Tijen Onaran geht allein auf Reise | ABC-Z
Das Flugzeug ist noch nicht einmal in der Luft, da höre ich es zum ersten Mal: Wie mutig von mir, allein in den Urlaub zu fliegen! Der Mann, der das sagt, hilft mir, meinen Koffer ins Gepäckfach zu hieven, so kommen wir ins Gespräch.
Dabei plane ich nicht, auf eigene Faust durch Südamerika zu touren oder auf Arktisexpedition zu gehen. Ich will einfach nur nach Rhodos. Und zwar allein. Der Mann am Gepäckfach ist der erste von vielen, der das offenbar mutig findet.
Selbstverständlich ist das auch für mich nicht. Nächstes Jahr werde ich 40 Jahre alt. Beruflich bin ich immerzu unterwegs, meistens ohne Gesellschaft. Aber wenn ich dann irgendwo ankomme, treffe ich auf Leute und habe zu tun.
Da war immer noch jemand
Allein im Urlaub war ich noch nie. Entweder war da immer ein Partner. Oder ich war mit mehreren Freundinnen unterwegs. Oder früher mit der ganzen Familie, wenn wir im Sommer in die Türkei gereist sind. Jetzt brauche ich erst einmal Zeit, um mich zu neu zu finden, nur mich allein. Um mich fit zu machen für die zweite Jahreshälfte, die immer anstrengender ist als die erste, denn das ist Primetime für Vorträge und Auftritte.
Meine Tour steht an. Schon jetzt im Sommer ist klar, dass es nach dem Urlaub die Bekanntmachung geben wird, dass mein Mann und ich uns nach elf Jahren Beziehung getrennt haben. Dass wir nicht mehr zusammenleben, aber weiterhin zusammenarbeiten möchten.
Eine Freundin sagte mir, ich solle es doch erst einmal mit sieben Tagen Alleinreisen probieren und mir nicht gleich zehn antun. Aber ich will zehn. Ganz oder gar nicht. Und ich will nach Griechenland. Nur wohin genau? Zum ersten Mal im Leben kann ich schließlich allein entscheiden. Ich frage in meinem Netzwerk nach.
Doch nicht ohne Handy
So sitze ich an diesem Julitag im Flugzeug nach Rhodos, Kopfhörer im Ohr, um mich mit Neunzigerjahre-R&B-Musik abzulenken. Für einen Moment hatte ich überlegt, sogar das Handy auszuschalten. Wirklich weg zu sein. Aber das traue ich mich dann doch nicht.
Der Mann am Gepäckfach hatte mich darauf hingewiesen, dass ich allein unterwegs sei. Jetzt schaue ich mich im Flugzeug um, und auch mir fällt auf: Familien, Paare, Freundinnengruppen. Ich bin die einzige Person, die allein ist.
Nach der Landung in der Ankunftshalle bleibe ich es. Der Flughafen von Rhodos ist sehr klein, aber zur Urlaubszeit sehr voll. Auf jeden Reisenden kommt mindestens ein Koffer. Hier herrscht Rambazamba. Große Menschenmengen sind nicht so mein Ding, ich kann auf einer Bühne stehen und die Leute vor mir sehen, aber mittendrin zu sein ist etwas ganz anderes.
Kein Fahrer, der wartet
Ich bin maximal überfordert. Auf mich wartet auch niemand am Flughafenausgang mit einem Schild, auf dem mein Name steht, so hatte ich es gebucht. Ich halte mein Handy noch ein bisschen fester in der Hand, als könnte es mir aus dieser Situation helfen.
Draußen vor dem Flughafengebäude kommt der Fahrer kurz darauf auf mich zu. „Ah, da bist du ja“, sagt er. Und fragt dann: „Bist du allein?“ Ja, bin ich. Das sei natürlich mutig – so sein nächster Kommentar. Wie nett das gemeint ist, erfahre ich auf der Fahrt, als er mir Restauranttipps für Rhodos gibt. Innerlich beschließe ich aber schon in diesem Moment, das Hotel zehn Tage lang nicht zu verlassen.
Eine Freundin hatte mir Buchten empfohlen, und es wäre schon schön, eine davon einmal zu sehen. Aber zugleich fühle ich mich emotional so fertig, so müde und ausgelaugt, dass es vielleicht ganz okay ist, einfach nur für mich zu sein. Nicht wie sonst viele Entscheidungen auf einmal zu treffen, sondern nur darüber nachzudenken, was ich esse, auf welche Liege ich mich lege, und was ich abends anziehe.
Andere Leute geben Energie
Ob ich die zehn Tage ohne Ablenkung aushalte, weiß ich noch nicht. Wenn ich sonst in anderen Städten unterwegs bin, verabrede ich mich abends immer mit Freunden. Ich ziehe viel Energie aus anderen Leuten. Jetzt ist das nicht cool, vor allem nicht zum Abendessen.
Zu Beginn rüste ich mich mit meinem Handy zum Scrollen am Tisch. Spreche per Facetime mit einer Freundin. Irgendwann schwenke ich auf ein Buch um. Es dauert drei Tage, bis ich alles auf dem Zimmer lasse, mich an den Tisch setze und nur esse. Und mit den Kellnern rede. Dass ich jeden Abend allein bin, entgeht ihnen natürlich nicht.
Der Hoteltipp kam über jemanden aus meinem Netzwerk, und es dauert nicht lange, bis Leute aus meiner Community anhand der Urlaubsbilder, die ich auf Instagram poste, bemerken, dass es das Casa Cook sein muss. Schönes Hotel. Schön für Paare.
Alles sehr mutig
Wie es mir jetzt geht und dass ich nicht zu den Leuten gehöre, die das so allein genießen, das schreibe ich auch. Ich bekomme viele Nachrichten von anderen Frauen, die sagen, dass sie nicht den Mut hätten, allein abends essen zu gehen. Allein reisen, okay. Aber allein im Restaurant essen, das ist offenbar eine Stufe mehr. Und es ist: mutig, mutig, mutig. Das zieht sich so durch.
Dabei bin ich noch nicht einmal die Einzige, die hier zwischen lauter Pärchen zu Abend isst. Am fünften Abend bemerke ich den Mann, der auch allein am Tisch sitzt. Wir nicken uns zu. Im Gegensatz zu mir wird er allerdings in Ruhe gelassen. Ihn verwickelt man nicht ständig in Gespräche, woher er komme, ob alles okay sei. Vielleicht ist das eine Frage der Ausstrahlung, er kann essen und ist wieder weg.
Vielleicht ist das aber auch eine Frage des Geschlechts. Ein Mann allein ist nicht weiter verwunderlich, das ist offenbar gesellschaftlich anerkannt. Frausein hingegen bedeutet noch immer in hohem Maß definiert zu werden, über unsere Beziehungen, über Partnerschaft und Familie.
Eine Sache des Geschlechts?
Ein Mann in verantwortungsvoller Position wird in Interviews nicht gefragt, wie er das alles schafft, mit der Karriere und der Familie. Eine Frau in derselben Position, sofern sie Kinder hat, meistens schon. Und wenn sie keine hat, dann wird ihr entweder regelmäßig unterstellt, schwanger zu sein. Oder ihr Lebensmodell ohne Kinder wird infrage gestellt.
Wenn eine Frau einfach für sich steht, dann ist das ein Signal, das kommentiert werden muss. Selbst hier, von Fahrern, Kellnern, Mitreisenden, auf dieser griechischen Urlaubsinsel. Sie alle bemitleiden mich nicht, sondern nehmen das als Stärke wahr. Sie attestieren mir ständig Mut – und sind trotzdem irritiert. Kommt noch jemand? Eine Frau allein fällt auf.
Dabei fühle ich mich selbst von Tag zu Tag besser. Auf das komische Gefühl von Phase eins, in der ich mir eingestanden habe, dass es nicht toll ist, folgt Phase zwei, in der ich umso stärker spüren kann, wie ich den Urlaub genieße. Dass mein Körper runterkommt und meine Haut sich erholt. Dass ich einfach mein Ding durchziehe, um dieselbe Zeit aufstehe und direkt Sport treibe.
Mit jemand anderem wäre ich wahrscheinlich erst einmal frühstücken gegangen, und später wäre es zu heiß gewesen. Die zwei Laufbänder im Fitnessraum sind ohnehin immer belegt. Also gehe ich früh am Morgen raus in die Hitze. Joggen bei 30 Grad. Interessant, wie schnell sich der Körper der Umgebung anpassen kann.
So ist es auch für mich, allein in diesem Urlaub. Als ich aus Rhodos zurückkomme, steht ein Abendessen mit fünf Personen an. Mein erster Gedanke: Das sind ganz schön viele.