Formel 1 in Imola: Der Weltmeister meldet sich zurück – Sport | ABC-Z

Kimi Antonelli war immer noch da. Mit ein paar Freunden stand er auf dem holzverkleideten Treppenabsatz des Mercedes-Motorhome und plauderte im Abendlicht. Die anderen Formel-1-Piloten hatten sich schon zurückgezogen. In den Stunden nach dem Rennen gehört das Fahrerlager den Mechanikern der Teams, die Kisten mit allen möglichen Teilen für die nächste Reise bepacken, angetrieben von Techno-Rhythmen. Aber Antonelli hatte noch Lust zu quatschen, dieser Große Preis der Emilia-Romagna war sein erstes Heimrennen in der Formel 1, ein besonderes also für den 18-Jährigen aus Bologna, auch wenn er nach 47 von 63 Runden aufhören musste. Probleme am Wagen. Aber genau damit hatte Antonelli Einfluss auf die Dramaturgie des Rennens genommen und die Genugtuung beim Sonntagssieger Max Verstappen vergrößert.
Verstappen hatte zu diesem Zeitpunkt satte 18 Sekunden Vorsprung auf Oscar Piastri. Weil das Safety-Car gefragt war, solange die Streckenposten Antonellis Mercedes abtransportierten, rutschte jedoch das ganze Feld unter der verringerten Geschwindigkeit eng aneinander. Plötzlich lauerte am Heck von Verstappen wieder Gefahr. Das war seine Chance. Doch als das Rennen in der 53. Runde wieder freigegeben wurde, verpuffte die Gelegenheit. Verstappen zog eiskalt davon und gewann mit 6,1 Sekunden vor Lando Norris und 12,9 Sekunden vor Piastri, der in der Schlussphase auch noch von seinem Teamkollegen überholt wurde.
:Verstappen beschenkt sein Team zum Jubiläum
Max Verstappen gewinnt den Europa-Auftakt der Formel 1 in Imola vor den McLaren von Oscar Piastri und Lando Norris. Damit meldet sich der Weltmeister im Titelkampf zurück – passend zum 400. Rennen von Red Bull.
„Ich bin super stolz auf alle, das war eine wichtige Woche für uns“, sagte Verstappen später: „Die Leistung des Autos ist echt gut, und auch die ganze Umsetzung des Rennens, wann wir Boxenstopps machen, die Boxenstopps selbst – das war alles stark.“ Diese Szene war nicht die einzige, in der Verstappen zeigte, dass mit ihm noch zu rechnen ist in dieser Weltmeisterschaft. Auch wenn er mit seinem Red Bull zu kämpfen hat und die Dominanz von McLaren nicht einfach verschwinden wird. Mit seinem zweiten Saisonsieg baute er seine Imola-Serie auf vier Gewinne nacheinander aus und beendete wiederum die Strähne von Piastri, der in den vorherigen drei Rennen reüssierte.
In der Gesamtwertung ist Verstappen Dritter geblieben, aber er konnte den Rückstand verkürzen, er kommt jetzt auf 124 Punkte. Norris hat 133 Zähler gesammelt, Piastri liegt nach seinen vier Siegen bei 146. Sieben von 24 Rennen sind gefahren, da kann noch viel passieren – an den Autos und in den Köpfen. Dieses Rennen, sagte Norris, „zeigt, wie schnell sich Dinge ändern können“. Und Piastri wirkte auf der Pressekonferenz geradezu nachdenklich.
„Wir haben uns praktisch ein Jahr lang im Kreis bewegt“, sagt Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko
Dabei tritt der Australier sonst derart abgeklärt auf, dass er längst die Anerkennung des viermaligen Weltmeisters Verstappen genießt. Weil Norris im Vergleich zu den beiden öfter mit sich hadert, wirkt es bisweilen, als liefe der Titelkampf eher zwischen den Vollstreckern Piastri und Verstappen. Vor knapp einem Monat in Saudi-Arabien hatte Piastri nach einem entscheidenden Duell, bei dem Verstappen von der Rennleitung fünf Strafsekunden für einen unerlaubten Vorteil erhalten hatte, noch selbstbewusst gesagt: „Ich habe in Kurve eins gezeigt, wo der Chef sitzt.“ Das Rennen in Italien erinnerte daran, dass auch ihm Fehler unterlaufen und auch er vielleicht gelegentlich einen Moment zu lange nachdenkt. Ein solcher Satz hätte am Sonntag jedenfalls von Verstappen kommen können nach dem ersten Moment mit Signalwirkung auf dem Autodromo Enzo e Dino Ferrari.
Nur vermeintlich misslang dem 27-Jährigen der Start. In der Tamburello-Schikane erwischte er in der zweiten Kurve innenliegend schließlich die bessere Position und überholte auf geradezu geniale Weise den von der Pole gestarteten Piastri, der überrumpelt wurde, nachdem ihm zuvor ein Missgeschick unterlaufen war. „Ich habe zu früh gebremst, das war ein gutes Manöver von Max“, sagte Piastri: „Das war natürlich enttäuschend, aber wir haben auch sonst ein paar falsche Entscheidungen getroffen.“ Damit war dieser Grand Prix nahezu entschieden. Verstappen kontrollierte das gesamte Rennen, konnte den Reifenwechsel ideal in zwei Safety-Car-Phasen legen, während Piastri nach einem frühen Boxenstopp weit zurückfiel und beim Antonelli-Aus draußen blieb. Für eine Gegenwehr waren die Reifen in der Schlussphase zu abgenutzt. Überhaupt hatte Verstappen den Reifenverschleiß besser im Griff als die Konkurrenz. Er hatte keinen Grund zu klagen, außer über Rückenschmerzen.

Red Bull war vergnügt im eigenen Rhythmus unterwegs. Was auch daran lag, dass das Team am Tag seines 400. Formel-1-Rennens insgesamt stärker war als die im bisherigen Jahresverlauf dominierenden McLaren. Die jüngsten Upgrades am RB21, unter anderem ein neuer Unterboden, scheinen zu wirken. „Wir haben uns praktisch ein Jahr lang im Kreis bewegt, und es war das erste Mal, dass das Auto wieder top war“, sagte Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko im Sender Sky: „Auf jeden Fall ist Red Bull zurück.“ Diese Botschaft verkünden zu können, hat in diesem Fall nicht nur eine externe Wirkung, sondern soll insbesondere viel Energie und Zuversicht nach innen strahlen. Hauptadressat: Max Verstappen.
Dass Red Bull die Vormachtstellung an McLaren abgeben musste und Adrian Newey, das Design-Mastermind der Formel 1, an Aston Martin verloren hat, hat die Gedanken des Weltmeisters über seine Zukunft angeregt. Zwischen den Grand Prix in Miami und Imola legte er gar einen Abstecher am Nürburgring ein, inklusive eines Langstrecken-Rundenrekords auf der Nordschleife in einem Ferrari 296 GT3. Dem Team kann alles recht sein, was Verstappen bei Laune hält. Denn der Erfolg hängt massiv von ihm ab, keiner seiner Teamkollegen kann auch nur annähernd mithalten. „Für Max ist das eine wichtige Voraussetzung, er muss sehen, dass alle beinhart arbeiten und an einem Strang ziehen“, sagte Marko in Imola: „Deshalb bin ich optimistisch, was unsere Zusammenarbeit angeht. Aber es bleibt offen.“
Der nächste Erfolg dieses Wochenende in Monaco würde weitere Argumente liefern. Aber der enge Stadtkurs mit seinen langsamen Kurven dürfte dem RB21 nicht liegen, der lieber über schnelle Strecken gelenkt wird. Ob das was wird? „Ich hatte auch nicht allzu große Hoffnungen, dass wir in der Lage sein würden, in Imola zu gewinnen“, sagte Verstappen, „und das hat doch geklappt.“ Am Sonntag feierte er auch ein eigenes kleines Jubiläum, zum 65. Mal in seiner Formel-1-Karriere rauschte er als Erster über die Ziellinie. Unvergessen wird dieser Sieg für ihn aber aus einem anderen Grund bleiben: Es war sein erster als Vater, vor zwei Wochen brachte seine Freundin Kelly Piquet Tochter Lily zur Welt.