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Tomoni: Eltern für die Pubertät ihrer Kinder stärken | ABC-Z

Ihre Superkraft kommt aus der Tube. Die Farben Majirouge und Magentarot hat sie zu einem knalligen Pink gemischt. Mit ihren leuchtend bunten Haaren gelingt ihr etwas, worum sie viele beneiden. Sie schafft es, sowohl von Jugendlichen als auch von ihren Eltern als Vertrauensperson oder Beraterin angenommen zu werden. Eine pinke Superkraft.

Denn eigentlich, so scheint es das Naturgesetz, schließt die Rolle der Elternberaterin die der Vertrauensperson für Jugendliche kategorisch aus. Man ist entweder das eine oder das andere. Oder man ist Colin Schwanengel.

Denn die Psychologin versteht sich als Übersetzerin für beide Seiten. Wer bunte Haare trägt, so die Lesart der Jugend­lichen und der Eltern, der scheint sich mit der Rebellion auszukennen. Und mit dem Wunsch oder dem Bestreben, endlich eigene Entscheidungen zu treffen. Der ist ein Experte für das, was Jugendliche und Eltern gleichermaßen beschäftigt: die Pubertät – und all die kleinen und große Veränderungen, die so viel Unsicherheit und Abschied be­deuten, die so viel Liebe und Selbstliebe erfordern, obwohl doch da gerade nur noch Chaos ist.

Onlineseminare zu Depression, Wut, ADHS und Autismus

Schwanengel arbeitet als Psychologin für „Tomoni mental health“, eine Organisation, die sich auf die Früherkennung psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen spezialisiert hat und durch ein umfassendes Online-Schulungsangebot Lehrer, Eltern, aber auch Trainer in Sportvereinen unterstützen möchte, erste Warnzeichen zu erkennen und sicherer in den weiteren Handlungen zu werden. Die F.A.Z. unterstützt die Frankfurter Organisation in diesem Jahr durch das Spendenprojekt „F.A.Z.-Leser helfen“.

Schwanengel arbeitet zum einen direkt mit Jugendlichen zusammen, um sie beispielsweise bei einem Podcast-Projekt zum Thema psychische Gesundheit zu unterstützen. Zum anderen ist sie Ansprechpartner für Eltern, die versuchen, sich und ihre Kinder durch die herausfordernde Zeit der Pubertät zu navigieren.

In Onlineseminaren beleuchtet sie die schwierige Unterscheidung zwischen normalem pubertären Verhalten, etwa der Abgrenzung von den Eltern, und ersten Anzeichen einer psychischen Erkrankung wie einer Depression. Eltern können vier Seminare zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten buchen. Behandelt wird unter anderem das große Feld der Wut, es werden aber auch Fragen zu neuronalen Entwicklungsstörungen wie ADHS und Autismus thematisiert.

Die Hürde für die Rat suchenden Eltern ist bewusst niedrig. Sie können die Seminare besuchen, ohne dabei das Haus verlassen zu müssen. Alle Angebote, die auf der Plattform www.tomoni­mental­health.org gesammelt sind, stehen Interessenten kostenfrei zur Verfügung.

Die Zeit, in der das miteinander Sprechen schwer fällt

Die 90 Minuten dauernden Liveschulungen finden immer abends und immer online statt. „Wir hoffen, so weit den Samen setzen zu können, dass Eltern verstehen, dass sie fragen können – sowohl ihr Kind als auch nach Hilfe“, sagt die 38 Jahre alte Psychologin.

Was sich so einfach anhört, nämlich das Kind anzusprechen, wie es ihm eigentlich gerade geht mit all dem Wandel, falle vielen mit dem Einsetzen der Pubertät plötzlich schwer. Weil Türen knallen und Augen rollen, weil beide Seiten das Gefühl haben, nicht mehr verstanden zu werden.

Schwanengel versteht. Und zwar beide Seiten. Weil sie keine Scheu hat, sich selbst an die Zeit zurückzuerinnern, in der ihr die Wirkung auf andere plötzlich wichtig wurde. Als in ihr der Abschied von der Kindheit mit dem Aufbruch in eine neue Welt zu ringen schien. Und weil sie durch ihre fachliche Ausbildung zur Psychologin allerhand weiß über diese Lebensphase, die, anders als viele glauben, „nicht in zwei Jahren erledigt ist“, wie sie sagt.

Pubertät zwischen zehntem und 30. Lebensjahr

Der Prozess gehe in der Regel vom Anfang der zweiten bis zum Ende der dritten Lebensdekade. Also etwa vom zehnten bis hin zum 30. Lebensjahr, sagt Schwanengel. Umso sinnvoller also, mit etwas mehr Milde – aber auch Fachwissen – auf diesen Zeitraum zu blicken.

Besonders die ersten Jahre seien herausfordernd, macht die Psychologin deutlich. „Man weiß noch nicht, wer man körperlich ist. Alles verändert sich.“ Im Innen, aber auch im Außen. „Auch neurowissenschaftlich passiert ein gigantischer Umbauprozess.“

Währenddessen sei es wichtig, die Beziehung zu den Kindern, den Jugendlichen, den jungen Erwachsenen nicht abreißen zu lassen. „Seid da, bleibt im Dialog, stellt offene Fragen“, rät sie. „Aber das eigene Ego muss auch aushalten können, wenn ihr in dem Moment vielleicht nicht die Person seid, die als Ansprechpartner ausgewählt wird.“ Das könne auch ein Lehrer, die Trainerin aus dem Sportverein oder auch die Mutter eines Freundes sein. Wichtig sei nur, „den Kanal offen zu halten“.

Wenn Schwanengel die Webinare hält, macht sie das im Tandem. Sie spricht als Psychologin, beleuchtet die fachlichen Seiten der Pubertät, klärt über häufig auftretende psychische Erkrankungen in dieser Lebensphase auf, etwa über Essstörungen oder Depressionen.

Essstörungen und Körperbilder

Ihr zur Seite steht eine „Expertin des Alltags“, jemand, der beispielsweise als Angehöriger eines von Essstörungen betroffenen Kindes berichtet, wie sich die Krankheit leise eingeschlichen hat. Jemand, der nicht beschönigt, aber durch die offenen Worte zeigt, wie wichtig es ist, Hilfe zuzulassen und das enge System Familie zu öffnen.

Die Teilnehmer, zugeschaltet aus ganz Deutschland, können die Referenten sehen und mit ihnen per Chatfunktion in Kontakt treten, bleiben aber selbst in der Anonymität. „Wir machen in diesen Terminen keine Einzelberatung, das wäre unangemessen und nicht professionell“, sagt Schwanengel. Vielmehr gehe es darum, den Eltern ein Gefühl dafür zu geben, wie sie ihren Kindern zur Seite stehen können, und sie dafür zu sensibilisieren, die eigenen Grenzen zu erkennen.

„Hilfe steht nicht nur den vermeintlich schlimmen Fällen zu“, sagt sie. Je früher Hilfe angeboten und angenommen werde, desto höher sei die Chance, schwere psychische Erkrankungen angemessen zu behandeln und Unterstützung anzubieten.

Das Gehirn, der Ort, an dem die meisten Umbauarbeiten in der Pubertät stattfänden, sei nun einmal in dieser Zeit besonders anfällig für Störungen. „Unser Gehirn besteht nicht aus Feenstaub. Das ist ein Organ, ein System in unserem Körper, das gestört sein kann. Beim Herz machen wir ja auch nicht so ein Geschiss, wenn es krank ist“, sagt Schwanengel.

„Körper werden nicht kommentiert“

Sie ist der Typ für klare, direkte Worte, dafür, die Dinge zu benennen. Zumindest dann, wenn es um die Wissensvermittlung geht. In anderen Fällen tritt sie behutsamer, wenn auch mit einer klaren Haltung auf. Dann etwa, wenn es darum geht, den Eltern zu vermitteln, wie ein Problem angesprochen werden kann. Etwa die Beobachtung, dass das Kind, das früher mit Freude und Genuss gegessen hat, seit einigen Wochen immer wieder Mahlzeiten ausfallen lässt, keine Brotboxen mehr mit in die Schule nehmen möchte und mehr über Essen redet, als es auch zu tun.

„Körper werden nicht kommentiert“, sagt sie. Niemals. Statt zu sagen, „Du bist aber dünn geworden“, empfiehlt sie, lieber Beobachtungen zu teilen, die die ­Sorge unterstreichen. „Ich habe wahrgenommen, dass du dich in letzter Zeit schlechter konzentrieren kannst“ sei beispielsweise einer der Sätze, die helfen können, den Kommunikationskanal nicht komplett zu verschließen. Ohnehin müsse es immer darum gehen, die eigenen Gedanken zu spiegeln und sich nicht hinter einem vermeintlich schützenden „Wir“ zu verstecken.

Sie fordert auf, statt mit Satzanfängen wie „Alle sagen, dass“ oder „Wir finden, dass“ immer mit offenem Visier, mit einem ehrlichen „Ich“ in den Dialog eintreten. „Ich nehme wahr, dass du gerade etwas blasser bist. Kann ich etwas tun?“

Colin Schwanengel sieht sich als Übersetzerin: Eltern – Jugendlicher, Jugendlicher – Eltern. Eine Rolle, die ihr leichtfällt. Auch wegen ihrer Superkraft. Beide Seiten nehmen sie ernst. Beide Seiten spricht sie genau so an, wie es die Situation erfordert. Ihr klarer Appell an Eltern: Nehmt die Jugendlichen ernst, sprecht mit ihnen, signalisiert, dass ihr da seid. Immer. „Eure Jugendlichen sind in der Umbauphase, sie sind aber keine hirnlosen Zombies.“

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und die Frankfurter Allgemeine/Rhein-Main-Zeitung bitten um Spenden für die Arbeit der Organisationen Tomoni und Stiftung Kinderzukunft. Tomoni unterstützt Erwachsene und junge Menschen dabei, Anzeichen psychischer Erkrankungen vor allem bei Jugendlichen zu erkennen und frühzeitig professionelle Hilfe zu erhalten. Die Stiftung Kinderzukunft errichtet Brunnen und sanitäre Einrichtungen in Schulen in Sambia, um so Gesundheit, Ernährung und Hygiene der Kinder zu verbessern.

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