Tage zählen bis zur Rente – wenn der Ruhestand nicht schnell genug kommen kann | ABC-Z

Zwei Manager zählen die Tage bis zur Rente mit dem Maßband. Warum sehen so viele ihren Job nur noch als Pflicht? Ein Blick auf Loyalität, Impact und toxische Kulturen erklärt es.
Immer mehr Menschen sehen Arbeit als Pflicht und zählen die Tage bis zur Rente. Gründe sind fehlende Loyalität seitens der Arbeitgeber, Projekte ohne nachhaltigen Effekt und toxische Unternehmenskulturen. Wer jahrzehntelang vertraute, fühlt sich heute austauschbar. Motivation scheitert oft an Bürokratie und Machtspielen, während harte KPI-Orientierung Gemeinschaft zerstört. Viele ziehen sich zurück und vermeiden Engagement. Gewünscht wäre eine Arbeitswelt, in der Menschen gerne arbeiten und ungern loslassen.
Der führende Leadership-Experte Wolfgang Jenewein erklärt in einem Beitrag auf LinkedIn, was die Gründe für die resignative Stimmung sind.
Vor kurzem traf ich innerhalb einer Woche 2 Manager aus verschiedenen Unternehmen, die unabhängig voneinander jeweils ein Maßband mit zur Arbeit bringen, um die verbleibenden Tage bis zum Ruhestand runterzuzählen. Wie traurig, dachte ich! Ich kannte das von meiner Bundeswehr Zeit. Viele empfanden den Wehrdienst damals als unangenehme Pflicht und konnten es wie auch ich kaum erwarten endlich wieder „frei“ zu sein.
Es macht mich nachdenklich, dass so viele Menschen das Ende ihres Berufslebens offensichtlich auch als lästige Pflicht ansehen und es kaum erwarten können, bis es vorbei ist.
Über den Autor
Wolfgang Jenewein ist einer der führenden Coaches und Trainer im deutschsprachigen Raum. Er ist Professor an der Universität St. Gallen und Gründer der JENEWEIN AG. Er arbeitet mit Top-Athleten wie Wladimir Klitschko oder Alexander Aamodt Kilde aber auch mlt Vorständen internationaler Unternehmen zusammen. Er selbst ist leidenschaftlicher Crossfit-Athlet und zählt zu den besten 50 weltweit in seiner Altersklasse.
Was sind die Gründe für diese resignative Stimmung?
Hier mein Erklärungsversuch:
1. Loyalität ist ein Mythos: Viele Menschen haben 20, ja teilweise 30 Jahre ihres Lebens in ein und derselben Company verbracht. Sie haben Angebote von anderen Organisationen ausgeschlagen und fühlten sich verbunden mit ihrem Arbeitgeber. Auch in der Hoffnung, dass diese Loyalität gesehen und belohnt wird. Doch plötzlich muss man um seinen Job fürchten, es gibt keine Sicherheiten mehr, Reorganisationen und Massenentlassungen sind die neue Realität. Viele fühlen sich alleingelassen. Ein ehemaliger CEO von einem großen Autokonzern sagte einmal zu mir, auf die Frage, ob Loyalität für ihn ein wichtiger Wert sei: „Wer Loyalität will, soll sich einen Hund kaufen!“
2. Mangelnder Impact: Nach anfänglichen Jahren der Entwicklung und des Lernens stellen viele fest, dass sie stagnieren. Man startet alle drei Jahre mit einem neuen Projekt, ist motiviert und hat große Ambitionen, wie sehr man damit das Unternehmen verbessern wird, um dann nach vielen zermürbenden Monaten festzustellen, dass das Projekt doch wieder an der internen Politik, der Bürokratie oder der nächsten Reorganisation zerschellt ist. Einmal mehr „als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet“. Egal was man tut, es ändert ja doch nichts.
3. Toxische Unternehmenskulturen: Bei der Einstellung wird einem noch von der positiven Unternehmenskultur und dem starken Miteinander vorgeschwärmt, doch schon bald bemerkt man, dass es nur um Ergebnisse geht. Quartalsweise werden KPIs, MBOs und OKRs eingefordert, aber keiner frägt, wie die Zahlen erreicht wurden. Das fördert EGOs und schwächt das WIR. Die Menschen spüren, es wird eine Menschenorientierung gepredigt, aber eine knallharte Resultats Orientierung gelebt. In der Folge ziehen sich viel zurück, üben sich im „lowballing“ und vermeiden die Interaktion mit den Egos.
Ich würde mir eine Arbeitswelt wünschen, in der die Mitarbeitenden nicht schon Jahre vorher zählen wie lange sie noch arbeiten müssen. Sondern sich jeden Tag auf die Arbeit freuen und am Ende sogar traurig sind, dass es schon wieder vorbei ist.
Wie seht Ihr das? Was sind Eure Erklärungen für das Phänomen «Sehnsucht Rente»? Herzlichst Euer Wolfgang