Wirtschaft

Temu, Shein, AliExpress: Diese Zahlen zeigen ihre wachsende Macht in Deutschland | ABC-Z

Der Onlinehandel ist erstmals seit 2021 wieder gewachsen, wenn auch nur überschaubar. Online-Plattformen aus China verdrängen dabei rasant die deutsche Konkurrenz. Die Branche kritisiert: Gegen die unfairen Wettbewerbsbedingungen seien Zoll und Marktüberwachung machtlos.

Chinesische Online-Plattformen wie Temu, Shein und AliExpress nehmen den etablierten E-Commerce-Anbietern in Deutschland rasant Marktanteile weg. 2024 entfielen fast sechs Prozent aller Online-Käufe auf die Plattformen mit Ursprung in der Volksrepublik, meldet der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (BEVH). Das ist eine Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr und eine Verneunfachung gegenüber 2022.

Längst tauchen die Anbieter damit im vorderen Bereich der einschlägigen Rankings des EHI Retail Instituts auf, das jedes Jahr unter anderem die Top 1000 Onlineshops in Deutschland auflistet, zuletzt für 2023. Shein lag darin schon auf Platz 18 und damit noch vor Anbietern wie Tchibo oder Notebooks-billiger.

AliExpress wiederum wird als mittlerweile siebtgrößter Online-Marktplatz aufgeführt, Temu hat den Einzug in die Marktplatz-Top-10 nur knapp verpasst, obwohl der Dienst überhaupt erst im April 2023 gestartet ist.

2024 dürften sich die Unternehmen noch mal deutlich verbessert haben. Darauf lässt der Sprung bei der Käufereichweite schließen, aber auch die Tatsache, dass sie ihre Seite auch für deutsche Händler geöffnet haben. Bis die neuen Rankings kommen, dauert es aber noch einige Monate.

Das Marktplatz-Modell à la Amazon und Ebay, bei dem fremde Händler die digitale Infrastruktur einer Plattform nutzen, dürfte dabei von Vorteil sein. Denn Wachstum im E-Commerce gab es zuletzt ausschließlich für diese Form des Onlinehandels. Die sogenannten Pureplayer dagegen haben ebenso verloren wie Multichannel-Händler und Hersteller-Versender. Laut BEVH werden nun schon 55 Prozent des Gesamtumsatzes über Marktplätze gemacht.

Unter dem Strich kam der Onlinehandel 2024 dabei auf Bruttoerlöse in Höhe von 80,6 Milliarden Euro, wie der Branchenverband berichtet. Damit liegen die Umsätze mit Waren erstmals seit 2021 wieder im Plus, konkret um nominal und damit nicht preisbereinigt 1,1 Prozent.

Hinzu kommen weitere 13,5 Milliarden Euro für digitale Dienstleistungen, also etwa das Buchen von Pauschalreisen, von Flug- und Bahntickets, von Kino-, Theater- oder Konzertkarten oder von Apps und Gaming-Inhalten. Hier lag das Plus von gut sechs Prozent. „Der E-Commerce kommt aus der Krise“, kommentiert BEVH-Präsident Gero Furchheim.

Und er rechnet mit weiterem Wachstum. Um 2,5 Prozent sollen sich die online erzielten Warenumsätze 2025 erhöhen. Wobei Furchheim insgeheim auf eine noch höhere Steigerung hofft. „In Deutschland sehen wir aktuell noch einen hohen Spardrang“, begründet der Unternehmer, der im Hauptberuf den Möbel-Versender Cairo führt. Entsprechend hoch seien die Rücklagen. „Wenn nun mit und nach der vorgezogenen Bundestagswahl ein Impuls gesetzt werden kann, könnte das große Kräfte freisetzen.“

Tatsächlich sind fehlende Impulskäufe aktuell das große Problem für den Onlinehandel. Jedenfalls funktionieren Segmente wie Mode und Schuhe oder Schmuck und Unterhaltungselektronik wesentlich schlechter als Bedarfsartikel wie Medikamente, Lebensmittel oder Tierfutter.

Hoffnung mache allerdings der Bereich Social Commerce, also der Einkauf über soziale Medien, auf denen Produkte in Echtzeit vorgestellt und dabei direkt über das Internet verkauft werden. Dieses stark impulsgetriebene Format ist eine Art Weiterentwicklung des traditionellen Teleshoppings, adaptiert für die digitale Ära.

Laut einer BEVH-Umfrage mit 10.000 Teilnehmern aus dem vergangenen Sommer nutzen bereits knapp zwei Drittel der 14- bis 29-Jährigen Social Commerce. Bei den 40- bis 49-Jährigen liegt der entsprechende Wert bei rund einem Drittel und bei den Über-60-Jährigen auch schon bei gut 20 Prozent.

Doch dieser Trend löst nicht nur Freude aus. „Amerikanische und chinesische Social-Media-Plattformen werden dadurch zu einem unverzichtbaren Verkaufskanal“, sagt Alien Mulyk, die Leiterin Public Affairs beim BEVH. Hass und Handel passe aber nicht zusammen. Der europäische Weg der Social Media-Regulierung müsse daher erhalten bleiben.

Vorbehalte und Bedenken gibt es auch weiterhin gegenüber den chinesischen Plattformen. Im Raum steht dabei von verschiedenen Händler- und auch Herstellerverbänden der Vorwurf, dass illegale und nicht-verkehrsfähige Produkte nach Deutschland und Europa kommen, die gefährlich sein können für Verbraucher und aufgrund eines bewussten Unterschreitens von Zollgrenzen ungehindert zum Verbraucher kommen.

Das seien unfaire Wettbewerbsbedingungen – was von Temu und Shein stets zurückgewiesen wird. „Zoll und Marktüberwachung sind offenbar machtlos“, sagt Mulyk. Das liege aber nicht an fehlenden Gesetzen. „Neue Regulierung würde nichts bringen und die Situation automatisch verbessern. Wir haben kein Regulierungsdefizit, sondern ein Durchsetzungsdefizit.“ Dafür müsse zum Beispiel der Zoll besser ausgestattet und digitalisiert werden.

Die Politik scheint dennoch sensibilisiert. Jedenfalls möchte sich die Bundesregierung gemeinsam mit anderen europäischen Staaten für eine stärkere Kontrolle der Anbieter starkmachen. So sollen konsequent Strafen verhängt werden, falls sich Onlinehändler nicht an geltende Regeln halten und beispielsweise nichts unternehmen, wenn Produkte auf ihren Seiten als unsicher eingestuft werden.

Aus dem Bundeswirtschaftsministerium wurde Anfang September ein „Aktionsplan E-Commerce“ angekündigt, um bei den asiatischen Plattformen geltende Standards sowohl bei Produktsicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz als auch beim Zoll- und Steuerrecht durchzusetzen.

Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.

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