Kultur

„Tatort“ Stuttgart: Die Täterin hat eine Schwachstelle | ABC-Z

Die Splitscreentechnik ist zurück. Ein Stilmittel, das in
den 1960er- und 1970er-Jahren große Popularität genoss. Aus Liebe fürs Genrekino
dieser Zeit bediente sich zuletzt Dominik Graf des Splitscreens im
sehr schönen Münchner Polizeiruf vom Jahresende
. Nun greift auch der
neue Stuttgarter Tatort: Verblendung (SWR-Redaktion: Brigitte Dithard) zum
geteilten Bildschirm (Schnitt: Saskia Metten)

Der erzählt hier von der Vorbereitung des Verbrechens, das diesen
ARD-Sonntagabendkrimi beschäftigt. Kommissar Bootz (Felix Klare) geht für den
Kollegen Lannert (Richy Müller) auf die festliche Premiere eines
Dokumentarfilms, der Demokratie in Baden-Württemberg feiern soll. Auf der einen
Seite des Bildes kann so der Stehempfang der Würdenträger im Kinofoyer gezeigt
werden, in der anderen Hälfte folgt die Kamera (Stefan Sommer) den Bewegungen einer
Kellnerin, die einer verdächtigen Person die Hintertür öffnet. Durch
Splitscreen wird in diesem Moment also der Komplexität eines Ereignisses
Rechnung getragen, bei dem die Kellnerin andere Interessen hat als Bootz, der
Polizeipräsident (Christian Koerner), ein Innenministeriumsreferent (Kais
Setti) oder die Journalistin Leyla Kaiser (Jessica McIntyre).

Die Wahl des Mittels ist aber auch eine Referenz an das Kino
von vor 50 Jahren, aus dem sich Regisseur Rudi Gaul für Verblendung den
Verschwörungsthriller ausborgt. Gaul hat, wie bei seinen beiden Stuttgarter
Folgen Videobeweis
(2022) und Vergebung
(2023) zuvor, gemeinsam mit Katharina Adler das Drehbuch geschrieben. Diesmal ist es eine brisante
Geschichte, die in Diskurslagen und Gewaltszenarien der Gegenwart interveniert.

Die Kellnerin entpuppt sich im Kinosaal als ehemalige
Gebirgsjägerin Karin Urbanski (Anna Schimrigk), die sich radikalisiert hat und gemeinsam mit dem
zuvor eingelassenen Steffen Lippert (Christoph Franken) Geiseln bei der
Kinovorführung nimmt. Die Forderung der beiden Rechtsterroristen: ein auf Video aufgezeichnetes
„Geständnis“ des Innenministers (Nicolas Rosat), in dem der Politiker
die Tode von inhaftierten Rechtsextremen als politische Morde durch den Staat
erklärt.

Den in Stuttgart nur einen Stadtbezirk entfernt liegenden
Bezug zum bundesrepublikanischen Linksterrorismus, der „Nacht von
Stammheim“, spricht der Film selbst aus – dass die Suizide der
RAF-Terroristen Baader, Ensslin und Raspe am Ende des später sogenannten
Deutschen Herbstes 1977 in der anhängenden Szene lange als Mord in Zweifel
gezogen wurden (eine Spekulation, die
vor Jahren noch einen Tatort motiviert
hatte).

Die
Geiselnahme zur Erpressung einer Reaktion orientiert sich eher an der Gewalt
der RAF (die durch Entführungen die eigenen Leute freipressen wollte) als an Rechtsterrorismus,
der seine Menschenverachtung häufig allein durch die Tat kommuniziert und die
dabei Getöteten – gezielt rassistisch wie bei den NSU-Morden (2000 bis 2006) oder
auch wahllos wie beim Oktoberfest-Attentat 1980. So wird über die Art des Verbrechens
im Tatort der Switch hergestellt, von dem Verblendung handelt –
wie von rechts der Diskurs verdreht, sich bei linken Texten und Ästhetiken,
Politiken und Terror für die eigenen Zwecke bedient wird.

Einen neuralgischen
Punkt erreicht der Film, wenn sich Karin Urbanski auf die Artikel von Leyla Kaiser bezieht, die Polizeigewalt beklagen. Dieser Bezug öffnet den Blick auf
rechte Strategien, die sich heute etwa auf eine linke Institutionenkritik aus
den 1970er-Jahren beziehen, um über den
eigenen Kampf gegen den
demokratischen Staat hinwegzutäuschen. Zugleich gelingt es dem Tatort damit
beispielhaft, die Figur der wahnhaften Terroristin auf ausbalancierte
Weise ernst zu nehmen, ohne den rechten Irrsinn sprachlich oder gestisch so
unreflektiert zu reproduzieren, wie es in
holzklotzigeren ARD-Sonntagabendkrimis schon vorgekommen
ist.

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