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Taunus Cup: Segelflieger aus ganz Deutschland trotzen widrigem Wetter | ABC-Z

Von oben sieht die Umgebung rund um den Flugplatz in Anspach im Taunus aus wie eine liebevoll modellierte Miniaturlandschaft aus einer längst vergangenen Zeit. Kaum Straßen oder Stromtrassen sind zu sehen. Stattdessen: Wälder und weite Felder, die in der Sonne grün und gelb leuchten. Alte Häuserdächer der umliegenden Wohnsiedlungen, Bauernhöfe und auch Pferde sind aus der Luft zu erkennen. Nach vorne erstreckt sich der blaue Himmel.

Riccardo Mathes kennt diesen Ausblick gut. Viele Flugstunden hat er hier schon gesammelt. Mit 14 Jahren beginnt er, beim Luftsportclub Bad Homburg (LSC) das Segelfliegen zu lernen, ein paar Monate später absolviert er seinen ersten Alleinflug, mit 16 Jahren bekommt er seinen Segelflugschein. Heute ist er 19 Jahre alt. Er steht an einem der weißen Segelflugzeuge seines Vereins und bereitet sich auf den Wettkampf vor, der jeden Augenblick beginnen soll.

Nachwuchspilot Riccardo Mathes bereitet sich auf den Start vor.Lando Hass

Der LSC veranstaltet gerade den Taunus Cup, einen Qualifikationswettbewerb für die Deutsche Meisterschaft im Segelfliegen. Ausgetragen wird er in zwei Klassen über eine Woche. 36 Piloten aus ganz Deutschland sind deshalb mit ihren Segelflugzeugen an den Flugplatz in Anspach gereist und haben ihre eigenen Helferteams mitgebracht. Die Stimmung vor dem Start am Sonntagmittag ist angespannt.

Herausfordernde Wetterlage

Es ist der zweite Wettkampftag. Die Piloten wurden morgens über die Flugaufgabe des Tages und die Wetterbedingungen informiert. Noch ist der Himmel blau, für den Abend sind Wind und Regen vorhergesagt. Was den Piloten und Wettkampfleitern Sorge bereitet, ist aber vor allem die dichte Wolkendecke, die immer weiter in das Fluggebiet rückt. Kommt die Sonne nicht durch die Wolkendecke, bleibt die Luft darunter kalt. Fehlen die thermischen Aufwinde, können die unmotorisierten Segelflugzeuge sich nicht in der Luft halten und müssen im Zweifel abseits des Flugplatzes landen.

Die 36 weißen Flugzeuge mit ihren weiten Schwingen sind in mehreren Reihen dicht hintereinander am Ende der Startbahn aufgereiht. Die Piloten sitzen in ihren Cockpits, machen die letzten Checks vor dem Start, während sie darauf warten, von den motorisierten Propellermaschinen in die Luft gezogen zu werden.

Schleppflug: Nur mit Hilfe kommt der Segelflieger in die Luft.
Schleppflug: Nur mit Hilfe kommt der Segelflieger in die Luft.Lando Hass

Riccardo Mathes, der gerade seinen Fallschirm anlegt, lässt sich die Anspannung nicht anmerken. Ihm geht es heute nicht ums Gewinnen. Viele erfahrene Piloten gehen an den Start, gute Chancen habe er da nicht, sagt er. „Ich bin hier, um Wettkampferfahrung zu sammeln.“

Mittlerweile ist es fast Mittag. Seit 7:30 Uhr ist er am Platz, um sein Flugzeug für den Start vorzubereiten. Den Streckenverlauf hat er sich genau eingeprägt, vor allem die für heute vorgegebenen Wendepunkte im hessischen Bergland und in der Rhön. Außerdem hat er seine Tragflächen mit Wasser befüllt. Das zusätzliche Gewicht sorgt dafür, dass sein Flugzeug besser gleitet, wenn es schnell fliegt. Mit dabei ist auch eine Powerbank für sein Handy und eine Musikbox. Falls er abseits der Strecke landen müsse, könne er sich so die Zeit vertreiben, bis er abgeholt werde.

Am Tag zuvor ist ihm genau das passiert. „Ich habe die Aufgabe fast umrundet, mir haben nur noch 100 bis 150 Höhenmeter bis Anspach gefehlt.“ Die frühzeitige Landung in Butzbach sei eine Sicherheitsentscheidung gewesen. „Weiterfliegen wäre ein sehr hohes Risiko gewesen, und das für einen Wettbewerb, bei dem ich wahrscheinlich sowieso ganz hinten mitspiele.“

In Reih und Glied: Die Segelflieger reihen sich am hinteren Ende der Startbahn auf.
In Reih und Glied: Die Segelflieger reihen sich am hinteren Ende der Startbahn auf.Lando Hass

Sechs Schleppmaschinen mit Propellern sind im Einsatz, um alle möglichst schnell nach oben zu bringen. Sie starten und landen im Minutentakt. Helfer befestigen ein Seil an beiden Flugzeugen, dann nehmen sie gemeinsam Fahrt auf, werden schneller und heben ab. Aus der Ferne lässt sich noch erkennen, wie das Schleppflugzeug mit den Flügeln hin und her schwenkt – ein Signal an den Piloten hinter ihm. Er hat die nötige Höhe erreicht und kann sich ausklinken. Der Segler verschwindet nach rechts am Horizont, das Motorflugzeug dreht wieder Richtung Flugplatz. Mehrere Männer und Frauen in gelben Warnwesten koordinieren die schnellen Startvorgänge. Knapp eine Stunde dauert es, bis alle Segelflieger in der Luft sind. Dann wird der Start freigegeben. Das Brummen der Propeller verstummt und die Anspannung auf der Startbahn fällt schlagartig ab.

Der Großteil der Piloten kreist schon seit einiger Zeit um das Startgebiet. Sie entscheiden selbst, wann sie die Startlinie überqueren, und warten die perfekten Wetterbedingungen ab. Zwei weit angelegte Wendekreise gibt es auf der Strecke. Die Teilnehmer können selbst wählen, wie weit sie diese ausfliegen wollen. Ab der Startlinie gilt es für sie, innerhalb des vorgegebenen Kurses die größtmögliche Strecke mit möglichst hoher Durchschnittsgeschwindigkeit zu fliegen. Derjenige, dem das am besten gelingt, ist am Ende der Sieger.

Vogelperspektive: Von oben blickt man auf weite Felder.
Vogelperspektive: Von oben blickt man auf weite Felder.Lando Hass

Wolfgang Göring hat den Startauftakt aufmerksam beobachtet. „Im Wettkampf kämpfen die Piloten nicht gegeneinander. Sie kämpfen mit sich selbst,“ sagt der ehemalige Berufspilot, der heute im Vorstand des LSC tätig ist. Es gehe darum, weniger Fehler zu machen als die anderen und das im Einklang mit der Natur. In den engen Cockpits verfügen die Piloten über moderne Messinstrumente wie einen Fahrten- und Höhenmesser. Ein Variometer gibt Auskunft über die Steiggeschwindigkeit. Außerdem ist ein kleiner Bordcomputer verbaut. Flugstrecke, Wetter- und Geländedaten bekommen die Piloten direkt auf ihr Navigationssystem übertragen und während des Fluges werden sie über GPS getrackt.

Früher sei das Wettkampffliegen komplizierter gewesen, erinnert sich Göring. Statt Navigationssystem hatte man eine einfache Karte an Bord, auf der Strecke orientierte man sich an Bahngleisen oder Autobahnen. Um am Ende nachzuweisen, dass man auch die komplette Strecke abgeflogen ist, kamen Fotokameras zum Einsatz, die im Cockpit befestigt waren. Markante Gebäude wurden damit an den Streckenpunkten abfotografiert. „Nach der Landung hat man dann einen Film abgegeben, der noch schnell entwickelt wurde.“

„Das ist eine große Verantwortung“

Den Segelflug betreibt Göring seit seiner Jugend, vom Wettkampfsport hat er sich mittlerweile jedoch weitgehend zurückgezogen. Jetzt sei es seine Aufgabe, sicherzustellen, dass der Verein finanziell gut dastehe und die Piloten sicher fliegen können. Die Betonung liegt auf Sicherheit. Ein paar Tage zuvor kam ein Segelflieger an einem Flugplatz in der Nähe von Denkingen bei einem Unfall ums Leben – offenbar ein Absturz nach einem missglückten Seilwindenstart. Am Morgen haben die Wettkampfteilnehmer deshalb eine Schweigeminute eingelegt.

Die Umstände des tragischen Unfalls seien ihm nicht bekannt, sagt Göring. Unfälle seien im Segelflug eine absolute Ausnahme, die Gefahren gering. „Die Cockpits sind sehr sicher und auch das Segelfliegen ist ein sicherer Sport“, sagt er. Einfach so abstürzen könne ein Segelflugzeug nicht. Der LSC verfügt über eine eigene Flugschule mit 15 ausgebildeten Lehrern. „Auch wenn wir hier ehrenamtlich arbeiten, ist es eine große Verantwortung, die Menschen richtig auszubilden“, sagt Göring.

Bei Jan Omsels und Sebastian Beule ist die Anspannung auch nach dem Start noch zu spüren. Schon am frühen Morgen haben sich die beiden Wettkampfleiter vom LSC mit einem Meteorologen zusammengesetzt und die Flugaufgabe des Tages erstellt. „Das Wetter drückt dann doch mehr als gedacht“, sagt Beule. Den Ausklinkbereich mussten sie während des Starts zwischenzeitlich verlegen. „Damit alle die gleichen thermischen Bedingungen haben.“ Aber es passt. Auch der Letzte hatte die Chance, über 1200 Meter zu kommen. Beule verfolgt die Standorte der Piloten auf einem Tablet. Wie an einer Perlenkette aufgereiht, bewegen sich die Flugzeuge langsam auf der Karte im ersten Wendekreis. „Man sieht, dass die weit hochfliegen, das beruhigt mich. Das Wetter muss dort noch einigermaßen gut sein.“ Einen Ausreißer gibt es aber, der sich von der Gruppe entfernt. „Vielleicht hat er nicht die richtige Höhe“, sagt Beule. „Vielleicht ist er aber auch selbstbewusst und möchte etwas riskieren.“

Das Wetter sei heute eine Herausforderung, sagt Omsels. „Wir sind froh, wenn wir eine gültige Wertung zustande bringen.“ Dafür muss eine vorgegebene Zahl an Piloten nach dem Start mindestens 120 Kilometer zurücklegen. Das klappt, doch schnell wird klar, dass die thermischen Schwierigkeiten größer sind als verhofft. Am Nachmittag steigt die Aufregung wieder. Der Großteil der Piloten muss auf der Strecke landen, einige schaffen es auf Flugplätze in der Umgebung, andere müssen auf abgemähten Feldern eine Außenlandung machen – im Segelflug nichts Ungewöhnliches und kalkulierter Teil des Wettkampfrisikos. Vereinzelt kommen Segelflugzeuge, die von den anderen Flugplätzen wieder in die Luft geschleppt wurden, in Anspach an und landen mit einem dünnen Zischen auf der Grasbahn.

Einer gibt nicht auf

Göring sitzt in der Briefing-Halle an einem Computer und steuert die Flugkarte auf der Leinwand, vor der sich nun einige Zuschauer versammeln. „Einer kämpft noch“, sagt er und vergrößert die Karte in der Nähe von Friedrichsdorf. Marius Stelzer mit der Flugzeugkennung CG – „Charlie Golf“ – gehört zu den wenigen, die noch nicht aufgegeben haben. Auf der Karte sieht man, wie er etwa 20 Kilometer vor dem Ziel Kreise fliegt, nach einer guten Thermik sucht, um genug Höhe zu gewinnen, um es bis zur Landebahn zu schaffen. „Er verkauft seine Höhe, um wieder zu steigen“, kommentiert Göring.

Auf der Karte lassen sich die Flugzeuge und Daten in Echtzeit verfolgen.
Auf der Karte lassen sich die Flugzeuge und Daten in Echtzeit verfolgen.Lando Hass

Er ist kurzzeitig bei 200 Metern Höhe. Eigentlich müsste er sich einen Landeplatz suchen, meint Göring. Dann steigt das Flugzeug plötzlich wieder auf mehr als 600 Meter. Hoch genug, um den Anflug nach Anspach zu schaffen. Von Weitem ist „Charlie Golf“ von der Landebahn aus zu erkennen. Stelzer ist der Einzige, der die Aufgabe an diesem Tag in vollem Umfang fliegt und wird zum Tagessieger der Standardklasse. Zur Belohnung darf er eine Ehrenrunde über den Platz fliegen. Das Flugzeug schießt über die Landebahn, macht eine Wende und kommt auf dem Rasen zum Stehen.

Schon im ersten Wendekreis sei es kritisch gewesen, sagt der 27-Jährige aus Grefrath bei Krefeld nach seiner Landung. Auf 200 Meter Höhe habe er kurz vor dem Ziel gemerkt, dass auf einem offenen Feld die Sonne auf eine Waldkante scheint. „Ich habe mir vorgestellt, wie sich die Luft über dem Feld erwärmt und die Luft über die Kante nach oben schiebt.“ Danach konnte er genug Höhe machen, um es ins Ziel zu schaffen. „Ich hatte schon mit dem Flugplatz gesprochen, bei dem ich gekreist bin, war dann aber umso glücklicher, dass ich mich dann noch mal hocharbeiten konnte.“

„Man ist wie ein Vogel“

Für den 19-jährigen Riccardo Mathes war es auch diesmal kein guter Wettkampftag. „Ich bin ein bisschen an der Thermik vorbeigeflogen und gar nicht erst über die Startlinie geflogen“, sagt er. Von Butzbach aus ließ er sich zurückschleppen. Er hätte mehr Risiko eingehen können, sagt er. „Aber dann hätte ich vielleicht auf einem Kornfeld landen müssen.“ Natürlich ärgert er sich ein wenig. „Das ist doof, wenn man den sportlichen Ehrgeiz hat.“ Trotzdem habe er einiges durch den Flug gelernt.

Auch die Faszination für den Segelflug wird er so schnell nicht verlieren. „Man braucht keinen Motor und fliegt alleine durch die Kraft der Natur“, sagt er. „Man ist wie ein Vogel. Das ist ein sehr schönes Gefühl.“ In Zukunft wird er sein Hobby zum Beruf machen können. Im September beginnt er seine Ausbildung an der Flugschule der Lufthansa in Bremen. „Pilot zu werden war schon immer mein Traumberuf.“

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