Wie US-Colleges Alba Berlin und den deutschen Basketball gefährden | ABC-Z

US-Colleges als Talentdiebe
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Die millionenschwere Gefahr für Alba Berlin und den deutschen Basketball
Erstmals dürfen Colleges ihre Sportler direkt bezahlen – mit Millionenbeträgen. Der neue Geldfluss lockt massenhaft deutsche Talente in die USA und gefährdet so die gesamte Nachwuchsarbeit der Basketball-Bundesliga. Von Jakob Lobach
Noch quietschen die Schuhe von Elias Rapieque beim sommerlichen Training über das Parkett im Trainingszentrum von Alba Berlin. Von Prenzlauer Berg aus fährt der Berliner Basketballer täglich in die Halle, in der er schon als Teenager Tag für Tag schwitzte. Die Halle, in der Rapieque zum Profi heranwuchs – und die er dennoch bald zurücklassen wird.
Rapieque wechselt als einer von vielen ans College
Seit Anfang Juni steht fest, dass Albas Eigengewächs fortan für die Kansas State University in den USA Basketball spielen wird. Dort wird Rapieque in der kommenden Saison mehr als 20 Mal so viel Geld verdienen wie zuletzt bei Alba Berlin. Es sind absurde finanzielle Sphären, in denen der 21-Jährige allerdings nicht allein sein wird.
Dutzende deutsche Basketball-Talente, darunter auch die aktuell größten, entschieden sich zuletzt für den Sprung an verschiedene US-Universitäten. Dort erwarten sie teils Gehälter in Millionenhöhe. Auf die Basketball-Bundesliga (BBL) und ihre Vereine wartet unterdessen ein brutaler Bruch in der zuletzt so fruchtbaren Nachwuchsarbeit.
Wechsel in die USA schon vor dem großen Geld
Dabei ist es noch keine fünf Jahre her, dass die Colleges in den USA ihre sportlichen Studenten noch mit allen Mitteln am Geldverdienen hinderten. Der Tenor: Sie seien zwar Athleten, die den umjubelten Colleges Millionenerträge bescherten, aber eben Studenten und keine Profis. Geld von privaten Sponsoren, geschweige denn Gehälter, waren tabu.
“Als ich rübergegangen bin, da war das Geld noch überhaupt kein Thema”, erinnert sich Christoph Tilly. Der 22-jährige Berliner ist, wie Rapieque, ein hochtalentierter Emporkömmling des Alba-Jugendprogramms. Es schmerzte Alba, als Tilly im Sommer 2022 an die Santa Clara University statt in Albas Profimannschaft wechselte.

“Ich habe damals gesehen, dass es als junger Spieler in Deutschland und auch bei Alba hart ist, eine echte Rolle zu bekommen”, sagt Tilly. In den USA warteten unterdessen mehr Spielzeit, viel Individualtraining und das Campusleben. Eine Kombination, die in den vergangenen Jahren Dutzende deutsche und viele Berliner Talente wie Franz und Moritz Wagner in die USA lockte.
Finanzielle Revolution macht Colleges noch attraktiver
Befeuert wird dieser Trend, der durchaus auch Geschichten sportlichen Scheiterns schreibt, nun durch eine finanzielle Revolution an den US-Colleges. Sie begann 2021 mit juristischen Protesten der Sportler und fand in diesem Sommer ihren Höhepunkt darin, dass die Colleges ihre Athleten nun direkt bezahlen dürfen – mit bis zu 21 Millionen Dollar pro Universität, aufgeteilt zumeist auf die Basketball- und Football-Teams. “Jetzt will quasi jeder ans College gehen, der irgendwie noch kann”, sagt Milan Nikolic.
Top-Talente kassieren Gehälter in Millionenhöhe
Als Agent betreut Nikolic nicht nur Rapieque und Tilly, sondern mehr als ein Dutzend deutscher Spieler an US-Colleges. Er erzählt nicht nur von Talenten anderer Agenten, die irgendwie ans College kommen, obwohl sie gar kein Abitur haben. Auch bestätigt Nikolic die Zahlen, die zum Sprung über den großen Teich motivieren. Das fortan 20 Mal höhere Jahresgehalt von Elias Rapieque, das dieser auch selbst gegenüber rbb|24 bestätigt, ist nur eine davon.
So wird beispielsweise ein talentiertes Trio bestehend aus Bayerns Ivan Khachenkov, Würzburgs Hannes Steinbach und Vechtas Johann Grünloh ebenfalls an US-Colleges wechseln. Sie alle werden dort kommende Saison jeweils über eine Million Dollar kassieren. Mindestens genauso viel dürfte der zuletzt in Braunschweig groß aufspielende Sananda Fru einstreichen.

Gut bezahlt auf die größte Bühne
Frus Gehalt will Agent Nikolic zwar nicht kommentieren, sehr wohl aber seine Motivation für den Schritt an die an der University of Louisville. “Natürlich spielt das Geld eine Rolle”, sagt er, “aber Sananda will sich vor allem für die NBA empfehlen.” Noch mehr Aufmerksamkeit von Profiscouts erhofft sich auch Christoph Tilly, der jüngst nach drei sehr starken Jahren in Santa Clara auf die ganz große College-Bühne an die Ohio State University wechselte.
Dort warten außerdem die Historie und Leidenschaft einer der bekanntesten Basketball-Unis der USA, bessere Gegner und zum ersten Mal auch größeres Geld. “Es ist definitiv nicht meine Hauptmotivation”, sagt Tilly, “aber natürlich ist es ein Faktor, wenn du hier so viel verdienst, wie du in Europa in den nächsten drei, vier Jahren nicht bekommen würdest.”
Die meisten Talente kassieren deutlich weniger, aber trotzdem viel
Dabei gibt es viele, oft etwas vergessene deutsche Talente aus der dritten Reihe, die an Colleges spielen, ohne Geld dafür zu bekommen. “Die große Mehrheit der deutschen Jungs verdient unter 100.000 Euro”, sagt Milan Nikolic, “und trotzdem bekommen viele von ihnen ein Vielfaches dessen, was sie als junge Spieler in Deutschland bekämen.” Das gilt für den vor drei Jahren von Alba Berlin weg gewechselten Nils Machowski genauso wie für den diesen jüngst abgewanderten Amon Dörries.
Es sind weitere Namen in einer Liste, die Albas Sportdirektor Himar Ojeda fast ein wenig resigniert sagen lässt: “Wir können diesen Trend unmöglich aufhalten, und das wird für die gesamte Bundesliga verehrende Folgen haben.” Auch im Rest Europas, aber vor allem in Deutschland wird der College-Wandel hin zu einer verkappten Profiliga die mühsame Jugendarbeit der vergangenen zehn Jahre konterkarieren.

Den Vereinen fehlen deutsche Spieler
Seitdem die BBL 2012 beschloss, dass ihre Mannschaften pro Spiel nur noch maximal sechs nicht-deutsche Spieler im Kader haben dürfen, waren diese gezwungen, deutsche Profis zu entwickeln. Mit Erfolg. “Zuletzt haben die jungen Deutschen endlich eine echte Rolle gespielt”, sagt Ojeda. In Zukunft werden die 18- bis 23-Jährigen diese Rollen zumeist in US-College-Teams ausfüllen.
Die Vereine müssen ihre Kader fortan wieder mit weniger talentierten jungen oder älteren deutschen Spielern auffüllen – und hoffen, dass die erste große Welle von College-Akteuren irgendwann immerhin gut ausgebildet in die BBL zurückschwappt. “Insgesamt werden wir kürzere Rotationen und wieder weniger deutsche Spieler auf dem Parkett sehen”, sagt Ojeda.
Wie kann sich Nachwuchsarbeit weiter lohnen?
Genauso werden die Vereine sehen müssen, ob auch sie Vorteile aus dem Finanzwahn an den US-Colleges ziehen können. Sei es durch ablöseartige Buy-outs beim Wechsel ans College, eine Beteiligung an den dortigen Gehältern oder eine Art “Vorkaufrecht” bei der Rückkehr der Spieler aus den USA. “Wir arbeiten an Lösungen, bei denen sowohl der Spieler profitiert, aber auch wir für unsere Arbeit kompensiert werden”, sagt Ojeda.
Zum Abschied von Elias Rapieque gibt es für Alba Berlin eine solche Kompensation als finanziellen Trost. Außergewöhnliche 400.000 Euro waren rbb-Informationen zufolge in Rapieques Fünfjahresvertrag als Buy-Out festgeschrieben. Rapieque zahlt sie selbst an seinen Heimatklub, dem Vernehmen nach in mehreren Raten – sein künftiges Gehalt an der Kansas State University macht es möglich.
Rapieque wollte eigentlich schon früher gehen
“Definitiv”, antwortet der Berliner auf die Frage, ob das Geld seine Entscheidung für das College beeinflusst habe. Dennoch wird spürbar, dass mehr dahintersteckt. “Ich wollte eigentlich schon vor zwei Jahren ans College gehen”, sagt Rapieque, “aber da waren die interessierten Schulen weder akademisch noch sportlich so groß wie jetzt.”
Groß sind nun auch die Hoffnungen, die Rapieque in seine Zeit in Kansas setzt: “Ich habe eine ganz andere Rolle, bin ein bisschen näher an meinem Traum von der NBA und bekomme mehr Raum für meine persönliche Entwicklung.” Und das sowohl sportlich als auch wortwörtlich.
Denn während Alba Berlin seinem kleinen Trainingszentrum mit mittlerweile gleich zwei Profimannschaften eigentlich entwachsen ist, wartet in Kansas ein Basketballpalast auf Elias Rapieque. Zwei Trainingshallen mit den glänzendsten aller Parkettböden, thronartige Sessel in einer Spielerlounge, ein halbes Dutzend Massagebänke und Physiotherapeuten. Viele gute Argumente, die das College schmackhaft machen und das gute Geld dort komplementieren.
Sendung: rbb24 Inforadio, 12.07.2025, 15:20 Uhr