Teeanbau in Brandenburg, kann das gelingen? | ABC-Z

Das isses!“ Irgendwann während des Corona-Lockdowns, zwischen Teebüschen im feuchten Norden Portugals, hat die Önologin und Weinhändlerin Antje Kühnle eine Vision: „Die erste und größte deutsche Teefarm. Ich gründe sie in Brandenburg!“
Kein Jahr später, 2022, kauft Antje Kühnle mit ihrem Mann, dem Weinhändler Rüdiger Kühnle, eine halb verfallene Galloway-Rinderzucht in Schünow, gut 30 Autominuten südlich von Berlin. „Das wird eine ökologisch absolut nachhaltige, bunte, schöne Permakultur“, sagt Antje Kühnle. Eine Teefarm in Deutschland, aber als Start-up – als Pionierprojekt. Und als Kollektiv, wie es auf der Website heißt: Antje, Rüdiger, Antjes Ex-Mann Phillip und Roman, der Mann für alles.
Als Antje Kühnle ihren Geistesblitz hat, reisen sie und Ehemann Rüdiger gerade im Geländewagen durch Europa. Ihr Alltag im Weinhandel ist Antje Kühnle zu viel geworden: Ein Abendessen mit Winzern, die ihre besten Flaschen aus dem Keller holen, folgte auf das nächste. „Ich konnte keinen Alkohol mehr sehen,“ sagt sie.
„Das wird eine ökologisch absolut nachhaltige, bunte, schöne Permakultur.“
ANTJE KÜHNLE
Ein Pionierprojekt: die erste deutsche Teefarm in Brandenburg
Der Wunsch, ein Produkt von Anfang bis Ende zu begleiten, wird immer stärker – zurück zu diesem „Wurzel-Kunden-Flow“. Auch Rüdiger Kühnle sucht nach neuen Ufern. Und einer Auszeit. Seine Idee: „Wir kaufen uns eine Villa auf Mallorca und chillen mit den Kids.“ Das Geld war da, aber Buschbrände auf der spanischen Insel kommen dazwischen. Stattdessen besuchen die Kühnles alte Freunde. In Portugal.
Einer davon: Dirk Niepoort, „der Dirk“, Portweinmacher aus dem Douro-Tal – Nachfahre niederländischer Kolonialhändler und Rebell unter den traditionsbehafteten Douro-Winzern.
Zusammen mit seiner ehemaligen Frau Nina Gruntkowski betreibt Niepoort damals eine Teeplantage in den Bergen, 30 Kilometer nördlich vom Douro-Tal. 2012 traute Niepoort sich, einen ertraglosen Weinberg mit Camelia Sinensis, der gemeinen Teepflanze, zu bewirtschaften – disruptiv, aber mit Erfolg. Die Plantage ist eine der wenigen in Europa, die Tee kommerziell vertreibt. Abseits davon gibt es fast nur Hobbyprojekte, kleine Anlagen auf den Azoren, in Südfrankreich und in der Nähe von Wuppertal.
Dirk Niepoort fährt mit Antje Kühnle zum Tee, das muss sie sehen. Und dann die Erkenntnis: „Tee ist Next-Level-Wein!“
Antje Kühnle verteilt Schafwolle, das düngt und dämmt.
Zwei Jahre nach ihrer Eingebung im portugiesischen Hochland kniet Antje Kühnle in der Brandenburger Tiefebene und vergräbt Schafwolle im märkischen Sandboden. „Das dämmt und düngt die Camelia sinensis“ – also die Teepflanzen. 6,4 Hektar Land haben Antje und ihr Ehemann Rüdiger gekauft, auf dreieinhalb davon sollen bald 20.000 Teepflanzen blühen.
Über dem Eingang hängt seit 2023 ein neues Schild: Growing Karma. Tee-Farm. Bald soll ein Torii folgen – ein japanisches Eingangstor mit spiritueller Bedeutung. „Das zeigt: Ab hier betrittst du eine andere Welt.“
Den Bau dieser anderen Welt plant Antje Kühnle in ihrem Büro auf dem Hof. An einer Wand klebt ein raumfüllendes Vision-Board: KI-Bilder japanischer Wellness-Tempel, Zen-Gärten, minimalistische Beton-brut-Villen vor Urwald und Wasserfall. „So wird die Farm aussehen!“
Auf einer halb verfallenen Galloway-Rinderzucht in Schünow, gut 30 Autominuten südlich von Berlin, sollen bald 20.000 Teepflanzen blühen.
Ein Blick aus dem Bürofenster führt zurück in die Realität: ein alter Rinderstall, die Güllekruste aus Galloway-Zeiten, 20 Jahre alt. „Das muss erst mal aufgeweicht und ausgepumpt werden. Dann kommen deutsche Edelkrebse in die Güllegruben – also, wenn die Gülle raus ist. Kleines Side-Project.“
An der Wand gegenüber dem Fenster hängt eine goldene Plakette – ein afrikanisches Dorf dankt Ehemann Rüdiger für einen gespendeten Brunnen. Mit dem Brunnenwasser in Brandenburg, sagt Antje Kühnle, sei das aber so eine Sache. Camelia sinensis ist eine wählerische Pflanze, besonders was das Wasser betrifft. Das Grundwasser in Schünow schmeckt ihr nicht recht, zu hart, zu belastet. Eine Wasseraufbereitungsanlage, die über 1,2 Millionen Liter Wasser speichern kann, soll helfen. In der chinesischen Hochebene, wo Camelia sinensis seit Jahrtausenden kultiviert wird, ist die Pflanze anderes gewöhnt: feuchte, subtropische Berghänge und gleichmäßiger Regen – bloß nie Frost. Kann das in Brandenburg also gut gehen?
Camelia sinensis ist eine wählerische Pflanze, besonders was das Wasser betrifft.
Björn Usadel, Professor für Bio Data Science an der Universität Düsseldorf und Direktor des Forschungszentrums Jülich, erforscht seit Jahren das Keimverhalten von Teesamen. Er sagt: „Brandenburg ist sicher kein optimales Anbaugebiet, aber als Teespezialität vielleicht.“
Ähnlich sieht das Maximilian Wittig, Geschäftsführer des Teeverbands, quasi des Establishments des deutschen Teehandels: „Hitze, Wasserknappheit, Bodenfrost? Ich weiß ja nicht.“ Die Initiative begrüßt er aber: „Lieferwege kürzer halten, Vielfalt im Geschmacksprofil erweitern – wäre eine tolle Sache.“
Brandenburg ist sicher kein optimales Anbaugebiet, aber als Teespezialität vielleicht.“
BJÖRN USADEL, Professor für Bio Data Science an der Universität Düsseldorf und Direktor des Forschungszentrums Jülich
Was Wittig meint: Local Growth liegt im Trend. Die Klimakrise und der Lieferkettenschutz setzen der Branche zu. Kurze Wege könnten helfen. Und: Deutsche Konsumenten lieben ihren Biotee, kein Markt für Biotee in Europa wächst schneller. Pro Kopf trinken die Deutschen 68,2 Liter Tee – Tendenz steigend. Das Marktpotential ist also da. Nur das landwirtschaftliche Risiko bleibt.
Antje Kühnle weiß, wie schnell ihr Teetraum zum Horror werden kann. Der erste Winter: Flut. Die Farm steht plötzlich unter Wasser – sie liegt tiefer als die umliegenden Felder. Und mit der DDR verschwanden auch die Ablaufkanäle zur nahe gelegenen Nuthe. „Wir dachten schon, jetzt müssen wir Reis anbauen“, erinnert sich Kühnle und lacht.
Dann der Sommer: Hitzestau im Folientunnel, wo die zarten Jungpflanzen wachsen. „Die Elektrik fiel aus – im Brandenburger Hochsommer! Ich dachte, hoffentlich überlebt hier jemand.“ Die Setzlinge überleben. Mehr noch: Sie keimen besser, als Kühnle nach den ersten Tests gehofft hatte. „Der Boden da draußen ist Gold.“
Setzlinge im Zuchthaus: „Der Boden da draußen ist Gold.“
Aus Matsch und märkischem Sand Gold machen. Darauf ruht, oder zittert, Antje Kühnles Hoffnung. Hinter den Feldern blieb ein sumpfiges Stück Land zurück, Überbleibsel der Flut. Bald soll es zum Space für Kontemplation werden, mit Teezeremonien auf farnbegrünten Inseln – und zum Wasserspeicher.
Doch auch die Zweifel sind geblieben: „Weiß ich wirklich, was ich hier mache?“, fragt sich Kühnle. „Werden diese Pflanzen den nächsten Winter überleben?“ Jeder neu gesetzte Same bedeutet Unsicherheit. „Da wachst du nachts um drei auf und starrst auf die Wetter-App. Ist jetzt alles, was ich die letzten Jahre erarbeitet habe, mit einem Mal weg?“
Für Antje Kühnle sind das Pioniersorgen, die dazugehören. Unberechtigt sind sie nicht. Schon einmal scheiterte der Anbau von Tee in Deutschland. 2016, in Opfingen bei Freiburg: „Tee vom Tuniberg“. Das Experiment des Breisgauer Gärtners Werner Hauser und seines hemdsärmeligen Partners, des Landwirts Erwin Wagner, sorgte für Schlagzeilen. Wirtschaftlich blieb der Erfolg aus. 7000 Pflanzen konnten sie auf einem ehemaligen Beachvolleyballfeld hochziehen, dann sprang der chinesische Investor ab. 10.000 sollten es werden. Auf zwei Hektar. Und in zwei bis drei Jahren marktfertig gezüchtet. In Brandenburg plant Antje Kühnle mit der doppelten Menge – und mit der doppelten Zeit. Werner Hauser verstarb 2023, Erwin Wagner stieg auf Mais um. Heute baut er auf seinen Feldern Erlebnislabyrinthe mit Palmenstrand und kandidiert für die Freien Wähler. Sein Slogan: „Nit schwätze – mache!“
Am Risikokapital soll es in Brandenburg nicht scheitern: Der Palmenstrand ist selbstgebaut.
Am selbst gebauten Palmenstrand sitzt auch Rüdiger Kühnle in Schünow. Hinter ihm: sein Geländewagen in Tarnfarben. In der Hand ein gekühltes Corona. Anders als Erwin Wagner ist er kein verwegener Badenser, sondern ein Schwabe mit Geschäftssinn – und deshalb Hauptinvestor von Growing Karma. „Drei Mille sind hier schon reingeflossen“, sagt er. Woher das Geld kommt? „2018 haben mein Partner und ich den Exit gemacht, haben unseren Weinhandel an Dr. Oetker verkauft.“ Nach dem erlösreichen Verkauf blieb Rüdiger Kühnle dem Weinhandel treu. Auf Profilbildern online zeigt er sich mit goldener Armbanduhr im Privatjet, postet Bilder mit Winzer und TV-Moderator Günther Jauch und von Roger Moore als James Bond. Am Risikokapital soll es in Brandenburg nicht scheitern.
Probleme hat Rüdiger Kühnle trotzdem – mit Chinas strikten Regeln für den Export von Teesamen, einem Relikt aus Kolonialzeiten. Aber Kühnle wäre kein weltgewandter Schwabe, hätte er nicht auch dafür einen „Workaround“ gefunden, wie er selbst sagt. Die ersten Samen habe er auf dem Onlinebasar Etsy bekommen. Jetzt helfen ihm „Friends aus China.“ Zum Beispiel Wenzhuo Liu – ein Teemultitalent, das an ihrer Privatschule in Alfeld bei Hildesheim Taoismus und chinesische Teekultur lehrt. Sie vermittelt den Kontakt zur quasistaatlichen chinesischen Akademie für Agrarwissenschaft, von der die Kühnles ihre Zuchtsamen Wanong 85 und Longing 35 beziehen. Deutsch-chinesische Teefreundschaft? In Schünow scheint sie zu gelingen.
„Als wir hier ankamen, war das alles Flachland,“ sagt Kühle.
Die entstehende Permakultur lässt eine grüne Oase erahnen.
Verheißungsvoll schaut Rüdiger Kühnle auf seine Äcker. „Als wir hier ankamen, war das alles Flachland,“ sagt er. „Sah aus wie Tod und Teufel. Total vermüllt.“ Viel hat sich seither getan. Die entstehende Permakultur lässt eine grüne Oase erahnen. Auch die Tiere kehren zurück, sagt Kühnle. „Wir – wie soll ich das sagen? – We are not fishing for compliments from the outside. Die Compliments kriegen wir von den Tieren, die wieder da sind: das kleine Singvögelchen, die große Eule.“
Und der Fasan, möchte man hinzufügen. Denn der verfolgt die Kühnles, seit sie im Frühjahr 2022 zum ersten Mal die Schotterpiste zu ihrem neuen Hof-Traum hinauffuhren. Seitdem ist der wilde Fasan ihr Glückstier – das sehe auch die chinesische Mythologie so, meinen die Kühnles. „Da ist der Fasan ein Indikator für gute Ernte. Wofür er nämlich steht, ist wirtschaftlicher Erfolg in der Landwirtschaft.“ Oder – wie das mit Symbolen und ihrer Deutung so ist – für Glaubwürdigkeit und Demut.
Zwei Monate später. Der Frühling liegt über Brandenburg. Am Palmenstrand vor dem alten Rinderstall arbeiten die Kinder an einem neuen Bewässerungssystem. Im Kleinformat, als Sandburg. Alle tragen Growing-Karma-Shirts – „die haben sie freiwillig angezogen“, sagt Antje Kühnle.
„Tee ist Next-Level-Wein!“
Vor ein paar Wochen wurde in Schünow der erste Grüntee geerntet: „Viel ist es nicht, aber wir sind hier sowieso im oberen Preissegment. Die Leute bezahlen es auch gern,“ sagt Kühnle. Die Grammpreise für europäischen Tee, so man ihn denn bekommt, liegen bei einem bis fünf Euro, vergleichbar mit asiatischen Spitzenlagen.
Auf einem frisch bepflanzten Feld hat Antje Kühnle eine Teezeremonie vorbereitet. Kühnle, Ehemann Rüdiger, Ex-Mann Phillip und Mitarbeiter Roman sitzen im Kreis um den aufgehäuften Grüntee, in den Händen japanische Teeschalen.
Antje Kühnle bereitet den Aufguss vor: „First Flush, erste Ernte aus Schünow.“ Egal wie viel Erfahrung man mit Tee hat, dieser Moment, der erste Schluck einer Ernte, und dann auch noch der ersten, bleibt ein Nervenspiel.
Vergleichbar mit asiatischen Spitzenlagen: Die Grammpreise für europäischen Tee, so man ihn denn bekommt, liegen bei einem bis fünf Euro.
Stille. Die Gesichter verschwinden tief in den Schalen, Ehemann Rüdiger schließt die Augen. Teedampf belegt seine Ray-Ban-Brille: „Wow! Das ist richtiges High-End-Zeug, hey.“ Dann lehnt er sich zurück, fürs Erste sichtlich erleichtert. Er schlürft: „Das hat was von Jasmin – in der Stufe. Und dann manchmal auch was Zitrisches.“ Sein Winzerreflex sitzt noch.
Antje Kühnle zögert kurz. „Eine Teezeremonie ist so ein erdendes Erlebnis. Man kommt runter. Fokus, Durchatmen, Erdung,“ sagt sie. Beim Thema Erdung deutet Kühnle mit der Teeschale auf einen Holunderstrauch in der Ferne, direkt vor dem neuen Zaun, der die Farm – thematisch passend – von der Reitanlage „Holunderhof“ trennt. „Der Strauch war da schon immer. So was ist für Landwirte heilig, so ein einzeln stehender Holunder. Den würdige ich.“ Sie nimmt noch einen Schluck. „Da wohnen die guten Geister drin – wenn du den Holunder rausreißt, werden sie sehr böse.“ Und damit die Holundergeister neben dem Holunderhof nicht böse werden, steckt Antje Kühnle immer „Spirit“ ins Feld, wie sie sagt. „Ich habe eine Räuchermischung, die ich selbst herstelle. Direkt aus dem Tee. Zur Würdigung.“
Dieser Spirit muss zum Tee durchgedrungen sein: Im Geschmack ist er nicht von einer edlen japanischen Grünteeauswahl zu unterscheiden. Ein bitter-florales Aroma, kräftig und chlorophyllreich. Der Grüntee aus Brandenburg, er kann mithalten.
Im Frühjahr 2026 soll die erste Ernte auf den Markt kommen, die Berliner Spitzengastronomie wartet schon. Bis dahin liegt noch eine Menge Arbeit vor ihnen: Mehr als 50.000 Teesetzlinge sehnen sich nach Erstkontakt mit dem Brandenburger Boden. Aber dann wäre da noch der nächste Winter, der in Schünow sicher wieder anders ausfällt, als Camelia sinensis es aus China gewohnt ist.
„Einfach wird es nicht. Aber, wer weiß. Vielleicht stehe ich irgendwann mit einem eigenen Teegenom im Lehrbuch. Als Pionierin“, sagt Antje Kühnle.