Thomas Vinterbergs TV-Serie „Nur mit Euch“ | ABC-Z

Dänemark geht unter: Der steigende Meeresspiegel wird das Land überschwemmen, die Regierung will alle Bürger evakuieren. Die Menschen müssen sich von dem verabschieden, was sie lieben und was sie kennen. Das ist die Ausgangssituation von Thomas Vinterbergs neuer Fernsehserie „Families like Ours – Nur mit Euch“. Wir sprachen mit dem dänischen Oscarpreisträger und Mitbegründer der Dogma-95-Bewegung über Ängste, Hoffnung, Jugend – und Rettungsboote.
Herr Vinterberg, 2024 war wieder das wärmste Jahr in der Geschichte der Wetteraufzeichnung. Sind Sie zum cineastischen Aktivisten der Umweltkatastrophe geworden?
Hoffentlich nicht. Die Serie war nie als Shout-out für die Klimakatastrophe gedacht. Es geht durchaus um Klima und Flucht. Aber es ist eine Art Experiment unter Menschen, ein soziologischer Test: Ich habe ein grelles Licht auf menschliches Verhalten und existenzielle Entscheidungen gerichtet. Das Klima dient dabei nur als Hintergrund.
Wie viel Sorge treibt Sie persönlich um?
Ich habe beobachtet, dass wir trotz der drohenden Klimakatastrophe nicht in der Lage sind zu handeln. Selbst die Jugend, die wirklich etwas verändern will, tut es nicht: Sie kauft immer mehr und fliegt immer mehr. Oft fühle ich mich wie in der ersten Klasse auf der Titanic – das Wasser dringt schon in die Kabinen unten ein, aber wir essen, trinken, spielen einfach weiter und wollen nichts hören, was uns stören könnte. Das Gefühl von Unzulänglichkeit möchte ich gar nicht verbreiten. Sondern eher Vertrauen, dass wir uns anpassen und neue Dinge erfinden, um auch in einer neuen Welt zu leben.
Was war Ihre Motivation für diese Serie?
Mein ursprünglicher Gedanke war: Was wäre, wenn wir alles verlieren, was wir lieben und für selbstverständlich halten? Ich hielt mich damals ein paar Monate in Paris auf, wo ich an einem Film arbeitete. Paris leidet bekanntlich darunter, von ausländischen Besuchern überrannt zu werden, und reagiert auch so: Selbst nach ein paar Monaten wurde ich im Café an der Ecke behandelt wie Luft. Ich hatte das Gefühl, nicht willkommen zu sein, vermisste mein Zuhause und meine Familie. Es war ein Sonntag, und alles war voller Ablehnung. So kam ich auf die Idee, wie es sich anfühlt, total entwurzelt zu werden.
Aus so einem kurzen, aufrüttelnden Moment entstand dann eine solche Serie?
Ja, so sind Ideen, plötzlich kommen sie – und danach ist es schwierig, zu analysieren, woher. Ich dachte an meine zwei Töchter, an ihre Ängste – die Konsequenzen des Klimawechsels. Von diesem Ausgangspunkt aus entwickelte sich alles. In der Serie liegt die Hoffnung auf den Schultern der Jugend. Daher richtet sie sich auch sehr stark an sie.
Wurde auch die Pandemie zum Katalysator für diese Studie der Angst und der radikalen Veränderungen?
Die Pandemie hatte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht stattgefunden, der Start des Projekts liegt sechs, sieben Jahre zurück. Den Krieg in der Ukraine hatte es noch nicht gegeben, und in Europa hatten die regionalen Flutkatastrophen wie im Ahrtal und in Valencia noch nicht stattgefunden. Dann aber wurden wir plötzlich von der Realität überholt: Plötzlich gab es eine Pandemie mit Szenen, die unseren erfundenen Drehbuchszenen so ähnlich waren, dass es aussah, als hätten wir Nachrichtensendungen dupliziert. Diese Faszination für Toilettenpapier . . .
. . . in Deutschland . . .
. . . auch in Dänemark, überall! Wir können unsere Lebensmittel verlieren, wir können unsere Würde verlieren, unseren Besitz. Aber nicht unser Toilettenpapier. Das stand tatsächlich so im Drehbuch, aber wir mussten es rausnehmen, nachdem es wirklich wahr geworden war.
Haben Sie sich aus der Realität überhaupt noch etwas abgeguckt?
Ja, die Tatsache, wie ordentlich wir Dänen sind. Wir sind wie ein kleines Auenland voller Hobbits. Die Katastrophe in der Serie geht sehr wohlgeordnet vonstatten: Wir müssen unser Land verlassen. Aber wir verlassen es in Gruppen. Wir kümmern uns um alle. Wir finden für jeden ein Zuhause – nichts Großartiges, aber jeder hat ein Dach über dem Kopf.
Sie fingen an, diese Serie zu schreiben, bevor Sie für „Der Rausch“ 2021 den Oscar für den Besten fremdsprachigen Film gewannen. Vereinfachte die Trophäe es, die Serie zu realisieren?
Schon. Durch den Oscar war unsere finanzielle Situation recht gut: Die Financiers hatten Vertrauen zu uns und waren großzügig. Aber es bleibt jedes Mal ein Kampf. Man brauchte immer etwas mehr Budget. Denn man hat immer mehr Ehrgeiz als Geld!
Als Format wählten Sie erstmals eine TV-Serie. Was reizte Sie daran?
Schon nach „Das Fest“ wollte ich mal einen Mehrteiler drehen. Aber dann wurden Serien plötzlich hip, und ich verlor das Interesse. Ich möchte nichts tun, was „en vogue“ ist. Jetzt klingt der Hype schon ab. Und diese Geschichte benötigte Zeit, Gravitas, Länge. Da war das Format perfekt. Ich wollte eine Weile in das Zuhause der Figuren einziehen. So etwas kann nur eine Serie leisten.
Sie haben die Serie mit Bo Hr. Hansen geschrieben. Wie funktioniert dieses Tandem?
Bo Hr. Hansen, mit dem ich geschrieben habe, kennt sich sehr gut im wissenschaftlichen Kontext aus. Er war dafür verantwortlich, dass der faktische Hintergrund in Ordnung ist, während ich mich mit dem persönlichen Drama der Figuren beschäftigt habe.
Warum ist es Ihnen an die Nieren gegangen?
Ohne viel darüber reden zu wollen, befinde ich mich persönlich gerade in einer Phase der Trauer. „Families like Ours“ war wohl sehr mit meiner Trauer verflochten. Als meine Frau die erste Synopsis dieser Geschichte gelesen hat, brach sie in Tränen aus und sagte: „Ich glaube, du leidest unter Depressionen. Du musst etwas Hoffnung zulassen, in der Serie und auch in deinem Leben.“ Die Spur der Hoffnung zu verfolgen, war in den letzten Jahren meine größte Aufgabe. Es ist immer noch sehr dunkel, aber es war schon dunkler.
Sie verloren 2020 eine Tochter. Wo finden Sie Hoffnung?
In mehreren Dingen: Ich habe gelernt, dass der Mensch in einer Krise einen Rückschritt macht und Empathie verliert. Sogar Europa ist gezeichnet: Die Flüchtlingskrise und die Pandemie haben überall die Bereitschaft für Empathie und Solidarität reduziert. Was ich aber begriffen habe, ist: Sobald die Krise vorbei ist, kommen diese Werte auch ganz schnell wieder zurück. Wir werden als solidarische, empathische Geschöpfe geboren, nicht als Psychopathen. Das gibt mir Hoffnung. Außerdem denke ich, dass die westliche Welt von der Bildung profitiert, mit der wir ausgestattet sind. Dann sind wir Menschen gut darin, mit Widrigkeiten recht patent umzugehen und uns auf harte Umstände einzustellen. Wir sind nicht gut darin, uns zu verändern – aber wenn es hart auf hart kommt, sind wir gut darin, uns anzupassen und einen neuen Weg zu suchen. Ich weiß nur noch nicht, wie, denn es wird nicht über Veränderung laufen.
Wir ändern uns nicht. Wir können es nicht. Nur ein globales Trauma wie ein Weltkrieg verändert Menschen. Aber wir werden zumindest Lösungen finden, wenn wir das müssen.
Eine Ihrer Figuren sagt am Ende: „Was wäre, wenn eine Generation alles verändern könnte?“ Ist diese Äußerung nur ein Ausdruck eines allgemeinen Optimismus, ist es eine Utopie – oder spricht daraus Ihre eigene, persönliche Hoffnung?
Diese Äußerung ist voller Hoffnung, aber sie bedeutet zugleich: Unsere Generation nimmt sich selbst die Verantwortung von den Schultern und wälzt sie auf die Jungen ab. Und die rollt erst mal mit den Augen. Ich glaube, die Jugend wäre lieber nur damit beschäftigt, erst mal Sexpartner, Geld und eine Karriere zu finden. Das wollte ich mit dieser Szene andeuten. Das Desaster, das wir angerichtet haben, ist nicht so einfach zu lösen.
Welche Prinzipien, welche Maßnahmen empfinden Sie als konstruktiv?
Für mich ist Solidarität das wichtigste Prinzip. Es geht immer um die Gemeinschaft, ob in dieser Serie oder im Leben. Ich sehe in dieser Weltlage einen Test unserer Solidarität. „Was würdest du tun, wenn du nur noch einen Platz in deinem Rettungsboot hättest?“ Das ist die entscheidende Frage. In der Serie muss eine junge Frau entscheiden, ob sie jemandem beisteht oder sich um ihre Karriere und ihr Liebesleben kümmert. Irgendwann im Leben kommt der Punkt, wo sich „doch nur menschlich sein“ von Menschlichkeit unterscheidet.