Zöliakie: Ein Leben mit Pommes, Pizza und Pasta ist möglich – Ebersberg | ABC-Z

Für die Grundschülerin, die jetzt in die zweite Klasse kommt, ist es inzwischen ganz normal, dass sie nicht zulangen kann, wenn in der Schule Geburtstag gefeiert wird und es Muffins oder Brezen gibt. Dann greift das Mädchen auf den Vorrat zurück, den ihre Mama Beate Haubold bei der Lehrerin deponiert hat, glutenfreien Kuchen, selbst gebacken und deswegen sicher, und auf Kekse aus dem Reformhaus oder einem speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Zöliakie ausgerichteten Supermarkt.
„Das haben wir inzwischen gut im Griff“, sagt Beate Haubold an diesem Nachmittag im Wohnzimmer in Markt Schwaben. Dort duftet es nach frischem Brot, das noch eine Weile im Ofen der offenen Küche gebacken werden muss, bevor es später auf den Tisch kommt fürs Abendessen. Louisa nascht derweil eine kleine Schokoschnitte, die glutenfrei ist. Auch ihr Bruder Yannick, drei, bekommt eine. Anders als Louisa habe er keine Zöliakie, sagt Mutter Beate Haubold, lecker findet der Kleine den Keks trotzdem.
Wie bewältigt eine Familie den Alltag, wenn dieser durch eine Glutenunverträglichkeit zur Herausforderung wird? Die Haubolds haben in den vergangenen Jahren viel gelesen und gelernt. Wissen seit geraumer Zeit zum Beispiel, in welchen Cafés es glutenfreie Torten gibt und welche italienischen Lokale Pizzen anbieten, die Louisa bedenkenlos essen darf, weil sie nicht einmal Spuren von Gluten enthalten. Dabei hilft ihnen zum Beispiel die App findmeglutenfrei.de. In dieser Zeit haben sie auch erfahren, dass Lebensmittel für Betroffene teurer sind als jene für Menschen, die diese Unverträglichkeit nicht haben.
Die Dunkelziffer der Erkrankten ist hoch
Bei Zöliakie handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, die den Dünndarm angreift. Verursacht werden die Beschwerden durch das Eiweiß Gluten, das unter anderem in vielen Getreidesorten enthalten ist, wie die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft (DZG) mit Sitz in Stuttgart und mehr als 40 000 Mitgliedern mitteilt. Eine unerkannte Zöliakie könne durch die anhaltende Zerstörung der Dünndarmschleimhaut zu schweren Begleit- und Folgeerkrankungen führe, unter anderem zu Osteoporose und Diabetes. In Deutschland gilt laut der DZG ein Prozent der Bevölkerung als betroffen, das sind knapp 900 000 Menschen. Aber nur eine oder einer von fünf Betroffenen habe eine gesicherte Diagnose, die Dunkelziffer sei hoch.
Wegen der vielfältigen Beschwerden gelte Zöliakie als „Chamäleon der Medizin“, erklärt die DZG. Klassische Symptome sind Bauchschmerzen, anhaltende Durchfälle und Erbrechen. Aber Müdigkeit, Gliederschmerzen und sogar Depressionen können auf die nicht medikamentös behandelbare Autoimmunerkrankung hindeuten. Ist sie ausgebrochen und diagnostiziert, hilft nur das Vermeiden von glutenhaltigen Lebensmitteln. Bei Kindern können nach Angaben der 1974 gegründeten DZG Wachstumsstörungen oder Schäden am Zahnschmelz auf eine Zöliakie hinweisen.
Louisa war drei Jahre alt, als es losging, wie ihre Mutter berichtet. Zu Beginn habe sich die Tochter alle zwei Tage übergeben, sagt die 46-Jährige. Die Eltern seien freilich besorgt gewesen und hätten sie ganz genau beobachtet, ehe sie anfingen, eine Liste zu führen, welche Speisen und Getränke Louisa zu sich genommen hatte, bevor ihr speiübel wurde. Schließlich hätten sie und ihr Mann Maik ein Muster erkannt: Immer wenn Milchprodukte im Spiel waren, entwickelte die Tochter Bauchschmerzen und musste brechen. Die Vermutung lag nahe, dass das Kind eine Laktoseintoleranz hatte.
Es folgte ein Allergietest beim Kinderarzt – mit dem Ergebnis, dass der Wert von Immunglobulin (IgA), der Aufschluss über die Funktion des Immunsystems an den Schleimhäuten gibt, leicht erhöht war. Auf die Idee, dass Louisa Zöliakie haben könnte, sei zunächst niemand gekommen, erzählt die Mutter. Deswegen habe es fortan im Hause Haubold nur noch laktosefreie Milchprodukte gegeben, und das Bauchweh war weg, spucken musste das Kind auch nicht mehr so oft. Doch ganz wohl war ihm trotzdem nicht, und die Eltern forschten weiter. „Schließlich hat es ein halbes Jahr gedauert, bis wir wussten, was Louisa hat“, sagt Beate Haubold.
Die Familie suchte Rat bei einem Arzt in Landshut. Der Gastroenterologe habe Louisa nur angeschaut und sofort gewusst, was sie hat, weil sie so dünn gewesen sei: Zöliakie. Ein weiterer Test habe dies bestätigt, so die Mutter: Im Blut wurden die typischen Antikörper nachgewiesen. Fortan bekam die Tochter nur noch glutenfreie Kost – und erholte sich relativ schnell. „Nach zwei bis drei Wochen war es vorbei mit dem Erbrechen und den Bauchschmerzen“, erinnert sich Beate Haubold. Die Eltern gingen zur Ernährungsberatung, nahmen Kontakt mit der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft auf, besorgten sich Infos, wo es glutenfreie Lebensmittel gibt – darunter natürlich auch Pommes. Der Einkaufsberater der DZG sei in der ersten Zeit ein ständiger Begleiter gewesen, heute aber braucht es den Katalog nicht mehr. Es gehe recht schnell, dass man weiß, auf Louisas Teller kommen darf, sagt die 46-Jährige und steht auf, weil der Backofen geklingelt hat: Das Brot ist fertig.

Louisas Bruder Yannick ist nicht betroffen, hat aber zu einem Drittel die genetische Veranlagung für die Entwicklung einer Zöliakie, wie Beate Haubold sagt. Weil sie ausbrechen könnte, muss der Kleine einmal im Jahr mit zur Kontrolle, wenn die Schwester beim Arzt ist. Auch die Eltern haben keine Unverträglichkeit, sie und der Bub ernähren sich ganz normal, essen glutenhaltige Gerichte. Ausnahmen sind das selbst gebackene Brot und Louisas Geburtstagskuchen. „Für Zweimal-Backen fehlt mir die Zeit“, sagt die berufstätige Mutter.
Louisa ist ein aufgewecktes Mädchen, spielt Fußball, turnt, geht gern in die Schule und freut sich schon auf die zweite Klasse, wie sie sagt. Daran, dass sie beim Essen aufpassen muss, hat sie sich gewöhnt. Dass der kleine Bruder alles essen darf, sei aber arg, sagt die Mama: „Wenn wir für ihn auf Reisen an der Raststätte ein Croissant bestellen und für Louisa gibt’s nur das mitgebrachte Müsli, dann ist das nicht fair, aber sie kommt meist klar.“ Manchmal hadert die Siebenjährige schon damit. „Ungerecht ist es trotzdem!“, sagt sie. Keine Pommes im Freibad oder auf Indoor-Spielplätzen, Eis geht nur, wenn es verpackt ist. Immerhin muss die Grundschülerin nicht auf Burger, ihre momentane Lieblingsspeise, verzichten, weil es glutenfreie Buns gibt. Und auch Pizza und Pasta ohne Klebereiweiß sind zu bekommen.
Apropos Italien: Das Land ist nach den Worten von Beate Haubold „super“ für Menschen mit Zöliakie. Das Sortiment in den Supermärkten sei ein Paradies, denn viele Italiener seien betroffen und die Lebensmittelproduzenten hätten sich darauf eingestellt. Seit diesem Jahr wird dort allen Kindern ein kombiniertes Screening-Programm für Zöliakie und Diabetes Mellitus Typ 1 angeboten, wie es im Jahresbericht für 2025 der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft heißt. Hierzulande fehle es nach wie vor an einer Lobby für die Betroffenen, beklagt die DZG. Kritisiert wird darüber hinaus, dass die Mehrkosten beim Einkauf von glutenfreien Lebensmitteln, die laut einer Studie von 2014 knapp 100 Euro im Monat ausmachten, nicht erstattet würden.
Die finanzielle Mehrbelastung spüren auch die Haubolds aus Markt Schwaben: So komme es vor, dass eine glutenfreie Pizza bis zu 4,50 Euro mehr koste, und auch der Einkauf im Reformhaus sei natürlich teurer als im herkömmlichen Supermarkt. Die Familie bringt deshalb immer etwas aus dem Italien-Urlaub mit, bestellt zum Beispiel im Internet unter glutenfreigeniessen.de oder fährt zum Großeinkauf nach Taufkirchen, wo der Online-Händler einen Shop betreibt. Glutenfreies Bier bekommt man inzwischen sogar im normalen Supermarkt, auch wenn das in Louisas Alter natürlich nicht von Belang ist.
Eine Mutter hat extra glutenfreien Kuchen für die ganze Geburtstagsgesellschaft gebacken
Seitdem Louisa eingeschult ist, bereitet der Familie ein Umstand Probleme: Anders als in der Kita, wo der Caterer ein glutenfreies Gericht geliefert hat, gibt es das in der Mittagsbetreuung der örtlichen Grundschule nicht. „Da nimmt sie ihr Müsli mit und wir essen abends richtig“, sagt Beate Haubold. Wenn die Siebenjährige zu einer Geburtstagsparty eingeladen sei, „dann stimmen wir uns ab“. Das heißt: Louisa bringt sich selbst was mit – oder alle essen glutenfreien Kuchen, weil, wie bereits einmal geschehen, die türkische Mutter der Freundin extra eine solche Torte gebacken hat, wie Haubold erzählt, ganz nach der Devise „Bei uns fühlen sich alle Gäste wohl“.
Louisa selbst kennt sich schon aus beim Zubereiten von Speisen, die ihr wohltun: Sie hat an einem Grillkochkurs teilgenommen, den die DZL in Krailling organisiert hat, und wird im November wieder beim glutenfreien Plätzchenbacken mitmachen. Bei den Familienstammtischen der Zöliakie-Gesellschaft hat das Mädchen eine gleichaltrige Freundin aus Freising gefunden, für die Eltern sind diese Zusammenkünfte eine willkommene Gelegenheit zum Austausch. Die Treffen finden üblicherweise nicht in einem bayerischen Wirtshaus statt. Denn das, was da für gewöhnlich auf der Speisekarte steht, ist für Menschen mit Zöliakie kaum geeignet.
Ähnlich verhält es sich übrigens mit einem Besuch des Münchner Oktoberfestes: Auf der Münchner Wiesn wird nach Angaben des Referates für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt kein glutenfreies Bier angeboten, weil das Festbier nach dem Reinheitsgebot gebraut ist, wie es online auf der Antwortliste auf die häufigsten Fragen heißt. In mehreren Zelten aber gibt es nach Angaben der Stadt immerhin glutenfreie Speisen.
Eine Woche vor Beginn des Oktoberfestes, am 13. September, organisiert die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft im Aschheimer Feststadl die „glutenfreie Herbst-Gaudi“, eine Art Wiesn für Gäste mit Zöliakie. Wie immer ist die Veranstaltung innerhalb kürzester Zeit ausverkauft gewesen.