Testament: Erben wird immer mehr zum Tabu – Wirtschaft | ABC-Z
Die Deutschen schrecken zunehmend davor zurück, sich mit dem Thema Erben und Vererben zu befassen. 64 Prozent von ihnen beschäftigen sich nur „ungern“ damit, ergab eine Umfrage des Allensbach-Instituts unter 1086 Bundesbürgern im Auftrag der Deutschen Bank. Bei früheren Befragungen in den Jahren 2018 und 2015 hatte dieser Anteil nur bei 60 und 58 Prozent gelegen. Im Jahr 2013 wurde vor einem Erbfall noch in 40 Prozent der Fälle frühzeitig über das Thema gesprochen, 2024 waren es nur noch 31 Prozent. „Vermutlich liegt das daran, dass man sich dabei mit dem Abschied vom eigenen Leben auseinandersetzen muss“, sagte der Münchner Rechtsanwalt und Steuerberater Bernhard Schmid, der die Studie am Dienstag in München zusammen mit der Deutschen Bank präsentierte. Dabei sei es extrem wichtig, sich frühzeitig damit zu befassen, weil sich durch gute Regelungen sowohl Erbschaftsteuern sparen als auch familiäre Konflikte vermeiden ließen.
Auch mit dem eigenen Testament setzen sich die Bundesbürger ungern auseinander. Nur 35 Prozent der Befragten gaben an, dass sie schon ein Testament gemacht haben. Bei den unter 50-Jährigen sind es sogar nur elf Prozent, bei den über 65-Jährigen 50 Prozent. „Das ist erschreckend und sollte sich dringend ändern“, sagt Mario Fritsch, Spezialist für Vermögensübertragung zwischen Generationen bei der Deutschen Bank in München. Auch junge Familien sollten zum Beispiel schon regeln, wer die Vormundschaft für die Kinder übernimmt, falls den Eltern etwas zustößt.
Kinder trauen sich nicht, das Thema anzusprechen
Ein anderes Problem ist, dass sich Kinder das Thema nicht anzusprechen trauen. Nur vier Prozent der Befragten gaben an, dass der mögliche Erbe die Initiative bei dem Thema ergreifen sollte, 82 Prozent sehen dagegen diejenigen in der Pflicht, die etwas zu vererben haben. „Kinder sprechen das Thema aus moralischen Gründen ungern an, jeder hat ein Störgefühl dabei, wenn er damit auf die Eltern zugehen möchte“, sagt Rechtsanwalt Schmid. Dabei betreffe es vor allem die Kinder, schließlich seien sie es, die die Erbschaftsteuer zahlen.
Wann ist der beste Zeitpunkt, um das Thema anzusprechen? In der Umfrage gaben 17 Prozent an, dafür eigne sich besonders eine Familienfeier, 24 Prozent meinen, der Eintritt in den Ruhestand sei ein guter Zeitpunkt dafür, für 28 Prozent ist es der Tod einer nahestehenden Person und für 39 Prozent, wenn ein Familienmitglied oder Freund schwer erkrankt. In der Praxis hält Bank-Spezialist Fritsch es für schwierig, das Thema gegenüber einem kranken Angehörigen anzusprechen, „weil da eine Prognose mit drinsteckt“.
Nach Daten des Statistischen Bundesamts wurden 2023 rund 121 Milliarden Euro steuerpflichtig vererbt oder verschenkt – knapp ein Fünftel mehr als im Vorjahr und damit so viel wie nie zuvor. Der Wert der Vermögensübertragungen war sogar deutlich höher, da dabei keine Erbschaften und Schenkungen berücksichtigt werden, die unterhalb der Freibeträge liegen. Auch der Umfang des jeweiligen Erbes wird immer größer. 52 Prozent der potenziellen Erblasser gehen laut der Umfrage davon aus, dass ihr Erbe einen Wert von mehr als 250 000 Euro hat. Vor sechs Jahren waren dies nur 30 Prozent der Befragten. Jeder Dritte hat schon einmal eine Erbschaft gemacht. Mehr als jeder Zweite – 54 Prozent – erbt heute eine Immobilie; im Jahr 2018 betrug dieser Anteil nur 40 Prozent.
Steuerberater Schmid erläutert die Notwendigkeit, sich frühzeitig um ein Testament zu kümmern, an einem Beispiel: Wird ein Eigenheim an den Ehepartner übertragen, besteht ein Freibetrag von 500 000 Euro, bleibt der überlebende Partner darin wohnen, ist das Haus völlig steuerfrei. Sind die Lebensgefährten dagegen nicht verheiratet, werden sie steuerlich wie Fremde behandelt, es besteht nur ein Freibetrag von 20 000 Euro. „Dafür kriegt man in München nicht mal einen Tiefgaragenstellplatz vererbt“, sagt Schmid.