Schafft es der FSV Mainz 05 über die Bundesliga in den Europapokal? | ABC-Z

Vier Spiele hintereinander ohne Sieg, mit nur zwei Punkten. Wenig verwunderlich, dass diese jüngste Serie des FSV Mainz 05 Anlass zu Spekulationen bietet. Haben die Rheinhessen in den Monaten zuvor über ihrem Limit gespielt? Ist die Luft raus? Hängen ihre Erfolge zu sehr von Nadiem Amiri und Jonathan Burkardt ab? Oder haben sich die Profis nach mehreren Wochen auf einem Champions-League-Platz zu sehr mit diesem Thema befasst und sich selbst zu viel Druck gemacht, dieses Ziel nicht zu verspielen?
Die Einzigen, die Druck aufgebaut hätten, seien die Medien gewesen, kontert Sportvorstand Christian Heidel vor dem Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg an diesem Samstag (15.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei Sky). „Seit drei oder vier Monaten verlangen sie von uns, neue Ziele zu setzen, und meinen, wir müssten über die Champions League reden.“
Dazu hätten sich die Spieler, die lange sehr zurückhaltend auf entsprechende Fragen reagiert hatten, zuletzt teilweise überreden lassen. „Das war auch in Ordnung, wir haben ihnen das nicht verboten. Und jetzt gewinnen wir vier Spiele nicht und sind am Druck gescheitert?“
Christian Heidel: „Das ist Unsinn“
Das geht Heidel zu weit. „Das ist Unsinn“, sagt er. Jedes Spiel habe seine eigene Geschichte. Jede Niederlage, jedes Unentschieden müsse für sich betrachtet werden. Macht man dies mit den zurückliegenden vier Begegnungen, muss man zu dem Schluss kommen: Das 2:2 gegen den SC Freiburg war wegen der zweimal aus der Hand gegebenen Führung ärgerlich, entsprang aber – in der gesamten zweiten Hälfte in Unterzahl – einer Topleistung.
Beim 1:3 in Dortmund waren die Mainzer vor der Pause und bei zwei BVB-Eckbällen nicht auf der Höhe. Gegen Holstein Kiel (1:1) benötigten sie ebenfalls eine Hälfte Anlaufzeit, um zu ihrem Spiel zu finden. Und zuletzt in Hoffenheim (0:2) dominierten sie das Geschehen, ließen es aber an der Effizienz mangeln, die der Gegner bei zwei Kontern im ersten Durchgang zeigte.
Sehr wohl ließ sich dies mit den Ausfällen Amiris und Burkardts erklären, der eine gelbgesperrt, der andere an einem wiederkehrenden Infekt erkrankt, der ihn schon in den beiden vorangegangenen Partien zu bremsen schien.
„Mainz 05 hat in seiner Geschichte nicht so viele Nationalspieler gehabt und hat jetzt zwei, worüber wir sehr glücklich sind“, sagt Heidel. „Dass ihr Fehlen nicht unbedingt die Qualität verbessert, ist völlig logisch. Das hat uns sehr wehgetan, aber ich finde, trotzdem haben es die Jungs gut gemacht. Wenn du in Hoffenheim mehr als 60 Prozent Ballbesitz hast, hat diese Mannschaft alles reingehauen. Wir haben nur leider kein Tor geschossen und drei Hoffenheimer Chancen zugelassen.“
Viermal war Mainz im Europapokal
Der Sache mit dem Druck steht auch ein Fakt entgegen, der in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vorkommt: die Erfahrung der Spieler. Für den Verein mag die Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb, die Qualifikation für die Königsklasse gar, eine Ausnahmesituation darstellen.
Viermal waren die 05er dabei: 2005/06, in ihrer zweiten Bundesligasaison, durften sie über die Fair-Play-Wertung in die UEFA-Cup-Qualifikation und scheiterten erst an ihrem dritten Gegner, dem FC Sevilla. 2011 und 2014 war in der Europa League bereits nach der ersten Runde Schluss, 2016 qualifizierten sie sich unter Trainer Martin Schmidt für die Gruppenphase, schieden nach mäßigen Leistungen aber als Tabellendritter aus.
Ganz anders hingegen sehen viele individuelle Statistiken aus. Elf Spieler des aktuellen Kaders waren schon in den unterschiedlichen UEFA-Wettbewerben aktiv, bei den Stammkräften allen voran Nadiem Amiri, der es in Leverkusen und Hoffenheim auf 36 Einsätze in der Champions League und Europa League brachte.
Gefolgt von Danny da Costa (32-mal mit Leverkusen und Frankfurt) und Dominik Kohr mit Leverkusen, Augsburg und Frankfurt. Außerdem Moritz Jenz (Celtic Glasgow), Andreas Hanche-Olsen (KAA Gent), Phillipp Mwene (PSV Eindhoven), Silvan Widmer (FC Basel), Arnaud Nordin (AS Saint-Étienne), 05-Urgestein Stefan Bell und sogar der junge Österreicher Nikolas Veratschnig (Wolfsberger AC).
„Was Schöneres gibt’s doch gar nicht“
Spitzenreiter ist Hyun-seok Hong mit 41 Spielen für die KAA Gent in der Europa League und Conference League – auf seinen Durchbruch in der Bundesliga warten sie in Mainz allerdings noch. Alles in allem genügend Profis mit viel Erfahrung, die sich nicht so schnell nervös machen lassen.
„Sicher ist: Hier haben alle Bock auf Europa“, sagt Heidel, der einst mit dem FC Schalke als Meisterschaftszweiter bis ins Achtelfinale der Champions League vorgedrungen war. Er kann ermessen, was es für Mainz 05 bedeuten würde, in der Liga der 36 besten Mannschaften Europas mitzumischen. Emotional und wirtschaftlich.

„Ja, was Schöneres gibt’s doch gar nicht für Mainz 05. Das Tolle ist doch, dass wir alle diese Geschichte des Klubs mitschreiben. Unsere Mitarbeiter, unsere Zuschauer sind zum Großteil seit etlichen Jahren dabei, und sie werden sich alle daran erinnern, wo wir angefangen haben.“ Jetzt in der Champions League zu spielen, wäre für alle etwas Außergewöhnliches – „aber auch Europa League und Conference League wären ein herausragender Erfolg“.
Wirtschaftlich würde das „unvergleichliche Erlebnis“ den Verein in keiner Weise verändern, sagt der Manager. Es werde immer nur über Geld geredet, darüber, dass Mainz 18 Millionen Euro und noch mehr bekäme. „Aber hat der Verkauf von Brajan Gruda für 31,5 Millionen den Klub irgendwie verändert? Null Komma null. Wenn die Champions League uns verändern würde, gingen bei mir sofort die Alarmglocken an.“
„Wir brauchen wohl zwei Spieler mehr“
Allzu sehr aufstocken müsse man den Kader im Fall der Fälle nicht, sagt Heidel. „Wir müssten unter Umständen ab und zu rotieren, weil es einfach kraftmäßig schwieriger ist. Im Endeffekt brauchten wir wohl zwei Spieler mehr.“ Statt momentan 22 Feldspielern plus drei Torhütern würde der Verein dann mit 24 plus drei in die Saison gehen.
Das klingt sehr optimistisch. Ob es sich bei den zusätzlichen Akteuren um echte Neuzugänge oder die verliehenen Edimilson Fernandes, der mit Stade Brest in der Champions League spielte, und Tom Krauß (VfL Bochum) handelt, werde sich zeigen.
Was aber passiert, sollten die Rheinhessen die Qualifikation für Europa verpassen? Droht dann der Kader zumindest in der Spitze zu zerbröseln, weil andere Vereine Spielern wie Burkardt, Amiri und Kaishu Sano lukrativere Angebote unterbreiten? Oder Außenverteidiger Anthony Caci seine schon einmal geäußerten Abwanderungsgedanken in die Tat umsetzt?
„Nein, überhaupt gar nicht“, sagt Heidel. „Nahezu alle Spieler sind noch länger unter Vertrag, wir entscheiden also selbst, ob sie gehen.“ Zwar gehöre es zur Vereinsphilosophie, hier und da einen Spieler für viel Geld zu verkaufen, um wieder in andere Dinge zu investieren. „Aber dann ist es unsere Entscheidung. Das ist in Mainz geübte Praxis seit 30 Jahren. Und wir sind wirtschaftlich sehr gut aufgestellt, wir müssen niemanden abgeben.“
Dass über die Zukunft einiger 05-Spieler spekuliert werde, sei „business as usual“. „Immer wenn Mainz 05 eine gute Saison hat, sind unsere Spieler gefragt. Jetzt habe ich sogar gelesen, unser Trainer soll nach Leipzig, und was weiß ich alles. Aber über so etwas diskutieren wir gar nicht.“