Tollkühner Gesellschaftsthriller: Die Schauburg zeigt “Endland” | ABC-Z

Fünf Jahre gibt uns Martin Schäuble noch bis zu diesem Szenario: 2030 herrscht in Deutschland mit der Neuen Alternative eine rechtsradikale Partei, die Grenzen wurden dicht gemacht. Soziale Leistungen wurden “privatisiert”, Homosexualität gilt als “undeutsch” und überhaupt duldet das Regime ausschließlich “das Deutsche”.
Schäubles Roman “Endland” erschien bereits 2017 und steht jetzt – in einer Bühnenadaption des Autoren – auf dem Spielplan der Schauburg.

© Armin Smailovic
von Armin Smailovic
“}”>
Kleine Aktualisierungen betreffen den Wechsel von der Äthiopierin Fana zur Kurdin Nergiz, die vor Armut, anhaltender Dürre und politischer Verfolgung aus der Türkei floh. Mit ihr hat auch der Klimawandel als Auslöser von Migration ein stärkeres Gewicht als in der literarischen Vorlage. Parallel zum Schicksal von Nergiz (Sibel Polat) – die allerdings der Meinung ist, “Schicksal” sei etwas für Reiche, die wissen, wohin sie gehören – montiert Schäuble den Alltag zweier Rekruten.
Wenn die Rechten übernehmen und voll durchgreifen
Anton (Janosch Fries) und Noah (Hardy Punzel) verbindet eine Beziehung, die weit über die soldatische Kameradschaft hinausgeht. Zum militärischen Drill gehört jedoch nicht nur die Gehirnwäsche, wenn es um die dunklen Stellen der deutschen Geschichte und das Heranzüchten von Angst vor allem Nichtdeutschen geht, sondern auch die totale Überwachung. Das heimliche Kuscheln bleibt dem Ausbilder Stahlke (David M. Campling) nicht verborgen.

© Armin Smailovic
von Armin Smailovic
“}”>
Der ohnehin aufmüpfige Noah flieht in den Untergrund, der bereits gleichgeschaltete Anton bekommt den Job in einem Himmelfahrtskommando: Getarnt als Ukrainer, aber ohne sein Wissen, soll er eine Bombe installieren, die das letzte Flüchtlingslager mit ihren Bewohnern vernichten soll. Der Verdacht soll auf die Flüchtlinge selbst gelenkt werden.
Originalzitate aus dem faschistoiden AfD-Kosmos
Das ist zweifellos eine Story mit Thrillerqualitäten für das Zielpublikum der 14-Plus-Jugendlichen. Geradezu tollkühn aber unterläuft Regisseurin Katharina Mayrhofer die zeitgenössischen Sehgewohnheiten. Nur manchmal flackern bunte Bilder aus News und Fake News, aus Videogames und Comics wie Tik-Tok-Schnipsel über den halbtransparenten Bühnenvorhang, auf dem sich Projektionen und leibhaftiges Schauspielen vermischen (eindrucks- und kunstvolle Videoproduktion: Bülent Kullukcu).
Ansonsten herrscht auf der minimalistischen und nie wirklich hell beleuchteten Bühne von Flurin Borg Madsen eine kalte Tristesse aus Kasernenhof und Lagerhalle. Bis zum dramatischen Showdown ist das Tempo gedrosselt und man leistet sich Momente der Stille, in denen die Figuren um die richtige Argumentation ringen oder sich einfach nur anschweigen. Eher aus der Werkzeugkiste des traditionellen Agitprop kommt der zwischenzeitliche Ausstieg aus dem Stück, um es zur angekündigten “Doku-Dystopie” zu machen.
Mit Originalzitaten aus dem faschistoiden AfD-Kosmos und dem Auftritt eines zugeschalteten Alice-Weidel-Avatars (Simone Oswald) rückt das Schauburg-Team die düstere Fiktion in beunruhigende Nähe der bundesdeutschen Realität. Der Regisseurin und ihrem Ensemble gelingt grandios der ambitionierte Plan, aus einer etwas schlicht konstruierten Geschichte im mehr didaktischen als spannenden Gut-und-Böse-Schema, 100 hoch intensive Theaterminuten zu schaffen, die unerhört dicht an die Gegenwart außerhalb des Theaters andocken.
Schauburg (Elisabethplatz), heute und wieder am 18., 21. Mai, 10 Uhr, 3., 19. Mai, 20 Uhr, 17. Mai, 19 Uhr, www.schauburg.net