Kultur

Juergen Teller : Vergiss Auschwitz | ABC-Z

Im Dezember 1989 – wir waren beide noch nicht einmal dreißig – fuhren Juergen und ich für Tempo nach Prag. Wir sollten dort etwas über den Aufstand der Studenten gegen die greisen Bolschewiken machen, die längst zu schwach waren, die Jungen in Gefängnisse zu sperren oder aus den Universitäten zu verjagen, die sie seit Wochen besetzten. Ein Reporterjob wie aus einem Hollywoodfilm.

Juergen war aus London nach Prag gekommen, ich aus München. Ich hatte ein kleines Herlitz-Notizbuch dabei. Er trug eine große Sucher-Kamera aus matt leuchtendem Aluminium um den Hals, die mir mit ihrem seitlich befestigten, riesigen Blitz ein bisschen zu retro und zu angeberhaft vorkam. Dafür war Juergen selbst umso scheuer, bescheidener und mit seinen kurzen Stoppelhaaren sehr modern. Wir verstanden uns sofort sehr gut. Wir spazierten zusammen durch das vom unsichtbaren Revolutionsgeist leise vibrierende Prag, wo ich die ersten zehn Jahre meines Lebens verbracht hatte. Wir versuchten ohne Erfolg, in die Zentrale von Václav Havels Leuten in der Nähe des Wenzelsplatzes reinzukommen. Wir besuchten nachts die Studenten im alten Umprum-Gebäude gegenüber vom Rudolfinum und tranken mit ihnen Wodka und warme Himbeerlimonade. Tage des Aufruhrs und Glücks.

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