Taleb al-Abdulmohsen: Mehrfach mit der Justiz in Konflikt – Täter verpasste vor Anschlag Gerichtstermin | ABC-Z
Bei einem Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt sind fünf Menschen ums Leben gekommen, darunter ein neunjähriges Kind. Der Täter raste mit einem Leihwagen in die Menschenmenge. Er wurde festgenommen.
Einen Tag nach dem Anschlag werden mehr und mehr Hintergründe über den 50-jährigen Arzt Taleb al-Abdulmohsen aus Saudi-Arabien bekannt. Und auch das Motiv zeichnet sich ab. Ein Überblick:
Das Motiv
- Den Ermittlern gegenüber gab al-Abdulmohsen als Motiv für seine Tat „Unzufriedenheit mit dem Umgang mit saudi-arabischen Flüchtlingen in Deutschland“ an. Weitere Details wollten die Ermittler noch nicht nennen.
- Interviews und Onlineaktivitäten zeichnen das Bild eines Mannes, der den Islam ablehnt, der vor allem die deutschen Polizeibehörden zunehmend verachtete und mit der AfD sympathisierte – und der sich immer stärker verfolgt fühlte.
Seine Aussagen über den Islam, den deutschen Staat und die AfD
- Der Täter bezeichnete sich 2019 in einem „FAZ“-Interview selbst als „aggressivsten Kritiker des Islams in der Geschichte“. Er sei Atheist und habe in Deutschland Asyl beantragt, weil er als Ungläubiger und Islamkritiker in seinem Heimatland Verfolgung befürchte. Ähnlich berichteten 2019 BBC und „Spiegel“.
- Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, anderen Verfolgten in Saudi-Arabien einen Weg ins Asyl etwa in Deutschland oder Australien aufzuzeigen.
- Auch auf seinem X-Profil trat der Mann als ex-muslimischer Islamkritiker auf.
- Am Freitagabend hatte er dort mehrere Videos gepostet, in denen er auf Englisch sagte: „Ich mache die deutsche Nation für die Tötung von Sokrates verantwortlich.“ Und: „Ein anderer Grund, warum ich die deutschen Bürger für die Verfolgung verantwortlich mache, die ich in Deutschland erfahre, ist die Geschichte eines gestohlenen USB-Sticks aus meinem Briefkasten.“ Später sagte er in dem Video: „Die Regierung ist kriminell, statt mich zu schützen. Die Polizei sind die Kriminellen. In diesem Fall mache ich die deutsche Nation und die deutschen Bürger dafür verantwortlich.“
- Im Juni dieses Jahres hatte der Account auf Deutsch gepostet: „Meiner Erfahrung nach, ist die deutsche Polizei der echte Treiber des Islamismus in Deutschland. Meine Erfahrung ist 7 Jahre lang in denen die Polizei, zuletzt im März 2024, schmutzige Taktiken gegen mich sowie andere Islamkritiker angewendet hat, um unseren anti-islamischen Aktivismus zu zerstören. Die Linken sind verrückt. Wir brauchen AfD, um die Polizei vor sich zu schützen.“
Die ignorierten Warnungen – „keine konkrete Gefahr“?
- Schon 2023 befasste sich die Polizei mit ihm. Nach WELT-Informationen gab es damals eine „Gefährdungsbeurteilung“ des 50-Jährigen. Das LKA in Magdeburg kam gemeinsam mit dem BKA zu dem Ergebnis, dass von dem Mann „keine konkrete Gefahr“ ausgehe. Auch das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt war beteiligt, hat aber keine eigenen Ermittlungen geführt.
- Bei einer Pressekonferenz teilten die Ermittler am Samstag mit, im vergangenen Jahr sei eine Gefährderansprache bei al-Abdulmohsen erwogen worden. Dazu kam es aber offenbar nicht. Details nannte die Polizei nicht. Laut Staatsanwaltschaft befand sich al-Abdulmohsen „nicht im Fokus“ der Ermittler.
- Aus deutschen Sicherheitskreisen wurde WELT bestätigt, dass die saudische Botschaft die deutschen Behörden mehrfach auf al-Abdulmohsen aufmerksam gemacht hat. Laut der Nachrichtenagentur Reuters geschah das in den 2023 und 2024. Die Hinweise hätten sich allerdings nur auf die öffentlichen Posts des Mannes auf dem Kurznachrichtendienst X bezogen. Saudi-Arabien verlangte nach eigenen Angaben die Auslieferung des Mannes.
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Konflikte mit der Justiz
- Im September 2013 verurteilte das Amtsgericht Rostock den Mann zu einer Strafe von 90 Tagessätzen. Das berichten „Spiegel“ und „Zeit“. Grund war eine „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“.
- Der Mann war auch der Berliner Justiz bekannt. Nach dpa-Informationen lag ein Verfahren der Amtsanwaltschaft Berlin wegen des Missbrauchs von Notrufen durch al-Abdulmohsen vor. Dem Angeklagten wurde demnach vorgeworfen, am 23. Februar dieses Jahres im Dienstgebäude der Berliner Polizei den Notruf der Feuerwehr gewählt zu haben, ohne dass ein Notfall vorgelegen habe. Daher wurde beim Amtsgericht Tiergarten Strafbefehl beantragt, der mit 20 Tagessätzen zu je 30 Euro erlassen wurde.
- Der Angeklagte habe Einspruch eingelegt. Zum Hauptverhandlungstermin am Donnerstag (19. Dezember) – einen Tag vor dem Anschlag – sei er nicht erschienen, so die Berliner Staatsanwaltschaft. Der Einspruch sei auf Antrag der Amtsanwaltschaft verworfen worden.
- Der Mann hatte außerdem in der Vergangenheit vergeblich strafrechtliche Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft Köln gegen eine Flüchtlingshelferin verlangt. Die Staatsanwaltschaft habe solche Ermittlungen jedoch abgelehnt, weil sie keine Grundlage dafür gesehen habe, berichtete Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer der Nachrichtenagentur dpa.
- Bei der Flüchtlingshelferin handelt es sich dem Vernehmen nach um ein Vorstandsmitglied der Säkularen Flüchtlingshilfe. Dieser Verein setzt sich für religiös Verfolgte und religionsfreie Flüchtlinge ein. Die Säkulare Flüchtlingshilfe teilte selbst in einer Erklärung mit, der mutmaßliche Täter habe in der Vergangenheit zahlreiche Anschuldigungen und Behauptungen über den Verein und ehemalige Vorstandsmitglieder geäußert, die in keiner Weise der Realität entsprächen. Der Verdächtige sei zu keinem Zeitpunkt Mitglied des Vereins gewesen. „Wir distanzieren uns aufs Schärfste von ihm“, betonte der Verein.
„Polizei kann nicht alle Gefährder bewachen“
Möglicherweise hat die Polizei die Gefährlichkeit des Tatverdächtigen trotz entsprechender Warnungen falsch eingeschätzt. Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sagte WELT AM SONNTAG: „Nur weil deutsche Sicherheitsbehörden Hinweise aus dem Ausland erhalten oder in Sozialen Netzwerken gedroht wird, heißt das noch lange nicht, dass die Polizei das alles sofort verarbeiten darf und kann“. Der polizeiliche Alltag sei von Datenschutz, Quellen aus dem Ausland und rechtlichen Hürden geprägt. „Das muss ein Ende haben, wir brauchen mehr eigene Befugnisse und Ressourcen zur Abwehr von schweren Straftaten“, forderte Kopelke.
Rainer Wendt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, äußerte sich ähnlich. Wendt sagte WELT AM SONNTAG: „Fraglich ist, ob die Warnungen vor der Tat überhaupt ausreichenden Anlass für polizeiliche Maßnahmen gegeben hätten. Die Polizei kann noch nicht mal alle islamistischen Gefährder bewachen, von denen sie weiß, dass sie zu einem Anschlag bereit wären.“ Dafür würden die personellen Kapazitäten nicht ausreichen und der Polizei momentan auch die Befugnisse fehlen.