Theater-Film-Kunst von Henkel Pitegoff: Stets zwischen Distanz und Nähe | ABC-Z
Calla Henkel und Max Pitegoff suchen in einer Berliner Ausstellung mit viel Künstlichkeit nach Authentizität – und fragen: Warum kauft man ein Theater?
Zu Beginn des Films: Bilder von Stühlen. Klapp-, Metall- und Plastikstühle in Studios und Proberäumen. Dazu spannungsgeladene Geigenklänge und poetische Untertitel. „Diese Stühle stehen für den Austausch von unsichtbaren Informationen“ steht da. Oder „Kennedy weiß um das Göttliche eines Stuhlkreises“.
Kennedy, das ist die Hauptfigur des Episodenfilms „Theater“ des US-amerikanischen Künstlerduos Calla Henkel und Max Pitegoff. Die ersten drei Teile davon sind jetzt im privaten Ausstellungshaus „Fluentum“ in Berlin zu sehen. Es geht darin um das Theater als gemeinschaftsstiftenden Ort. Oder vielmehr um den Traum davon. Und um das, was diesem Traum im Wege steht. Vor allem in einer Stadt wie Los Angeles, der Metropole der Selbstinszenierung.
Denn dort spielt „Theater“. Die leeren Stühle zu Beginn symbolisieren erst mal eines: Die Möglichkeit, den großen Durchbruch zu schaffen. Doch die Protagonistin, die von der Filmemacherin Leilah Weinraub gespielte Kennedy, sieht darin etwas anderes – die Einladung zur Gemeinschaft. Dafür sucht sie Verbündete. Nicht leicht in Los Angeles.
Das weiß wohl niemand besser als Henkel und Pitegoff selbst. Was Kennedy in der fiktiven Welt von „Theater“ erst mit ihren Stuhlkreisen, dann mit dem Kauf eines Theaters zu realisieren versucht, hat das Künstlerduo in der Wirklichkeit umgesetzt. Anfang 2024 eröffneten sie am Santa Monica Boulevard das „New Theater Hollywood“. Seitdem feiern sie dort fast jeden Monat Premiere mit einem selbst produzierten Stück.
Theaterstadt Los Angeles
In Los Angeles werde Theater meist nur als Mittel gesehen, um „für etwas anderes vorzusprechen“, für eine Film- oder Fernsehproduktion, sagt Henkel während der Presseführung durch die Berliner Ausstellung. Doch für das Duo ist Theater vielmehr ein autonomer Ort, an dem die gemeinsame Erarbeitung eines Stückes und die Dokumentation davon gleichberechtigt neben der Aufführung stehen.
Überhaupt sind es die fließenden Grenzen, die das Künstlerduo interessieren. Konsequent bewegen sie sich in ihrer Arbeit zwischen den Genres, ästhetisch stets an der Schwelle von Realität zur Künstlichkeit, von Authentizität zur Performance. Ein Prinzip, das Calla Henkel auch als Romanautorin von Thrillern im Schmökerformat verfolgt.
In Berlin betrieben Henkel und Pitegoff in den 2010er Jahren mehrere Künstlerbars und -räume. 2019 übernahmen sie dann für eine Spielzeit die Leitung des Grünen Salons der Volksbühne. Plötzlich hatten sie Zugang zur deutschen Theaterwelt. Mit ihren eingefahrenen Strukturen und strikten Zeitplänen. Aber auch mit einem Ensemble aus fest engagierten Schauspielern, die sich – im Idealfall – um nichts anderes kümmern müssen, als darum, gemeinsam Theater zu spielen. Diese Form des Theatermachens versuchen Henkel und Pitegoff nun auch in Los Angeles zu etablieren. Davon erzählt der Film „Theater“. Aber nicht nur. Er sei auch „eine eigenständige, wilde Fiktion“, sagt Pitegoff. Das Künstlerduo greift zu starken stilistischen Mitteln: Gedreht wurde mit einer 16-mm-Kamera ohne Ton. Dialoge gibt es keine. Jede Szene ist genau einstudiert, nichts ist spontan.
Der Ausstellungsort verstärkt die spannungsgeladene, künstliche Atmosphäre. Wie eine überdimensionierte Gruft lastet der abgedunkelte Raum mit seinen schwarzen Marmorsäulen auf den Ausstellungsbesuchern. Kein Wunder, ist er doch Teil eines 1930 von den Nationalsozialisten für die Reichsluftwaffe erbauten Gebäudekomplexes.
Die Figuren, die Handlung, die Motivationen, alles bleibt in diesem Film auf Distanz, düster und geheimnisvoll. Nur eines ist in jeder Szene unmittelbar präsent: die Sehnsucht nach der Überwindung eben dieser Distanz, nach Nähe. Nach dem, was manche sogar in einer Stadt wie Los Angeles ein Theater kaufen lässt.