bundeskanzleramt. Dort sind zwei ineinandergreifende, vom Zahn der Zeit oxidierte Strukturen zu sehen, die sich leicht als Hände interpretieren lassen. Sie sind aus Stahl und massiv – so massiv wie die Hände Chillidas gewesen sein müssen.

Er sei ein Torwart gewesen, der den Ball geblockt und nicht pariert habe, erzählte dieser Tage sein Enkel Mikel dem Internetportal Relevo. „Die Skulpturen Chillidas sind sehr physisch, und der Torwart arbeitete mit den gleichen Händen wie der Bildhauer“, fügte er hinzu. Mikel Chillida wird am Samstag ebenfalls im Stadion sein und sehen, wie seine Real Sociedad mit einem eigens angefertigten Sondertrikot aufläuft. Eine Chillida-Zeichnung wird darauf zu sehen sein, sie heißt Ausgangspunkt, auf baskisch: „Abiagune II“.

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