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Diesjährige Ostermärsche: Angst vor der atomaren Apokalypse ist weiterhin berechtigt | ABC-Z

A llzu viele sind nicht übriggeblieben. Zwar gibt es immerhin immer noch mehr als hundert Ostermarsch-Kundgebungen. Aber mancherorts sind es nur ein paar Dutzend, mal ein paar Hundert, nur selten ein-, zwei- oder dreitausend, die auch dieses Jahr wieder quer über die Republik verteilt, für den Frieden auf die Straße gehen. Der Altersdurchschnitt ist hoch. Für den bedauernswert erscheinenden Zustand der Friedensbewegung gibt es viele Gründe, nicht wenige davon sind hausgemacht.

Dazu gehört, nicht die Kraft zu haben, eine klare Trennlinie zu jenen zu ziehen, deren Verhältnis zum Pazifismus und zum Frieden ein rein instrumentelles ist, also die sich zwar – zu Recht – stets mit Inbrunst über die Kriege der USA in Vietnam, Jugoslawien oder dem Irak empört haben, jedoch ganz anders mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine umgehen. Trotzdem ändert das nichts daran, dass es unangemessen ist, abschätzig oder mit Häme auf die Os­ter­mar­schie­re­r:in­nen zu blicken.

Union und SPD haben das Ziel einer atomwaffenfreien Welt nicht formuliert

Entstanden ist die Ostermarschbewegung aus der Angst vor der atomaren Apokalypse. Der erste Ostermarsch in Deutschland fand 1960 statt: Etwa 1.000 Menschen liefen in einem dreitägigen Sternmarsch zum Nato-Truppenübungsplatz Bergen-Hohne im Süden der Lüneburger Heide, wo die US-Army Trägerraketen für Atomwaffen erprobte. Sie seien „von Ost und West“ mit Hohn und Spott überschüttet und als „idealistische Spinner“ diffamiert worden, erinnerte sich später der undogmatisch linke Pazifist Andreas Buro. 65 Jahre später ist es wieder so. In Zeiten, in der in Deutschland wieder „Kriegstüchtigkeit“ propagiert wird, werden warnende Stimmen nicht mehr gern gehört.

Dabei ist angesichts eines russischen Präsidenten Wladimir Putin und eines US-Präsidenten Donald Trump die Atomkriegsgefahr heute nicht geringer als damals. Im Gegenteil – und sei es nur aufgrund einer ungünstigen Verkettung von technischen Fehlern und menschlichen Fehlleistungen.

Ein Erfolg der Friedensbewegung war, dass über Jahrzehnte das Bekenntnis, sich entschlossen für atomare Abrüstung einzusetzen, zum Standardrepertoire jeglicher Koalitionsverträge gehört hat. „Ziel unserer Politik ist eine nuklearwaffenfreie Welt“, bekundete die letzte Regierung aus Union und SPD 2018. Die Ampelkoalition ergänzte, „damit einhergehend“ gebe es das Ziel eines „Deutschland frei von Atomwaffen“. Auch wenn das praktisch stets weitgehend Lippenbekenntnisse geblieben sind, war allein eine solche Absichtserklärung schon wichtig, zeugte sie doch zumindest von Problembewusstsein.

Im aktuellen Koalitionsvertrag von Union und SPD ist davon nichts mehr zu finden. Sie haben nicht einmal mehr das Ziel einer atomwaffenfreien Welt formuliert. In einer Ostermarschrede Anfang der 1980er Jahre hat der Theologe Helmut Gollwitzer die Menschen in Europa als „Pulverfassbewohner“ und die Friedensbewegung als „Überlebensbewegung hart vor dem Abgrund“ bezeichnet. Seine Worte erscheinen heute aktueller denn je.

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