Theater über die Geschichte Ebersbergs: Zeitlos gut – Ebersberg | ABC-Z
Was für ein Spektakel! Unterhaltsam, lehrreich und wahrlich identitätsstiftend war das Theater, das knapp 30 Ebersberger für die Bewohner ihrer Stadt am Wochenende aufgeführt haben. Der Ebersberger Forst mitsamt seinem historischen Brunnen, die Hirnschale von Sankt Sebastian, die Weiße Frau, der Aussichtsturm: Quasi alles, was die Geschichte dieses Ortes ausmacht, wurde hier auf humorvolle Weise durchexerziert. Und nach der Premiere am Freitag sah man ausnahmslos fröhliche Gesichter: Die Akteure waren glücklich, dieses Mammutprojekt gut über die Bühne des Alten Speichers gebracht zu haben, die Zuschauerinnen und Zuschauer restlos begeistert.
„Nur wer die Vergangenheit kennt, kann auch die Zukunft gestalten“, sagt Bürgermeister Uli Proske zur Eröffnung – doch nun, nach drei Vorstellungen von „Am Brunnen tief im Wald“ dürfte es da kaum mehr Nachholbedarf geben. Das Stück, geschrieben anlässlich des 70. Jahrestags der Stadterhebung, bietet sogar selbst einen Ausblick in die Zukunft: Am Ende landen die beiden Zeitreisenden im Jahr 2054, mitten in den Feierlichkeiten zum dann hundertsten Geburtstag dieser Stadt, bereits mehrfach gewählt zur „schönsten in ganz Deutschland“. Doch die Utopie geht noch viel weiter: Der TSV kickt in der Ersten Bundesliga, die Schlossbrauerei hat Paulaner aufgekauft, ein Ebersberger Solarhersteller ist führendes Dax-Unternehmen und überhaupt herrscht endlich stabiler Weltfrieden. Man wird ja wohl noch träumen dürfen?!
Ansonsten besticht das Stück aus der Feder von Wolfgang Oppler mit vielen historischen Bezügen und Humor. Immer wieder werden die jeweils neusten Errungenschaften diskutiert, sei es ein Kupferbeil, ein Aquädukt oder eine Ringmauer – Kritik am Fortschritt scheint in Ebersberger ein zeitloses Phänomen. Das bestens informierte Publikum goutiert jede Anspielung, aber auch die vielen Seitenhiebe gegen die Nachbarn und Frotzeleien zwischen den Geschlechtern kommen gut an. Darüber hinaus kann man sich erfreuen an tollen Kulissen aus der Werkstatt von Initiator Georg Schuder, an detailreichen Kostümen und Frisuren sowie allerhand witzigen Requisiten. Als etwa eine Horde Steckenpferde über die Bühne reitet, ist das Gelächter groß.
Zu überzeugen wissen auch die ehrenamtlichen Darsteller. Egal, ob Theaterneuling oder Fast-Profi: Sie alle sind sehr präsent, spielen und artikulieren deutlich. Manche sprechen beste bairische Mundart, andere Hochdeutsch, doch jeder ist gut zu verstehen. Die Souffleuse, die sicherheitshalber hinter einem Busch versteckt ist, haben sie gar nicht nötig. Da haben die beiden Spielleiter Andreas Wolffhardt und Thomas Warg ganze Arbeit geleistet.
Zwischen den beiden Hauptdarstellern Christl Bergmeier als freche Journalistin und Franz Reiner als ehrgeiziger Historiker stimmt einfach die Chemie: Die Zeitreise macht sie zu einer kleinen Schicksalsgemeinschaft, zu zweien, die nicht miteinander können, aber auch nicht ohne. Christoph Propstmeier spielt den geschäftstüchtigen Jesuitenpater behäbig-sanft, sodass umso mehr Raum bleibt für seine bairisch-agile Mitspielerin: Barbara Stinauer gewinnt als bauernschlaue Klosterladenpächterin sicher so manches Herz für sich.
Szenenapplaus gibt es für Walter Brilmayer, dem die Rolle von Graf Eberhard wie auf den Leib geschrieben ist, während zwischen seinem Jäger Christoph Perstorfer und Hofköchin Marina Labermair nur so die Funken fliegen – kein Wunder, sind sie doch auch im echten Leben ein Paar. Geballte Ebersberger Prominenz bringt auch der nächste Akt: Angela Warg-Portenlänger und Elfriede Brilmayer sorgen als bayerisch-römische Klatschweiber für Heiterkeit, Uli Proske und Martin Schedo glänzen als stupide Besatzer und Antje Berberich geistert in ihrer Paraderolle als Weiße Frau durch die Szenerie. „Hilfe, die Poinger kommen“, ruft sie. „Die haben mich doch schon mal nach Gabersee gebracht!“ In der Steinzeit schließlich kann man wunderbar wilden Gesellen begegnen: Helmut Stalla, Robert Bauer, Ingrid Stalla und Marcus Müller.
Unbedingt zu erwähnen sind aber auch ein mitreißendes Vorspiel durch die Ebersberger Musikschule und die Zwischenmusik, ein Grafinger Gastspiel, das beweist, dass die Konkurrenz zur Nachbarstadt in der Realität auch erfreuliche Ausnahmen kennt. Martin Augenstein hat acht Instrumentalistinnen und Instrumentalisten zusammengetrommelt, die gemeinsam die ganz Bandbreite zwischen schneidiger Stubenmusi und swingendem Bigband-Sound bieten. Allerhand Blech kommt da zum Einsatz, aber auch Harfe, Hackbrett, Kontrabass, Schlagzeug, Triangel und ein riesiger Gong. Wie eine Filmmusik läutet diese Band das jeweils nächste Zeitalter ein, etwa mit barocken Klängen oder römisch anmutenden Fanfaren. Sogar lautmalerisch sind die Musiker unterwegs: Am Holzrechen wird Hufgetrappel imitiert, aufeinander geschlagene Steine, Kongas und Alphorn stimmen auf die Anfänge der Menschheit ein.
In der Steinzeit wird denn auch das große Rätsel gelöst: Wer hat den Brunnen im Forst gebaut und warum? Natürlich die Leute vom Verschönerungs-Verein – „weil’s narrisch san“. Das Loch nämlich soll eine Attraktion sein wie Stonehenge oder die ägyptischen Pyramiden, „zur Ergötzung bis in alle Ewigkeit“. Man darf also getrost feststellen: Das Raum-Zeit-Kontinuum geht verloren an diesem Abend – und zwar auf die allerbeste Weise.