Thyssenkrupp: Tschechischer Milliardär steigt in Stahlgeschäft ein – Wirtschaft | ABC-Z
Der tschechische Firmensammler setzt nun auch auf deutschen Stahl: Daniel Křetínský, einer der reichsten Europäer, steigt mit seiner Holding EP Corporate Group (EPCG) bei der kriselnden Stahltochter von Thyssenkrupp ein. Das verkündete der Essener Mischkonzern am Freitag. In Deutschland gehören dem öffentlichkeitsscheuen Křetínský bereits nahezu die Hälfte der Aktien des Großhändlers Metro; außerdem hat der 48-Jährige Vattenfalls ostdeutsche Braunkohlesparte gekauft. Daneben besitzt EPCG Anteile an Energie-, Medien-, Handels- und Logistikfirmen in anderen europäischen Ländern.
EPCG übernimmt zunächst 20 Prozent der Anteile an Thyssenkrupp Steel Europe. Das Geschäft soll bis Spätsommer abgeschlossen sein. Später sollen die Tschechen aufstocken, so dass Thyssenkrupp und EPCG langfristig jeweils 50 Prozent an der Tochterfirma halten. Diese betreibt in Duisburg Europas größtes Stahlwerk; dort arbeiten 13 000 der 27 000 Beschäftigten. Allerdings will das Management die Kapazität des schlecht ausgelasteten Standorts senken. Das dürfte mehr als tausend Jobs kosten.
Thyssenkrupps Vorstandschef Miguel López bezeichnet die Einigung als “historischen Schritt”, wichtig nicht nur für seine Tochterfirma, sondern für die gesamte deutsche Stahlindustrie. Die Branche leidet unter den hohen Energiekosten und billigen Importen aus China. Zugleich müssen die Konzerne Milliarden in die Umstellung auf eine klimafreundliche Stahlproduktion investieren.
Dank der Partnerschaft mit den Tschechen sollen diese Investitionen einfacher zu stemmen sein. Roheisen soll künftig nicht mehr mit Koks und Kohle in Hochöfen gewonnen werden, sondern mit Hilfe von klimafreundlich hergestelltem Wasserstoff in sogenannten Direktreduktionsanlagen. Eine davon baut Thyssenkrupp Steel Europe bereits in Duisburg, für schlappe drei Milliarden Euro. Bund und Land unterstützen das wegweisende Projekt mit zwei Milliarden Euro Subventionen. Diese grüne Stahlproduktion benötigt jedoch Riesenmengen an Wasserstoff und Ökostrom.
Die Tschechen sollen Ökostrom liefern
Auch hier soll die Zusammenarbeit mit Křetínský helfen, denn EPCG betreibt viele Kraftwerke und investiert massiv in Ökostrom-Anlagen. Allein in Deutschland wollen die Tschechen bis 2030 Wind- und Solarparks mit einer Leistung von mehr als acht Gigawatt errichten. Der Einstieg von EPCG bei Thyssenkrupp Steel Europe soll die Versorgung der Hüttenwerke mit Ökostrom und Wasserstoff sicherstellen. Für die grüne Transformation der Branche sei “ein starker Energiepartner wie EPCG unverzichtbar”, sagt Konzernchef López. Stehe Energie bisher für zehn Prozent der Produktionskosten bei Stahl, seien es künftig bis zu 50 Prozent.
Zum Kaufpreis schweigen die beiden Unternehmen. Ob Thyssenkrupp Geld zufließt, ist offen, schließlich belasten Pensionsverpflichtungen von mehr als 2,6 Milliarden Euro die Stahltochter und drücken deren Wert. Die Verhandlungen mit Křetínský dauerten auch länger, als López gehofft hatte. Der frühere Siemens-Manager, der Thyssenkrupp seit vorigem Sommer führt, strebte zunächst einen Abschluss bis Ende Oktober an.
Der Deutsch-Spanier ist nicht der erste Thyssenkrupp-Chef, der für die Stahlsparte Käufer oder Investoren sucht. Schon zur Jahrtausendwende wollte der damalige Vorstandsvorsitzende Gerhard Cromme den Bereich an die Börse bringen, was aber nicht gelang. Später scheiterten Fusionen mit den Rivalen Tata und Liberty Steel. López’ Vorgängerin Martina Merz wollte ebenfalls einen Partner an Bord holen. Dass das nicht glückte, war Hauptgrund ihres Rücktritts.
Das Stahlwerk muss schrumpfen
Dass sich Křetínský zum Einstieg in die Stahlbranche berufen fühlt, hängt offenbar mit seinen Erfahrungen bei Kraftwerken zusammen. In der Mitteilung zu dem Geschäft lässt er sich zitieren, dass Europas Stahlsektor eine ähnliche grüne Transformation durchlaufen werde wie der Energiesektor. Fragen von Journalisten beantwortete nur EPCG-Vorstandsmitglied Jiří Nováček. Der betonte, dass seine Holding auch langfristig bloß 50 Prozent und nicht mehr an der Stahlfirma halten wolle. Und eine Beteiligung am Essener Mutterkonzern Thyssenkrupp schloss er gleichfalls aus.
Dass die Tschechen im ersten Schritt nur 20 Prozent der Anteile kaufen, begründet López mit der anstehenden Schrumpfkur bei der Stahltochter. Das Management erarbeitet gerade einen Plan, wie die Kapazität des schlecht ausgelasteten Duisburger Standorts um ein Fünftel gesenkt werden kann. Das soll die Hüttenwerke wieder profitabler machen. In so einer Übergangsphase sei eine 50-50-Partnerschaft “nicht darstellbar” gewesen, sagt der 59-Jährige. Dass sich EPCG überhaupt schon so früh beteilige, liege daran, dass die Tschechen bei der Neuausrichtung der Tochter “aktiv mitwirken möchten”. Er erhoffe sich davon mehr Tempo beim Umbau.
Werden in Duisburg einzelne Hochöfen geschlossen, könnte das geschätzte zweitausend Stellen kosten. Allerdings verbietet ein Tarifvertrag noch zwei Jahre lang Kündigungen. Am Freitag beschwerte sich IG-Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner darüber, nicht eher über die Einigung mit EPCG informiert worden zu sein: Die Arbeitnehmervertreter hätten “nur wenige Stunden vor der Öffentlichkeit von der Entscheidung erfahren – das ist kein guter Stil”, sagte Kerner, der auch Vizechef des Thyssenkrupp-Aufsichtsrats ist. Der Gesamtbetriebsrats-Vorsitzende Tekin Nasikkol versicherte, die Gewerkschaft werde Křetínskýs Plan “sorgfältig und kritisch bewerten, wenn er denn vorliegt”.
Immerhin bei Thyssenkrupps Anteilseignern kam die Ankündigung gut an: Der Großaktionär “Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung” verkündete, eine Beteiligung von EPCG zu begrüßen. Und der Aktienkurs legte direkt nach der Mitteilung um zehn Prozent zu.