Berlin

Karneval der Kulturen in Berlin: Vom Wahrnehmen und wahrgenommen werden | ABC-Z

B erlin und Pfingsten, das ist schon deswegen eine innige Verbindung, weil es da den Gassenhauer gibt, „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten“. Und dann findet immer zu Pfingsten eben dieses Fest statt, bei dem in Kreuzberg und dieses Jahr erstmals auch in Friedrichshain (dazu später mehr) Hunderttausende raus auf die Straße gehen, auf der Suche nach dem, von dem in dem besagten Lied gesungen wird: Menschenmassen, Essen, Amüsement.

Das alles sind schon nicht ganz unwesentliche Eckpunkte des Karnevals der Kulturen, bei dem man über die Pfingsttage rund um den Kreuzberger Blücherplatz mit den diversen Musikbühnen großen Spaß haben konnte, wenn man Gefallen daran findet, mit der Menge durch die Massen zu treiben oder auch mal von forsch die Menge durchpflügenden Grüppchen umgerannt zu werden.

Miteinander. Gegeneinander. Und trinken. Wie das halt so ist bei einem Straßenfest

Miteinander. Gegeneinander. Und trinken. Wie das halt so ist bei einem Straßenfest, einer Kirmes, einem Rummel. Nur noch ein bisserl bunter. Das heutige Berlin ist eben vielfältiger als das von Bolle vor über 100 Jahren. Was auch an den Imbissständen mit dem kulinarisch diversen Angebot abzumessen war.

Rund um den Blücherplatz konnte man sich also gut um die Welt essen, und niemand musste hungern beim eigentlichen Herzstück dieses Berliner Karnevals, dem Straßenumzug am Pfingstsonntag. Dessen Ortswechsel nach Friedrichshain in die großzügig bemessene Karl-Marx-Allee erfolgte „wegen Bauarbeiten“ in Kreuzberg, vermeldete berlin.de, das offizielle Hauptstadtportal, während die Veranstalter nur von ihrem „Ziel: mehr Raum, neue Perspektiven, mehr Sichtbarkeit“ sprachen. An Menge jedenfalls fehlte es am neuen Ort nicht.

Über eine Million Menschen

sollen beim Karneval der Kulturen in diesem Jahr unterwegs gewesen sein: Das Straßenfest besuchten an den vier Veranstaltungstagen 330.000 Besucher*innen, den Umzug am Pfingstsonntag 750.000. Und, so heißt es von Veranstalterseite: „Alles verlief friedlich.“

Dicht gedrängt standen die Menschen an der Strecke wie sonst auf der Gneisenaustraße, Familien, Gruppen, Pärchen, viele an dem nicht gar so sonnigen Tag in Funktionskleidung, manche mit schrillerem Karnevalsfummel und wenige in traditioneller Tracht, als Gruß an die Gruppen beim Umzug, der ja doch auch ein Trachtenumzug ist mit farbenprächtigen Kostümen, die es zu bestaunen gab. Viel Glitzer, Federn und Fransen. Wieder mal wurde viel getrommelt, es wurde viel getanzt (meist waren es Frauen), es gab spektakuläre Performances und bloßes Promenieren, Schreine wurden herumgetragen, Bolivianisches gab es zu sehen und eine Rollschuhtruppe, Straßen-HipHop, Nigerianisches und, und, und … mit fast 70 Gruppen bei der mehrstündigen Parade.

Eine bunte Vielfalt. Früher wurde die in den Medien bei den Berichten danach gern auf das eine Bild einer eher knapp bekleideten Frau aus einer brasilianischen Sambatruppe verdichtet. Aber auch das hat sich gewandelt.

So viel Unterschiedliches gab es zu gucken. So viel zu hören. Wobei man beim Musikdurchlauf des Karnevals durchaus den Eindruck bekommen konnte, dass in Berlin vor allem Menschen aus Lateinamerika und der Karibik siedeln. Das stimmt so nicht. Der Stimmung aber tat die hüftbewegende Musik bestimmt keinen Abbruch.

Und dass dieses Schaulaufen arg entpolitisiert sei, ist als Kritik am Umzug so alt wie der seit Mitte der 90er Jahre stattfindende Karneval der Kulturen selbst. Natürlich könnte man sich auch einen Karneval vorstellen mit all diesen Gruppen, die mit Slogans und Protestplakaten unterwegs sind. Ein Umzug der Demonstrationen.

Am Gesamtbild aber würde das nichts ändern: dass hier eine Vielfalt lebt, die irgendwie versucht, miteinander klarzukommen. Allein, dass sich die ukrainische Gruppe zeigte, war schon eine Botschaft. Der von Pandas angeführten Charmeoffensive der Gruppe „Hello China!“ folgte etwas später der Verein der Tibeter.

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Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wahrnehmen. Wahrgenommen werden. Vielleicht sogar Gemeinsamkeiten finden in dieser großen bunten Stadt, für einen Moment. Für ein kurzes Lied. Etwa das koreanische Volkslied „Arirang“. Eine Tänzerin der koreanischen Gruppe stimmte es an, als sie im Publikum ein paar Jugendliche wohl mit koreanischem Hintergrund entdeckte. Schüchtern erst und dann doch beherzt sangen sie mit.

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