Soziale Mobilität: Mehr Chancengleichheit – das sind wir der jungen Generation schuldig | ABC-Z

Chancengleichheit bildet das
Fundament der sozialen Marktwirtschaft und sichert die Freiheit unserer
Gesellschaft. Und dennoch bleiben wir gerade in Deutschland weit hinter diesem
Anspruch zurück. Wer heute jung ist, wächst in einem Land auf, das im
internationalen Vergleich auffallend
wenig Chancengleichheit bietet – über
viele Dimensionen und gesellschaftliche Gruppen hinweg.
Die empirische Forschung ist eindeutig: In kaum einem anderen Industrieland prägt
die soziale Herkunft die Chancen auf Bildung, Gesundheit, berufliche
Perspektiven und letztlich auch das Einkommen so stark wie in Deutschland. Was
man erbt – an Vermögen, Bildung und Netzwerken – bestimmt in hohem Maße, was
man erreicht. Wer aus einer bildungsnahen, wohlhabenden Familie stammt, hat
erheblich bessere Startbedingungen. Kinder aus ärmeren Haushalten dagegen tragen
die doppelte Last: geringere materielle Möglichkeiten, weniger Unterstützung
und häufig schlechtere Schulen in ihrem Umfeld.
Eine neue Studie des ifo-Instituts zeigt: Der Einfluss des elterlichen Einkommens auf Bildung und späteres
Einkommen der Kinder hat sich seit Ende der 1970er-Jahre innerhalb einer
Generation verdoppelt. Die Ungleichheit von Löhnen und Einkommen ist in
dem Zeitraum deutlich gestiegen. Auch die Chancen auf Bildung sind ungleicher geworden.
Die soziale Mobilität, also die Möglichkeit, sozial aufzusteigen, ist geringer geworden.
Deutschland zählt in der westlichen Welt mit den USA zu den Schlusslichtern.
Die im internationalen Vergleich
ungewöhnlich geringe soziale Mobilität ist nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem,
sie bremst auch die Wirtschaft massiv. Eine Gesellschaft, die es nicht schafft,
Potenziale unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Wohnort zu heben,
verzichtet auf Wachstum, Innovation und Wohlstand. Talente bleiben ungenutzt,
weil zu viele junge Menschen keine Chance haben, ihre Fähigkeiten zu entfalten.
Das ist fatal für ein Land, das auf Wissen und Qualifikation angewiesen ist. Mehr
als 50.000 junge Menschen verlassen die Schule ohne einen Abschluss. Das ist
nur ein Beispiel für dieses gesellschaftliche Versagen.
Chancengleichheit bedeutet nicht,
dass alle das gleiche Ziel erreichen müssen. Sie bedeutet, dass alle dieselben
Startbedingungen haben sollten – die gleiche Qualität an Bildung, die gleiche
gesundheitliche Versorgung, die gleiche Möglichkeit, Fehler zu machen und
trotzdem voranzukommen. Doch davon sind wir weit entfernt. Schon in der frühen
Kindheit entscheidet der Geldbeutel der Eltern über Qualität und Zugang zu
Bildung. Im Schulsystem verstärken sich Unterschiede, anstatt sich
auszugleichen. Und auch auf dem Arbeitsmarkt bleiben Aufstiegschancen oft
verwehrt.
Es geht ums Vertrauen der Jugend in die Demokratie
Wer aber früh erfährt, dass
Anstrengung nicht belohnt wird, verliert Vertrauen – nicht nur in das
Bildungssystem, sondern auch in die Gesellschaft und ihre Institutionen. So
entstehen Resignation und Frustration, die in Politikverdrossenheit oder in der Abkehr von der Demokratie münden
können. Chancengleichheit ist deshalb nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit,
sondern auch der Stabilität unserer Demokratie.
Was wir brauchen, ist ein neuer
Generationenvertrag, der Chancengleichheit fest
verankert. Dieser Vertrag muss das Versprechen erneuern, dass sich Leistung
lohnt – unabhängig davon, in welche Familie man hineingeboren wird. Er muss die
soziale Marktwirtschaft mit Leben füllen, indem er nicht nur Freiheit, sondern
auch Fairness garantiert. Denn Freiheit ohne faire Chancen bleibt ein leeres
Versprechen.
Wir müssen investieren – in
frühkindliche Betreuung, in Schulen, in Weiterbildung, in Gesundheit. Wir
müssen aber auch unsere sozialen Sicherungssysteme so ausgestalten, dass sie
nicht nur Risiken abfedern, sondern echte Aufstiegschancen eröffnen. Junge Menschen
sind kein Kostenfaktor, sondern das größte Potenzial dieser Gesellschaft.
Deutschland kann es sich schlicht
nicht leisten, weiterhin auf große Teile seiner jungen Generation zu
verzichten. Chancengleichheit ist kein Luxus, den man sich in guten Zeiten
gönnt, sondern die Bedingung dafür, dass Wohlstand und Demokratie in Zukunft
Bestand haben. Sie ist das zentrale Versprechen, das wir der jungen Generation
geben müssen.





















