Wirtschaft

Tiktok schaltet ab, Nutzer sind außer sich | ABC-Z

Die Betreiber von Tiktok wissen, wie man Politik im Stil von Donald Trump macht. Bevor am Sonntag das Verbot der chinesischen Video-App in den USA in Kraft treten sollte, zog deren Eigentümerkonzern Bytedance selbst den Stecker. Nutzer erhielten am Samstag die Warnnachricht, die App werde abgeschaltet. Das müsse aber mit Blick auf den bevorstehenden Amtsantritt des Präsidenten Donald Trump nicht von langer Dauer sein. Trump hatte durchblicken lassen, er wolle Tiktok weitere 90 Tage Zeit geben, den gesetzlichen verfügten Verkauf in den USA zu vollziehen. Tiktok denkt indes gar nicht daran, zu verkaufen und setzt Trump noch vor Beginn seiner Amtszeit unter Druck. Man sei zuversichtlich, schreibt der Konzern den Nutzern der App, gemeinsam eine Lösung zu finden, um Tiktok „wieder einzusetzen“.

„Bye, bye, my chinese spy“

Für den nötigen Druck sorgen amerikanische Nutzer von Tiktok, die kurz vor Toreschluss noch digitale Veitstänze aufführten. „Bye bye, my chinese spy“ lautete der Titel der Abschiedsinszenierungen. „Hallo, dies ist euer chinesischer Spion – es war mir eine große Ehre, euch in den vergangenen Jahren auszuspionieren“, intonierte ein asiatischer Mann in einem vieltausendfach weitergeleiteten Video. „Und nun noch was Persönliches: Laura aus Kalifornien, trink nicht soviel Cola, das ist nicht gut für deine Gesundheit. Und Peter aus New York – deine Mama liebt dich, behandle sie nicht so schlecht.“ Eine Nutzerin filmte sich mit den Worten: „Kurze Nachricht für meinen persönlichen chinesischen Spion, der mich seit fünf Jahren ausspioniert und das jetzt nicht mehr tun kann“, und dann auf chinesisch mit englischen Untertiteln: „Bye bye! Ich liebe dich! Du bist mein Bestie!“

„For now“ sei Tiktok nicht zu nutzen, also „vorübergehend“. Donald Trump soll es richten.dpa

Szenen aus Filmen wie „The Hangover“, „Titanic“ oder „Ghost“ wurden für Lebewohl-Satiren bemüht. Eine Nutzerin fragte, wie viel Zeit nötig sei, „damit sich mein persönlicher chinesischer Spion in meinen persönlichen FBI-Agenten verlieben kann?“ Ein anderer filmte sich beim Kofferpacken: „Ich gehe meinen chinesischen Spion finden, weil niemand mich besser kennt.“ Zahlreiche Tiktoker stimmten eine bekannte chinesische Abschiedsballade von Chuan Zi an (oder taten so, als ob), in der es heißt: „Freunde, vergesst nicht, unsere Brüderschaft in diesem Leben ist lang“.

Die „Flüchtlinge“ sind herzlich willkommen

Verbrüderung feiern Tiktoker, die – vorerst – auf die chinesische App Xiaohongshu umsteigen, die sich vor allem um Beautyprodukte und Lifestyle dreht und fast nur chinesische Nutzer hat. Aber seit einer Woche rangiert sie als „Rednote“ an der Spitze der Downloads von Gratis-Apps im amerikanischen Apple-Store.

Die chinesischen Nutzer dort heißen die „Tiktok-Flüchtlinge“ herzlich willkommen – unter anderem mit Anleitungen, wie man seine Tiktok-Posts auf Rednote überträgt, und wie man die App navigiert, die bisher nur auf Mandarin existiert. Zweisprachige Nutzer nehmen die „Flüchtlinge“ mit Sprach- und Kulturlektionen an die Hand und verlangen ulkend eine „Katzensteuer“ von den Neulingen – das Posten von Katzenmemes, ein kulturübergreifend kommunikables Relikt aus den Kindertagen der sozialen Netzwerke. In Gruppenchats wird das Leben in China erkundet – was kostet eine Wohnung? Wie steht es um die Kriminalität?

Das Verbot von Tiktok möge den Nutzern albern erscheinen, meint die „New York Times“ – schließlich sammelten auch soziale Netzwerke in US-Besitz Daten, werteten sie für ihre Zwecke aus und stellten ihre Algorithmen so ein, dass bestimmte politische Parolen in den Vordergrund rücken. Aber man müsse bedenken, dass all diese Tech-Produkte ein (falsches) Gefühl der Nähe herstellten, während sie ihre versteckten Kosten und Gefahren außer Sichtweite hielten. „Tiktok war im weitesten Sinne chinesisch. ,Rednote‘ dagegen ist zweifellos und vollständig chinesisch“, schreibt die chinesisch-amerikanische Journalistin Steffi Cao bei „Slate“. Sie meint, der – wahrscheinlich vorläufige – Tiktok-Bann mache Chinas Tech-Einfluss in den USA „noch trendier“.

Womöglich hat sich Trump, der das von der Biden-Administration durchgesetzte Tiktok-Verbot in seiner ersten Amtszeit auf den Tisch gebracht hatte, ein Ei ins Nest gelegt. Die „Washington Post“ zitiert eine China-Expertin mit der Einschätzung, die US-Gesetzgeber könnten auf Jahre hinaus damit beschäftigt sein, immer wieder neue Apps, die „unter Kontrolle politischer Gegner“ stehen, zu verbieten.

Den Nutzern sind die Sicherheitsbedenken der Regierung gleichgültig. Bei Rednote will ein amerikanischer Nutzer, der das Tiktok-Verbot ablehnt, „nur von meinen chinesischen Followern“ wissen: „Glaubt ihr, wir Amerikaner haben den Verstand verloren?“ Er meint das nicht ironisch.

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