Yemisi Ogunleye sorgt sich um den Nachwuchs – Sport | ABC-Z

Ihrem Sport hat sich Yemisi Ogunleye schon viele Jahre verschrieben, aber es gibt immer noch Momente, die sie zum ersten Mal erlebt. Zum Beispiel: als Olympiasiegerin in die Saison zu starten und bei jedem Wettkampf, den sie nun antritt, mit eben jenem Triumph von Paris im vergangenen August vorgestellt zu werden. Am Sonntag in Dresden konnte die 26-Jährige also die volle Aufmerksamkeit des Stadionpublikums genießen, ganz anders als bei den Wettbewerben in den Jahren zuvor. „Jedes Mal, wenn ich als Olympiasiegerin vorgestellt werde, ist das ein Gänsehautmoment“, sagte die Kugelstoßerin in Dresden.
Ein paar Wochen hat sie gebraucht, um ihren Erfolg zu begreifen. Vor den Spielen in Paris gehörte sie zwar schon zu den Besten der Welt, sie hatte aber immer wieder mit Knieproblemen zu kämpfen und an Olympiagold war kaum zu denken. Nun ist Ogunleyes Status ein anderer. In Dresden kam sie mit einer Weite von 19,67 Metern auf den zweiten Platz, hinter Chase Jackson aus den USA (19,74). Und ja, natürlich war die Deutsche damit zufrieden: „Das war die beste Weite überhaupt, mit der ich je in die Saison eingestiegen bin.“
Sich an den üblichen Gradmessern ihres Sports zu orientieren, ist Ogunleye wichtig, sie selbst will ja immer noch die Sportlerin bleiben, die sie vor der Goldnacht von Paris war. Aber klar, eines hat sie jetzt dazugewonnen: das Selbstvertrauen, ihr Talent ganz ausschöpfen zu können, überhaupt nicht erst an mögliche Grenzen zu denken. „Ich habe erst vor Kurzem noch mal den Stoß gesehen, und es ist immer noch unfassbar, wie auf den Punkt genau ich an dem Tag performt habe“, sagte Ogunleye. Erst im letzten Versuch hatte sie sich in Paris auf Platz eins geschoben, die Kugel auf 20,00 Meter manövriert.
Die deutsche Sportförderung bekommt von Ogunleye kein gutes Zeugnis
Eine Dimension, in die sie auch in diesem Jahr wieder vorgestoßen ist: Bei den deutschen Hallenmeisterschaften im Februar stellte sie mit 20,27 Metern eine persönliche Bestweite auf und liegt damit in dieser Saison aktuell auf Rang vier in der Welt. Das Erlebnis von Paris gebe ihr „einen gewissen Rückhalt, in den Wettkämpfen zu stehen, ich muss niemandem was beweisen. Mit der Freude gehe ich in jeden Wettkampf rein“, sagte Ogunleye. Und die Kugelstoßerin weiß diese Gefühlslage zu schätzen, sie hatte in ihrer Jugend durch Mobbing schließlich auch lange schwierige Zeiten zu überstehen.
Im Glauben fand Yemisi Ogunleye Kraft, und dass sie bei Olympia dann auch als Botschafterin für die Kirche eintrat – auf der Sieger-Pressekonferenz sang sie Gospelsongs –, brachte ihr einen christlichen Medienpreis ein. Und überhaupt wurde es leichter, sich öffentlich zu präsentieren, ihretwegen nahmen plötzlich Leichtathletik-Meetings das Kugelstoßen mit ins Programm auf. „Natürlich öffnen sich viele neue Türen durch den Olympiasieg“, sagte Ogunleye in Dresden, „ich denke trotzdem aber auch an die Generation, die nach mir kommt, und nicht jeder hat dieses Privileg, bei der Bundeswehr zu sein oder bei der Bundespolizei, um sich den Sport auf so einem Level auch finanzieren zu können.“ Die Sportförderung in Deutschland erhält von der Olympiasiegerin kein gutes Zeugnis. Von den 20 000 Euro, die sie für Gold bekommen habe, sei nach Abzug aller Abgaben nicht genug Geld übrig, „um die strukturellen Probleme zu kompensieren. Ich muss um alles kämpfen, um jedes Trainingsgerät, um jeden Medizinball, den ich brauche“, sagte sie Ende Dezember dem Stern.
Womöglich auch deswegen sieht sie sich als eine Art Botschafterin fürs Kugelstoßen. „Ich hoffe, dass das auch viele dazu bewegt, den Sport weiterhin zu unterstützen und zu sehen, wie schön er eigentlich ist“, sagte Ogunleye. Vor ihr hatte es zuletzt 1996 einen Olympiasieg für Deutschland gegeben. Der Höhepunkt dieser Saison soll im September bei der Weltmeisterschaft in Tokio sein. Auch das wird mit dem Status als Olympiasiegerin eine neue Erfahrung.