Kultur

“Tatort” Bremen: Frauen sind aber weniger gewaltbereit | ABC-Z

Der Titel der neuen Bremer Tatort-Folge Solange du
atmest
(RB-Redaktion: Lina Kokaly, Degeto-Redaktion: Birgit Titze) lässt
sich als Hinweis auf einen Hit der Sting-Combo The Police lesen. Every Breath You Take tut musikalisch harmlos, hat es textlich aber in sich, weil vermeintliche
Liebesschwüre wie “Every breath you take/And every move you make/Every bond you break, every step you take/I’ll be watchin’ you” das
Programm eines Stalkers beschreiben.

Stalking ist ein “Thema”, von dem der Bremer Tatort
erzählen will. Dafür findet der Film ein drastisches
Bild vom permanenten Beobachtet- und Kontrolliertwerden: Wenn die
alleinerziehende Rani Ewers (Via Jikeli) zu Beginn mit Tochter Mia (Pola
Friedrichs) nach Hause kommt, entdeckt die Mutter im Fotoalbum, das
rätselhafterweise im Ranzen des Kindes steckt, ausgeschnittene Augen aus Fotos.
Der Blick geht zur Wand im Zimmer, wo ebendiese Augen in den Familienbildern
an der Wand fehlen.

Da hat sich jemand, der Böses will und aus dem Hintergrund
Angst und Schrecken verbreitet, viel Mühe gegeben bei der Bastelarbeit. Die
Person muss Zeit gehabt haben, um in der Wohnung die Fotos sabotieren und, noch
ein Zeichen des Unheimlichen, umgekehrt wieder aufhängen zu können
(Szenenbild: Marlen von Heydenaber). Ein solch krasser Einbruch in den
geschützten Raum könnte einiges an Panik produzieren, Fragen aufwerfen und
Überlegungen motivieren, wer dahintersteckt.

Aber dann wäre der Fall fix gelöst. Und so wird der
Stalking-Verdacht erst mal auf Marek Kolschak (Jonathan Berlin) gelenkt, einen
Ex von Rani Ewers, der als Investigativjournalist einer Drogengeschichte auf
der Spur war und bald als Leiche in Erscheinung tritt, um die Ermittlerinnen
Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Linda Selb (Luise Wolfram) in die
Geschichte zu integrieren.

Man kann es verdienstvoll finden, dass Solange du atmest
versucht, im populären ARD-Sonntagabendkrimi das Stalking-Problem sichtbar zu machen.
Leider schießt sich der Film dabei aber selbst ins Knie, weil das Drehbuch von
Judith Westermann an der Whodunit-Logik festhält. Was bedeutet, dass Marek
Kolschak sich als erster Verdächtiger umgehend für die Täterschaft
disqualifiziert. Durch seine Figur wird das Problem Stalking allerdings eher verschleiert als beschrieben. Denn als übergriffige, besitzergreifende Stalkerin entpuppt sich –
eher eine mittlere Überraschung – Ranis Mitbewohnerin Paula Södersen (Sarina
Radomski). Der Wunsch nach einem
Twist am Ende verbindet die Bedrohung mit einer Frau, obwohl statistisch gesehen überwiegend Männer Täter sind.

Das führt die Idee, Stalking in den Mittelpunkt zu
rücken, ad absurdum, weil es sich dabei um ein spezifisches Motiv handelt, das
nicht so austauschbar ist wie etwa Geldgier, die
Erbschaftsstreitigkeiten unter einer Gruppe von Menschen plausibel
machen könnte. So erweist der Film seinem
“Thema” letztlich einen “Bärendienst”, wie die Sportreporterin
sagen würde.

Fühlt sich bedroht: Rani Ewers (Via Jikeli, links) mit ihrer Tochter Mia (Pola Friedrichs) © Radio Bremen/​Claudia Konerding

Dieser funktionale Umgang mit Genre-Formeln macht aus dem Bremer
Tatort ein wenig aufregendes Vergnügen. Der Mord an Marek Kolschak stellt sich
als Etappentat
heraus
, was ein billiges erzählerisches Mittel ist, um mit verschiedenen
Verdächtigen jonglieren zu können. Kolschaks Chef Benno Falk (Julian Greis)
hatte den Journalisten erst geschlagen, Paula Södersen ihn danach umgebracht.
Schlangestehen beim Opfer.

Bei der Geschichte von Solange du atmest guckt also
öfter die Schablone durch, mit der dieser Fall entworfen wurde. Was die Regie
von Franziska Margarete Hoenisch leider nicht überdecken kann. Es gibt mehrere
Szenen, die hölzern, wenn nicht papiern tönen oder etwas plump gebaut sind (Imbiss-Besuch,
Leichenfund, Finale im Schrebergarten).

Besonders schade ist das bei Ranis Panikmoment am Anfang. Da sucht die Mutter die Tochter auf dem
Spielplatz, was auch ein Spiel
mit den Krimi-Standards ist. Denn vermisste Kinder sind die einfachste Form, um
die Betrachterin emotional in einen Tatort zu verwickeln. Hier werden
diese Gefühle aber nicht ausgebeutet, weil sich die Abwesenheit der Tochter am
erwarteten Ort in Wohlgefallen auflöst – Mia war mit der Familie einer Freundin
unterwegs. Der Vater-Darsteller steht freundlich unbeteiligt am Rande rum, und die
Mutter-Schauspielerin sagt ein paar Worte, wo sich doch gerade in so einem
Moment, in dem Rani erleichtert ist, dass ihre Sorge unbegründet war, ein
Dialog der Freude und Beruhigung ergeben könnte, der dem Film Leben einhauchen
würde.

Als etwas mühsam stellen sich auch die Eitelkeiten heraus,
die in der Folge zwischen Moormann und Selb und zwischen Selb und
Gerichtsmedizinerin Edda Bingley (Helen Schneider) Konflikt performen sollen.
Alles Sachen, die sich jeder ARD-Sonntagabendkrimi ausdenken könnte, um eine
Geschichte mit Krawall vermeintlich aufzubrezeln. Dabei wäre eine genauere
Beschreibung von Konkurrenzsituationen auch zweier Kolleginnen, die sich
eigentlich zugewandt sind, doch begrüßenswert. Die kleinen Ärgernisse und
Mikrofrustrationen mit Leuten, die man sich nicht ausgesucht hat, mit denen man
aber viel Zeit verbringt, dürften vielen Leuten vom Arbeitsplatz her bekannt
sein.

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