Terror-Experte: Bei Magdeburger Todesfahrer Anzeichen für „Salatbar-Extremismus“ | ABC-Z
Das erschütternde Attentat von Taleb A. auf einen Magdeburger Weihnachtsmarkt, bei dem fünf Menschen getötet wurden, wirft zahlreiche Fragen auf. Im Interview mit dem “Spiegel” beleuchtete Terrorismus-Experte Peter Neumann die Hintergründe und Besonderheiten des Falls. Besonders überraschend ist für ihn das ungewöhnliche Täterprofil von Taleb A., das in vielerlei Hinsicht von gängigen Mustern abweiche.
Attentäter von Magdeburg: Die wirre Ideologie von Taleb A.
Neumann weist darauf hin, dass Taleb A. mit 50 Jahren „deutlich älter“ sei als der „typische Terrorist“. Irritierend sei zudem, dass ein bekennender Islamkritiker ein Attentat verübt habe, das stark an Methoden des „Islamischen Staats“ erinnere. Dennoch hält Neumann die in sozialen Medien verbreitete Theorie, dass die Islamkritik Taleb A. nur Tarnung gewesen sein könnte, für unwahrscheinlich. „Ein Schläfer, der nicht schläft, wäre ein absolutes Novum“, erklärt er. Stattdessen vermutet Neumann, dass sich der Hass von Taleb A. zunehmend gegen den Staat und die deutsche Gesellschaft gerichtet habe.
Laut Neumann ist es wahrscheinlich, dass sich Taleb A. selbst radikalisierte. Klar ist, dass er dabei eine wirre Ideologie entwickelte, die Elemente von Islamfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien vereinte.
Eine Kombination aus Wahnvorstellungen und ideologischem Extremismus sei keine Seltenheit, so Neumann. Bereits beim Attentat in München 2016, bei dem ein rechtsextremer Deutsch-Iraner neun Menschen tötete, sei ein ähnliches Muster sichtbar geworden.
Die Hinweise auf eine gravierende psychische Erkrankung des Täters von Magdeburg verdichten sich mittlerweile, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen erfuhr.
Ideologie von Taleb A. und der „Salatbar-Extremismus“
Taleb A. war am Freitagabend mit einem Auto über den Weihnachtsmarkt von Magdeburg gerast und hatte fünf Menschen, darunter ein Kind, getötet und rund 200 verletzt. Der Arzt aus Bernburg südlich von Magdeburg stammt aus Saudi-Arabien, lebt seit 2006 in Deutschland und erhielt 2016 Asyl als politisch Verfolgter. Er war in den vergangenen Jahren an verschiedenen Stellen aufgefallen. Er sitzt in Untersuchungshaft.
In sozialen Medien teilte er islamfeindliche Aussagen, sympathisierte mit Rechtsextremisten und behauptete, von Geheimdiensten verfolgt zu werden. Wie an einem Buffet aus verschiedenen Ideologien stellen sich Menschen wie er ihren Extremismus zusammen,jene „Salatbar-Extremismus“ genannte Kombination wurde laut „Spiegel“ erstmals vom FBI beschrieben. “Die britischen Behörden haben hierfür eine eigene Kategorie entwickelt, sie sprechen von Gefährdern mit ‘gemischter, unklarer und instabiler Ideologie’. Das trifft es sehr gut. In Deutschland haben wir das nicht”, sagte Experte Neumann.
Nach dem Attentat rückt die Rolle der Behörden in den Fokus der Debatte. Denn Hinweise zu Taleb A., etwa durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wurden nicht effektiv verknüpft oder weiterverfolgt. Gründe für eine Verhaftung habe es genug gegeben, meint Neumann.
Gemeinsames Terrorabwehrzentrum beschäftigte sich mit Taleb A.
Der Täter war spätestens Anfang 2015 auch den zuständigen Bundesbehörden als potenziell Verdächtiger bekannt. Wie das Innenministerium in Schwerin auf DPA-Anfrage mitteilte, informierten Vertreter des Landes Mecklenburg-Vorpommern im von Bund und Ländern getragenen Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum das Bundeskriminalamt am 6. Februar 2015 über mögliche Anschlagsabsichten des aus Saudi-Arabien stammenden Mannes.
Anlass für die Meldung seien dessen Drohungen gegenüber der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern im April 2013 und ein Jahr später auch gegen eine Kommunalbehörde in Stralsund gewesen, Handlungen vorzunehmen, die internationale Beachtung fänden.
Nach Angaben von Innenminister Christian Pegel (SPD) lebte der heute 50-Jährige von 2011 bis Anfang 2016 in Mecklenburg-Vorpommern und absolvierte in Stralsund Teile seiner Facharzt-Ausbildung. Mit der Landesärztekammer habe es Streit um die Anerkennung von Prüfungsleistungen gegeben. Gegenüber der Sozialbehörde in Stralsund habe er versucht, mit Drohungen die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt durchzusetzen.
Laut Pegel hatte das Amtsgericht Rostock Taleb A. wegen der Drohungen gegenüber der Ärztekammer zu einer Geldstrafe verurteilt. Die vorhergehenden Ermittlungen hätten jedoch keine Hinweise auf reelle Anschlagsvorbereitungen ergeben und auch keine islamistischen Bezüge offenbart. Nach dem Vorfall in Stralsund sei der Mann im Rahmen einer sogenannten Gefährderansprache von der Polizei auf Konsequenzen hingewiesen worden. Ihm sei gesagt worden, dass man einen sehr viel genaueren Blick auf ihn haben werde. Als Gefährder sei der Mann aber nicht eingestuft worden, sagte Pegel.
Identifizierung von gefährlichen Einzeltäter “leider ein großes, ungelöstes Problem“
Die Herausforderung bleibt, wie gefährliche Einzeltäter frühzeitig erkannt werden können. Laut Neumann fallen die meisten Einzeltäter schon vor ihren Taten auf, doch nur ein Bruchteil setzt Drohungen in die Tat um. Dieses eine Prozent zu identifizieren „bleibt leider ein großes, ungelöstes Problem“. Neumann fordert mehr Technologieeinsatz und eine verstärkte Einbindung von Psychologen und Psychologinnen in Sicherheitsbehörden. „Wir müssen es schaffen, die Täter zu schnappen, bevor sie einen Anschlag durchführen“, betont Neumann.
Das Attentat offenbart auch Schwächen im Sicherheitskonzept des Weihnachtsmarkts.A. nutzte eine ungesicherte Zufahrt, die als Rettungsweg freigehalten wurde. Experte Neumann kritisiert, dass es längst Lösungen wie versenkbare Poller gebe, die Sicherheit und Rettungswege kombinieren könnten.