Wirtschaft

Top-Ökonomen kennen den Ausweg: Ampel weg, Trump da – was die kriselnde Wirtschaft jetzt braucht | ABC-Z

Mehr Investitionen und höhere Rüstungsausgaben, weniger Bürokratie und niedrigere Energiekosten fordern renommierte Wirtschaftswissenschaftler bei ntv.de von der neuen Bundesregierung. Bei der Finanzierung scheiden sich die Geister. Doch eine Einigung muss her, und zwar schnell.

Ökonomen halten das Ende der Ampel-Koalition zwar grundsätzlich für richtig, dessen Zeitpunkt aber für höchst unglücklich. “Der Ampel-Ausfall in Berlin kommt zur Unzeit”, moniert Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), gegenüber ntv.de. Deutschland steht nun vor “monatelangem politischem Tauziehen” – ausgerechnet jetzt, wo Investitionen und massiv höhere Rüstungsausgaben in den Augen von Wirtschaftswissenschaftlern dringender denn je nötig wären. Die deutsche Wirtschaft steckt in einer jahrelangen Stagnation, und nun droht unter dem baldigen US-Präsidenten Donald Trump auch noch ein neuer Zollkrieg, der weiteres wertvolles Wachstum kosten dürfte. Die künftige Bundesregierung steht vor gewaltigen Herausforderungen.

Angesichts der russischen Bedrohung der NATO-Ostflanke werde Trump “uns gnadenlos erpressen”, warnt Schularick. “Um Trump ökonomisch die Stirn bieten zu können, müssen wir deshalb jetzt schnell für Sicherheit und Verteidigung sehr viel Geld in die Hand nehmen.” Daneben muss Ökonomen zufolge in die marode Infrastruktur, aber auch von der Wirtschaft selbst deutlich mehr investiert werden. “Deutsche Unternehmen haben über Jahre hinweg viel weniger in neue Technologien und moderne Maschinen investiert als ihre Wettbewerber aus den USA, China und sogar aus anderen EU-Ländern”, betont etwa Jens Südekum auf ntv.de-Anfrage. “Das muss sich dringend ändern, sonst verlieren wir immer weiter den Anschluss”, mahnt der Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, stellt gegenüber ntv.de klar: “Es sind die Unternehmen selbst, die für ihre Entwicklung zuallererst verantwortlich sind.” Der Staat habe eine nachgeordnete, wenn auch wichtige Rolle. Die Professorin für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München fordert von der neuen Bundesregierung vor allem Planungssicherheit – und zwar schnell. Planbarkeit und Verlässlichkeit seien in den vergangenen Jahren “durch die vielen großen Krisen, aber auch durch politische Uneinigkeit auf der Strecke geblieben”.

Starke Wirtschaft für Augenhöhe mit den USA

Auch Ifo-Chef Clemens Fuest betont gegenüber ntv.de: “Retten können die deutsche Wirtschaft nur die Unternehmen und ihre Beschäftigten.” Deutschland habe noch immer viele sehr gute Unternehmen und eine gut ausgebildete Bevölkerung, sagt Fuest. “Wir können unsere Probleme aus eigener Kraft lösen, wenn wir bereit sind, das wirklich anzugehen und Veränderungen zuzulassen.”

Wie diese Veränderungen aussehen und vor allem finanziert werden sollten, bewerten Ökonomen allerdings unterschiedlich. Das eher marktliberale Lager besteht auf einen “schlanken” Staat mit weniger Bürokratie, niedrigeren Kosten und Steuern sowie mehr Wettbewerb. Ex-Finanzminister Christian Lindners Grundsatzpapier zu einer “Wirtschaftswende”, in dessen Folge die Ampel-Koalition zerbrochen ist, sei ein “Schritt in die richtige Richtung”, teilt etwa Gunther Schnabl, Direktor der Denkfabrik Flossbach von Storch Research Institute, ntv.de mit. “Es ist zu hoffen, dass sich mit der Wahl eine Mehrheit dafür findet.”

Auch, um mit den USA auf Augenhöhe sein zu können, brauche Deutschland eine “starke Binnenwirtschaft, um weniger vom Export und von Investitionen im Ausland abhängig zu sein”, betont Schnabl. “Deutschland muss sich auf sich selbst verlassen können.” Ifo-Chef Fuest fordert “eine breite Agenda zur Stärkung der Bereitschaft, zu arbeiten und zu investieren”. Nötig seien dafür Reformen im Steuer- und Transfersystem, “damit Arbeit sich lohnt”.

Lindner habe sich bei der Schuldenbremse “radikalisiert”

Alle Parteien seien sich ziemlich einig, dass weniger Regulierung und Bürokratie Investitionen fördern würden, sagt Südekum. Daneben fordern eher verteilungsorientierte Wirtschaftswissenschaftler aber auch, dass der Staat Geld in die Hand nimmt, besser gesagt Kredite – also eine Reform der Schuldenbremse, um mehr kreditfinanzierte Investitionen zu erlauben. “Ohne eine solche Reform droht die neue Regierung am gleichen Hindernis zu scheitern wie die alte”, führt Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, gegenüber ntv.de aus. “Die massiven Investitionsbedarfe aus den bestehenden Budgets durch Kürzungen beim Sozialen herauszupressen”, sei “ökonomisch wie gesellschaftlich falsch”.

Durch eine expansivere Fiskalpolitik könnte Dullien zufolge auch der drohende “Schock durch Trump-Zölle zu einem beträchtlichen Teil” abgefedert werden. Der Ökonom hofft deshalb für die künftige Bundesregierung auf einen anderen Finanzminister. Lindner habe sich bei seiner Position zur Schuldenbremse “zunehmend radikalisiert” und das Verfassungsgerichtsurteil dazu “immer wieder ganz besonders streng ausgelegt”.

CDU-Chef Friedrich Merz hat sich bereits offen für eine Reform der Schuldenbremse gezeigt. Die sogenannten Wirtschaftsweisen, also der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, haben eine “stabilitätsorientierte” Reform der Schuldenbremse vorgeschlagen. Die Vorsitzende Schnitzer stellt allerdings infrage, ob es für die dazu nötige Verfassungsänderung “künftig noch eine Zwei-Drittel-Mehrheit von demokratischen Parteien geben wird”.

“Weniger planwirtschaftliche” Energiepolitik

IfW-Chef Schularick plädiert dafür, kreditfinanzierte Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse auszunehmen – noch vor der Neuwahl. “Dies ist der Moment, wo jede und jeder das Land über die eigene Partei stellen muss”, meint er. “Die Sicherheit Europas kann und darf nicht bis zu den Neuwahlen warten.”

Einig sind sich beide wissenschaftlichen Lager darin, dass die Energiekosten sinken sollten, wenn auch in unterschiedlicher Form. Während beispielsweise IMK-Chef Dullien einen Brückenstrompreis vorschlägt, bis die Preise durch den Zubau erneuerbarer Energien gesunken sind, ruft Ifo-Leiter Fuest quasi nach dem Gegenteil: einer “weniger planwirtschaftlichen und kleinteiligen” Energie- und Klimapolitik. Schularick macht sich für eine Senkung der Netzentgelte und Stromsteuer stark.

“Kluge Einwanderungspolitik” statt “toxischer Asyldebatte”

Daneben müsste die künftige Bundesregierung seiner Meinung nach mit einer “klugen Einwanderungspolitik” dafür sorgen, “dass die Diskussion um dringend benötige Fachkräfte aus dem Ausland nicht von einer toxischen Asyldebatte erstickt wird”. Während Schularick zudem Investitionsanreize für “Zukunftsindustrien” verlangt, fordert Dullien eine “passgenaue” Industriepolitik für zentrale Zukunfts- und Schlüsselbranchen, zu denen für ihn neben Halbleitern auch die Autoindustrie zählt. Schnabl betont ebenfalls die Bedeutung der Industrie als “Rückgrat des Wohlstands in Deutschland”. Die Industrieproduktion dürfe nicht weiter sinken. “Denn mit dem Verfall des Wohlstands nimmt auch die politische Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu.”

Ob nun vor allem mit einer starken Industrie oder anderen Branchen – auch mit Blick auf den möglichen Handelskrieg mit Trump muss die deutsche Wirtschaft nach Ansicht der Ökonomen schnell zu alter Stärke zurückfinden. Für “ausreichend Gewicht” bei globalen Verhandlungen muss Schnitzers Ansicht nach ganz Europa gestärkt werden, “als integrierter Wirtschaftsraum und politische Einheit”. Zudem “sollten wir auch Gegenmaßnahmen in der Schublade haben, damit Trumps Deals entweder für ihn teurer werden oder er sogar ganz davon ablässt”, sagt die Wirtschaftsweise. Fuest empfiehlt ebenfalls, auf EU-Ebene Antworten auf die drohenden US-Zölle vorzubereiten. Nicht, um diese einzusetzen, sondern um die US-Regierung von einem Handelskrieg abzuhalten.

Fuest und Schnabl sehen nach Trumps Wahl aber auch Chancen für deutsche Unternehmen. Von einem Abbau von Regulierung, Steuern und Energiepreisen in den USA könnten Wachstumsimpulse auch für Deutschland ausgehen. Schnabl: “Wenn in Deutschland jedoch gleichzeitig Reformen ausbleiben, dürfte sich die Abwanderung von Unternehmen in die USA beschleunigen.”

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