Tod nach Polizeieinsatz 2022: Berliner Antidiskriminierungsstelle sieht Polizei im Fall Mutombo mitverantwortlich | ABC-Z
Tod nach Polizeieinsatz 2022
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Berliner Antidiskriminierungsstelle sieht Polizei im Fall Mutombo mitverantwortlich
Fr 10.01.25 | 16:34 Uhr | Von
Medard Mutombo starb 2022 nach einem Polizeieinsatz in Berlin. In einem unveröffentlichten Bericht erhebt die Landesantidiskriminierungsstelle Vorwürfe gegen die Polizei. Auch die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht mehr nur gegen “Unbekannt”. Von Johanna Sagmeister
Ein Bericht der Anlaufstelle für Diskriminierungsfragen in Berlin erhebt schwere Vorwürfe gegen die Polizei im Zusammenhang mit dem Tod von Medard Mutombo. Der 64-Jährige Kongolese, der an Schizophrenie litt, war im Oktober 2022 nach einem Polizeieinsatz gestorben. Der unveröffentlichte Bericht der Anlaufstelle liegt rbb|24 vor.
Die Ombudsstelle für das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) kommt zu dem Ergebnis, dass in diesem Fall eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund von Behinderung und Sprache vorgelegen habe – durch Unterlassen, aber auch aktives Handeln. Die Polizei habe mehrere gesetzliche Pflichten verletzt, die entscheidend zum Tod von Medard Mutombo beigetragen hätten. Nach Einschätzung der Ombudsstelle hätte der Tod bei pflichtgemäßem Handeln mit großer Wahrscheinlichkeit vermieden werden können.
Bruder des Opfers legte Beschwerde ein
Der 61-seitige Bericht untersucht den Polizeieinsatz, bewertet ihn aus Sicht des Antidiskriminierungsrechts und gibt Empfehlungen an die Berliner Polizei und die Senatsverwaltung für Inneres. Die Anlaufstelle hatte sich mit dem Fall beschäftigt, nachdem der Bruder des Verstorbenen, Mutombo Mansamba Beschwerde eingereicht hatte.
Im September 2022 sollte Medard Mutombo auf Grundlage eines richterlichen Unterbringungsbeschlusses von Polizeibeamten in eine geschlossene Psychiatrie in Berlin-Spandau gebracht werden. Der gebürtige Kongolese lebte in diesem Bezirk seit mehr als 20 Jahren in einem Wohnheim für von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen. Weil das Amtsgericht damit rechnete, dass er sich wehren würde, ordnete es polizeiliche Begleitung an und räumte auch die Befugnis zur Anwendung von Gewalt ein.
Todesursache: durch Sauerstoffmangel bedingter Hirnschaden
Laut Bericht wurde Mutombo fixiert, als er gegenüber den Polizeibeamten aggressiv wurde. Besonders schwer wiegt laut der Ombudsstelle die Fixierung Mutombos in Bauchlage: Diese habe das Risiko eines tödlichen Sauerstoffmangels erhöht, ohne dass mildere Mittel geprüft worden seien, heißt es.
Der Bericht stellt fest, dass Medard Mutombo in der Situation offenbar so erregt und verwirrt war, dass er nicht mehr in der Lage war, sein Verhalten bewusst zu steuern. Nach Einschätzung des Berichts hätte der Einsatz zu diesem Zeitpunkt abgebrochen werden müssen. Stattdessen riefen die drei beteiligten Polizeibeamten Verstärkung. Am Ende waren zwölf Polizeibeamte an dem Einsatz beteiligt.
Die Todesursache ist laut Obduktionsbericht ein durch Sauerstoffmangel bedingter Hirnschaden. Was diesen ausgelöst hat, ist zentraler Streitpunkt und Teil der Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft. Der Bruder des Verstorbenen macht die unmittelbare Anwendung körperlicher Gewalt der Polizisten für den Tod verantwortlich und stellte Anzeige wegen Körperverletzung im Amt.
Abschlussbericht Teil der Ermittlungsakten
Die Staatsanwaltschaft hielt im Laufe der Ermittlungen auch eine Stressreaktion für den Zusammenbruch Mutombos für möglich. Auch für dieses Szenario sieht die Ombudsstelle die Polizei zumindest teilweise in der Verantwortung. Schon die Vorbereitung des Einsatzes sei fehlerhaft gewesen, so die Ombudsstelle. Trotz bekannter Sprachbarrieren sei kein französischsprechender Dolmetscher hinzugezogen worden, und die eingesetzten Beamten seien nicht ausreichend auf den Umgang mit psychisch erkrankten Personen vorbereitet gewesen. Dies seien Pflichtverletzungen und sie hätten eine entscheidende Rolle gespielt. Nach Ansicht der Ombudsstelle hätte der Tod bei korrektem Handeln der Polizei sehr wahrscheinlich vermieden werden können.
Der Abschlussbericht ist nun Teil der Ermittlungsakten, wie Oberstaatsanwalt Sebastian Büchner auf Anfrage mitteilte. Bereits zwei Mal hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt – und dann jeweils wieder aufgenommen, weil sich der Bruder und die Anwältin erfolgreich dagegen beschwert haben. “Meiner Meinung nach macht der Bericht der Ombudsstelle deutlich, dass hier auch ein strafbares Verhalten der beteiligten Beamt:innen vorliegt”, so die Anwältin. Seit Juni 2024 ermittelt die Staatsanwaltschaft auch nicht mehr nur gegen “Unbekannt”, sondern führt fünf Polizeibedienstete als Beschuldigte, so Büchner auf rbb24-Anfrage.
Ziel: “einvernehmliche Lösung”
Der Abschlussbericht der LADG-Ombudsstelle ist auf den 16. August 2024 datiert, wurde allerdings bis heute nicht veröffentlicht. Man befände sich noch in Abstimmungen mit der Senatsverwaltung für Inneres sowie der Senatsverwaltung für Finanzen über die Umsetzung der Handlungsempfehlungen, so der zuständige Sprecher für die Ombudsstelle, Stephan Strauss. Ziel sei es, die Angelegenheit einvernehmlich zu lösen, dann werde der Bericht veröffentlicht. Die Senatsverwaltung für Inneres spricht auf rbb-Anfrage von einer “engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit”.
Ein Knackpunkt dürfte vor allem die von der Ombudsstelle vorgeschlagene Entschädigung für Mutombos Bruder von 45.000 Euro sein. Diese werde von der Ombudsstelle als rechtlich begründet und auch in der Höhe als angemessen betrachtet, heißt es im Bericht. Die Senatsverwaltung für Inneres hatte diesen Vorschlag in einer internen Stellungnahme im Oktober 2024 abgelehnt. Grund sei, dass dem Haus weder die vollständigen Ermittlungsakten noch weitere relevante Informationen vorliegen würden. Deswegen könne sich die Senatsverwaltung nicht abschließend zu den Vorwürfen einer direkten Diskriminierung durch das Handeln der Polizei äußern. “Eine rechtsfolgenableitende Feststellung einer Diskriminierung liegt unter Berücksichtigung dieser Punkte und nach hiesiger Bewertung nicht vor”, heißt es von der Senatsinnenverwaltung.
Ob die Senatsverwaltung oder die Polizei die Ermittlungsakten mittlerweile sehen konnten und sich diese Einschätzung dadurch verändert hat, möchte die Pressestelle mit Verweis auf die laufenden Gespräche nicht sagen.
Frust und Unverständnis bei den Angehörigen
Die 13-seitige Stellungnahme der Innenverwaltung wurde vom damaligen Sprecher Thilo Cablitz unterzeichnet und liegt rbb|24 vor. Darin bezieht sich Cablitz auch auf die Handlungsempfehlungen der Ombudsstelle und räumt ein, dass es grundsätzlichen Verbesserungsbedarf der Polizei im Umgang mit psychisch Erkrankten gebe. So wolle die Polizei etwa neue Schulungsangebote einführen und Verhaltensrichtlinien überarbeiten. Des Weiteren hebt er das “Streben nach weitergehender Professionalisierung” sowie den “bedingungslosen Aufklärungswillen” der Polizei hervor. In seinem Schlusswort entschuldigte sich Thilo Cablitz erneut bei Mutombo Mansamba “aus tiefstem Herzen für den Tod seines Bruders, denn unbestritten bleibt, dass er im Kontext staatlichen Handelns zu Tode kam.”
Mutombo Mansamba gibt sich damit nicht zufrieden. Die Senatsinnenverwaltung versuche die Verantwortung zu leugnen, sagt er. Dass es nach mehr als zwei Jahren immer noch keine Antwort darauf gibt, warum sein Bruder Medard zu Tode kam, frustriert ihn zunehmend, sagt er. “Solche Entwicklungen erschüttern das Vertrauen in die Gerechtigkeit und Unparteilichkeit des Systems zutiefst.”