Tanz aus Israel und USA in Berlin: Aufgelöst ins Federleichte | ABC-Z
Es ist eine traurige und schmerzerfüllte Welt und doch voll Hunger nach Leben, in die das Tanzstück „Momo“ von der Batsheva Dance Company führt. Drei Tage lang war das ausgezeichnete Ensemble aus Israel damit zu Gast in der Reihe Performing Arts Season im Haus der Berliner Festspiele. Mit erhöhtem Sicherheitsaufwand, das ist leider notwendig geworden seit dem Terrorakt der Hamas im Oktober 2023.
Ein Jahr zuvor, im Dezember 2022, hat der Choreograf Ohad Naharin, seit 1974 bei der Batsheva Dance Company und seit 1990 ihr künstlerischer Leiter, „Momo“ in Tel Aviv herausgebracht. Es ist ein Stück von hoher Energie und Intensität, begleitet von Musik von Laurie Anderson und dem Kronos Quartett und von Philip Glass. Ein Element bildet eine Gruppe von vier Männern, mit nacktem Oberkörper und in Militärhosen, die sich oft synchron bewegen, manchmal aber auch Figuren bilden, in denen die einen die anderen auffangen und tragen.
Sie zitieren traditionelle Tänze, führen einen exakten Drill fast als Karikatur vor, wirken manchmal agressionsgeladen, dann wieder suchen sie die Berührung, wenn auch nur mit der Spitze des Kinns. Man denkt bei ihren vielen Szenen des Gruppenzusammenhalts nicht nur an eine militarisierte Gesellschaft und deren Folgen für die Konstruktion von Männlichkeit, sondern auch an ein Zusammenleben, das Identität immer wieder über Rituale stiftet.
Diese vier sind in „Momo“ umgeben von sieben Individualisten, Frauen und Männern, die kaum zur Gemeinschaft werden, uns aber ihren Lebenswillen, den Hunger nach Erfahrung, den erotischen Appetit, entgegenschleudern. Die Wellen, die verführerisch durch ihre Körper laufen, die langen Linien, die sie mit jeder Bewegung in den Raum zeichnen, zeugen von der Suche nach mehr, nach Weite, nach Kontakt – das Bühnenbild aber ist begrenzt von einer dunklen Mauer. Diese sieben, die sich zeigen und spreizen und gesehen werden wollen, sie könnten für das Bild einer hedonistischen und queeren Szene stehen. Beide Gruppen stehen permanent unter Spannung, Momente des Loslassens oder der Ruhe finden sie nicht.
Trisha Brown Dance Company: 23. und 25. Januar, Haus der Berliner Festspiele
Es ist komplex und raffiniert, wie Ohad Naharin die Wege der geschlossenen Vierergruppe mit den zerstreuten Aktionen der sieben Solist:Innen verschränkt. Er baut dabei auch beeindruckende und symbolgeladene Bilder, etwa wenn die vier Männer irgendwann die hintere Wand hochsteigen: die emotionale Berührung aber, das Gefühl von nie gestilltem Lebenshunger, kommt vor allem aus den virtuosen und doch weichen Bewegungen.
Zwei Seelen eines Wesens
Wie sich die eine Gruppe zu anderen verhält, ob sie sich bedingen, ob sie, wie es in der Stückankündigung heißt, die „zwei Seelen“ eines Wesens sind, das bleibt offen für die Interpretation.
Die Performing Arts Season ist eine langgezogene (von Oktober 2024 bis Januar 2025) Gastspielreihe im Haus der Berliner Festspiele, die neben Theater und Performance eben auch großen Tanzensembles eine Bühne bieten. Das gibt es sonst nur beim Festival Tanz im August in Berlin. Diesmal waren mit Anne Teresa De Keersmaeker, Lucinda Childs und Ohad Naharin Ikonen der Tanzgeschichte mit Weltruhm geladen. Eine von ihnen wird noch erwartet. Vom 23. bis 25. Januar kommt die Trisha Brown Dance Company mit drei Stücken und einem Workshop-Programm.
Eine amerikanische Ikonografie: Billboards, Wassertürme, Windräder
Trisha Brown starb 2017 und war ihre letzten Lebensjahre an Demenz erkrankt. Ihre Company arbeitet weiter, überliefert ihre Stücke, unterrichtet, und nimmt auch den Faden der in den 1970 Jahren entstandenen spektakulären Outdoor-Performances wieder auf. So war letztes Jahr in Hamburg „Man walking down the side of a building“ zu sehen, eine Performance für einen Tänzer, der mit Bergsteigerausrüstung an einer Fassade herabläuft.
Die New Yorker Company tourt im Januar durch Belgien, Deutschland und Spanien. Ins Haus der Berliner Festspiele bringt sie eine Choreografie mit, „Glacial Decoy“, die 1979 entstand, als Brown nach ihren Arbeiten im Stadtraum für eine Bühne arbeitete. Künstlerischer Partner war Robert Rauschenberg, von dem schwarzweiße Fotografien den Hintergrund bilden. Es ist eine amerikanische Ikonografie, von Billboards, Wassertürmen, Windrändern, schweren Landmaschinen, vernachlässigten Ecken der Stadt und leeren Landschaften. Sie wechseln in einem mit maschinellen Geräuschen begleiteten Takt. Und davor laufen immer wieder neu aus den Kulissen ins Bild fünf Tänzerinnen, pendeln und drehen sich, ziehen sich zurück. Ihre Kostüme sind transparent, sie hüpfen federleicht, variieren den Rhythmus spielerisch. Alles, was in Rauschenbergs Bildern festgefahren und stillgestellt zu sein scheint, lösen sie auf in eine mühelose Beweglichkeit.