Thyssenkrupp: Zwei Sparten besiegeln jetzt das Schicksal des Stahlkonzerns | ABC-Z
Thyssenkrupp ist weit davon entfernt eine „Ikone der deutschen Industrie“ zu sein. Das zeigen auch die roten Zahlen der aktuellen Unternehmensbilanz. Die Stahlsparte steckt mitten in der schwierigen, grünen Transformation – Konzernchef López nimmt die Politik in die Pflicht.
Krise ist seit vielen Jahren ein Dauerzustand bei Thyssenkrupp. Fehlinvestitionen, Verluste, Machtkämpfe, Managerwechsel, Massenproteste von Mitarbeitern – all das prägt seit geraumer Zeit das Bild des traditionsreichen Industriekonzerns aus Essen.
Und die aktuelle Bilanz für das Ende September beendete Geschäftsjahr 2023/2024 macht es nicht besser. Jedenfalls zeigen die Zahlen, wie weit das Unternehmen von seinem einstigen Status – und jetzigen Ziel von Vorstandchef Miguel López – als „Ikone der deutschen Industrie“ und „Technologiekonzern von Weltrang“ entfernt ist.
So steckt Thyssenkrupp tief in den roten Zahlen fest. 1,5 Milliarden Euro beträgt der Verlust nach Abzug von Minderheitenanteilen im abgelaufenen Geschäftsjahr – vor allem wegen notwendiger Abschreibungen bei der kriselnden Stahlsparte Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE). Das ist zwar weniger als das 2,1-Milliarden-Minus im Vorjahr, gleichwohl aber mehr als zuvor vom Management prognostiziert.
Der Umsatz wiederum reduzierte sich um sieben Prozent auf 35 Milliarden Euro, der Auftragseingang sank um rund zwölf Prozent auf nur noch 32,8 Milliarden Euro. Gleichwohl spricht López von einem „respektablen Ergebnis“ und verweist dabei auf die „sehr herausfordernden Marktbedingungen“.
Aber López verspricht Besserung und ruft für Thyssenkrupp das „Jahr der Entscheidungen“ aus – sowohl strategisch als auch für das Portfolio des Konzerns. Gemeint sind dabei insbesondere die Stahlsparte aber auch das Rüstungsgeschäft Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS). Beide Gesellschaften sollen verselbstständigt werden.
Bei TKMS war dafür eigentlich ein Teilverkauf an den Investmentfonds Carlyle bei einer gleichzeitigen Beteiligung des Bundes geplant. Die Amerikaner haben sich zuletzt aber nach fast zwei Jahren Verhandlungszeit zurückgezogen. Nun soll es einen Börsengang von Marine Systems geben.
„Auch das war immer eine Option“, sagt TKMS-Chef Oliver Burkhard. Das werde aber länger dauern als der Verkaufspfad. „Wegen der umfangreichen Vorbereitungen kann ein Börsengang durchaus erst Ende 2025, Anfang 2026 kommen.“
Gutachter sollen Unternehmenswert feststellen
Bei der Stahlsparte ist mit der EP Corporate Group bereits ein Investor eingestiegen. 20 Prozent hat das Unternehmen des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky übernommen. Und diese Partnerschaft soll weiter vertieft werden. „Erklärtes Ziel ist die Schaffung eines gleichberechtigten 50/50-Joint-Ventures“, sagt Thyssenkrupp-Chef López. Vorher allerdings müsse Klarheit herrschen über die künftige Aufstellung und Ausrichtung des Stahlgeschäfts, das mitten in einer grünen Transformation steckt und zudem in hohem Maße von der kriselnden Automobilindustrie abhängig ist.
Der neue Stahl-Vorstand arbeitet deswegen an einem Businessplan, der zuletzt ein Streitfall war zwischen der Konzernzentrale und der Tochtergesellschaft, aufgrund dessen drei Manager und vier Aufsichtsräte TKSE verlassen haben. Zudem sollen zwei externe Gutachten die Lage beurteilen und sowohl den Wert des Unternehmens feststellen als auch die Höhe der Mitgift bestimmen, mit der Thyssenkrupp seine Stahltochter für die Eigenständigkeit ausstatten muss.
Gewerkschaften und Arbeitnehmer sind deswegen in Aufruhr. Sie befürchten den Wegfall von bis zu 10.000 der aktuell 27.000 Jobs bei TKSE und dazu eine Halbierung der Produktionskapazitäten der Hütte in Duisburg, dem aktuell größten Stahlwerk in Europa. López hat diese Zahl bislang weder bestätigt noch dementiert und verweist immer wieder auf den Businessplan, der in den nächsten ein bis zwei Monaten fertig sein soll. Klar ist lediglich: Bis 2026 sind betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen, danach sollen sie „vermieden werden“, wie López bei der Bilanzvorlage ankündigt.
Entscheidend für die Zukunft ist die schrittweise Umstellung der Produktion von der herkömmlichen, kohlebasierten Art und Weise hin zu einer emissionsarmen Direktreduktionsanlage (DRI), die zunächst mit Erdgas, im Idealfall aber mit grünem Wasserstoff betrieben wird. Rund zwei Milliarden Euro Fördergelder bekommt Thyssenkrupp dafür von der Bundesregierung und vom Land Nordrhein-Westfalen.
„Im Gegenzug erwarten wir, dass sich auch die Unternehmen klar zum Standort Deutschland bekennen und ihre Projekte zügig vorantreiben und Arbeitsplätze bei uns erhalten“, hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kürzlich bei der Feier zum 150-jährigen Jubiläum der Wirtschaftsvereinigung Stahl deutlich gemacht.
Das allerdings stand speziell bei Thyssenkrupp zuletzt infrage. So jedenfalls ließen sich verschiedene Aussagen von López und Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm verstehen, die zum Beispiel von „ungeplanten Mehrkosten“ sprachen, „die bewertet werden müssen“. Auch von „technologie- und ergebnisoffenen“ war die Rede.
Insidern zufolge könnten sich die bislang veranschlagten rund drei Milliarden Euro für den Bau der Anlage um einen dreistelligen Millionenbetrag erhöhen. Trotzdem scheint das DRI-Projekt weiterzugehen. „Aktuell bewerten wir die Situation, gehen aber davon aus, dass die Anlage unter den gegebenen Rahmenbedingungen realisiert werden kann“, kündigt López an. Weitere Anlagen – im Duisburger Werk gibt es schließlich mehr als einen Hochofen – sind aber erstmal nicht in Planung. „Jetzt bauen wir erst einmal die Pionieranlage“, sagt López.
Dividende trotz Milliardenverlust geplant
Dafür nimmt der Manager aber erneut die Politik in die Pflicht. „Entscheidend ist der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur, mit einem verlässlichen Zeitplan und dem notwendigen wettbewerbsfähigen grünen Strom“, erklärt López. „Klar ist: Wir müssen vor allem beim Aufbau der Pipelines in Europa deutlich schneller werden – und die dafür entscheidenden Weichenstellungen liegen explizit auf der staatlichen Seite.“
Denn die DRI-Anlage müsse am Ende auch wettbewerbsfähig arbeiten können. Stand jetzt gebe es aber erhebliche Verzögerungen. „Das führt zu einer mangelnden Wasserstoffverfügbarkeit, hohen Preisen und zu nennenswerten Unwägbarkeiten bei der grünen Transformation insgesamt.“
Für Unbehagen dürfte in der Politik wie auch bei Arbeitnehmern und Gewerkschaften indes sorgen, dass Thyssenkrupp trotz des Milliardenverlustes eine Dividende bezahlen will. Vorgeschlagen werden von Vorstand 15 Cent je Aktie. Begrüßen dürfte das insbesondere die Krupp-Stiftung, die rund 21 Prozent der Anteile hält. Schließlich ist Thyssenkrupp ihr einziger relevanter Vermögenswert.
Finanzvorstand Jens Schulte verteidigt den Dividenden-Vorstoß. „Wir wollen damit für Kontinuität stehen“, begründet der Manager. Aktionäre seien schließlich eine wichtige Interessengruppe des Unternehmens. „Außerdem geht es darum, ein Zeichen der Stärke nach außen zu senden.“
Zahlen müsste der Konzern die Ausschüttung in Höhe von rund 94 Millionen Euro aus der Substanz. Schulte sprach zum einen vom laufenden Cash Flow und zum anderen von der Auflösung einer Gewinnrücklage.
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.