Ein Spanier namens Tecklemayer | ABC-Z

Deutsche Auswanderer in der Sierra Morena:
In Andalusien gibt es eine Gegend, in der die Menschen Nachnamen wie Wizner, Eismar, Kobler, Metzveiler oder Tecklemayer tragen. Hier machen wir uns auf die Suche nach den Ursprüngen der Besiedlung der Sierra Morena.
Johann Kaspar Thürriegel war eine spannende Figur des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Im Bayrischen Wald geboren, war er mal Schreiber, mal Soldat, Spion und Kolonistenwerber, manche würden sagen ein Abenteurer. Doch in La Carolina, einer kleinen Gemeinde im nördlichen Teil Andalusiens gelegen, hängt sein Portrait in einem Museum, denn viele der heute hier lebenden Einwohner stammen von deutschen Kolonisten ab, die eben dieser Thürriegel einst in die Sierra Morena führte.
1766 hatte Johann Kaspar Thürriegel dem aufgeklärten spanischen König Carlos III seine Idee vorgetragen, Siedler für die Kultivierung überseeischer Kolonien in Lateinamerika anzuwerben. Pablo Olavide, ein einflussreicher Beamter am spanischen Hofe, der wie König Carlos III, die Ideale der Aufklärung vertrat, sorgte dafür, dass der Vorschlag abgelehnt wurde. Stattdessen schlug er vor, die bis dahin dünn besiedelte Sierra Morena durch die Errichtung neuer Ortschaften sicherer zu machen und gleichzeitig landwirtschaftlich zu nutzen. Einer der wichtigsten Handelswege der damaligen Zeit führte von Cádiz durch die Sierra Morena bis nach Madrid. Raubüberfälle waren in der einsamen Gegend an der Tagesordnung. Während Pablo de Olavide mit der Entwicklung eines Besiedlungsplanes beauftragt wurde, zog Thürriegel gen Norden, um die dafür notwendigen Siedler anzuwerben.
Olavide entwarf ein Konzept für die neuen Siedlungen, in dem die Ideale der Aufklärung umgesetzt werden sollten, Gemeinden, die auf den Grundpfeilern der Bildung und Gerechtigkeit ruhen sollten. Um diese neuen Dörfer in einer Gegend in der nur vereinzelte Wirtshäuser den Reisenden Schutz vor Räubern und Wegelagerern boten, zu errichten, beschlagnahmte die Regierung Ländereien flächenmäßig großer Gemeinden wie Baños de la Encina, um die ungenutzten Flächen unter den Neuankömmlingen zu verteilen.
Museum in La Carolina
Währenddessen machte Thürriegel sich in Deutschland, später auch in Italien und der Schweiz, auf die Suche nach katholischen Bauersleuten, die gewillt waren, die einsamen Landschaften der Sierra Morena in grüne Äcker und Weiden zu verwandeln. Um das Angebot für die neuen Siedler attraktiver zu machen, wurden ihnen neben einem Stück Land, auch ein Haus, Werkzeug, Tiere und sogar ein anfängliches Gehalt in Aussicht gestellt. Als Gegenleistung für diese großzügige Grundausstattung mussten sie sich verpflichten, in der Sierra zu bleiben und das Land zu bewirtschaften. Wer es sich anders überlegte, wurde bestraft. Trotz all dieser Anreize war es nicht leicht, passende Siedler zu finden. Die Ansprüche, die die spanische Krone stellte, waren hoch, und die deutschen Gemeinden versuchten zu verhindern, dass die Bauern abgeworben wurden, in dem sie schwere Strafen für Auswanderer verhängten. Doch Thürriegel gelang es, Wanderarbeiter und Tagelöhner für das Projekt zu gewinnen, die in Spanien ihr Glück versuchen wollten. Zu Fuß machten sie sich auf den mühsamen Weg in den Süden, nicht alle von ihnen kamen heil und gesund in der neuen Heimat an, doch wer es schaffte, für den begann ein neues Leben.
Per Los wurden die Grundstücke, die zwar alle gleich groß, aber unterschiedlich fruchtbar waren, verteilt. Bald entstanden neue Dörfer wie Los Carboneros, Aldeaquemada, Guarromán oder die nach König Carlos benannte Hauptstadt der Siedlungen La Carolina. Die Grundrisse der neuen Dörfer waren alle gleich aufgebaut. Auf dem Reißbrett geplant, hatten sie allesamt dieselbe Struktur: einen großen Platz mit einer Kirche und einem Pfarrhaus und direkt gegenüber eine Art Rathaus, dem Hauptsitz des Kommandanten, der von den Dorfbewohnern gewählt wurde. Auch gemeinschaftliche Getreidespeicher wurden errichtet. Insgesamt entstanden in nur wenigen Jahren mehr als vierzig neue Siedlungen, in denen sich um die 7000 Deutsche niederließen.
Theatergruppe in Los Carboneros
„Neue“ Dörfer der Sierra Morena
Santa Elena
In dem kleinen Ort Santa Elena kann man die typische Struktur der „Neuen“ Siedlungen gut erkennen: Im Zentrum eines rasterartigen Straßennetzes, befindet sich eine Plaza mit dem Denkmal Carlos III in der Mitte. Rundherum liegen die wichtigsten Gebäude, der Kornspeicher, das Rathaus und die Kirche. Die Häuser der Siedler waren klein und einfach. Sie bestanden aus zwei Etagen, meist gab es nur ein Fenster. Fast alle Gebäude wurden im Laufe der Jahrhunderte um- und ausgebaut, doch ab und an kann man noch eines der Siedlerhäuser entdecken.
Aldeaquemada
Auch in Aldeaquemada bilden die Straßen bis heute ein symmetrisches Raster. Am zentralen Dorfplatz liegen die Kirche Nuestra Señora de la Inmaculada, das Pfarrhaus, das Haus des Kommandanten und der gemeinschaftliche Kornspeicher. Nachdem im letzten Jahrhundert die meisten der alten Gebäude wegen der desinfinzierenden Wirkung mit weißem Kalk überpinselt wurden, hat die Stadt damit begonnen, so viele Gebäude wie möglich wieder in den ursprünglichen Zustand der Backsteinfassaden zu versetzen.
In einem kleinen Museum werden nicht nur die Traditionen wie das Siedlerfest am 11. Mai oder das Bemalen der Ostereier erklärt. Hier erhält man vor allem einen Überblick über die Schönheit der Naturlandschaft „Paraje Natural de la Cascada de la Cimbarra“, die sich vor den Toren des Dorfes erstreckt. Neben Flora, Fauna und beeindruckenden Wasserfällen, gibt es hier UNESCO-Weltkulturerbe zu entdecken: unzählige, versteckt gelegene Felsmalereien aus dem 4. Jahrtausend v. Chr., die man bei einer der geführten Wanderungen bestaunen kann.
Los Carboneros
Bei besonderen Anlässen spielt eine Theatergruppe in Los Carboneros die Ankunft der Siedler nach. Hier sind besonders viele Nachfahren der Kolonisten stolz auf ihre deutschen Nachnamen wie Ruf, Neft und Teclemayer. Angeblich, so erzählen sie schmunzelnd, hätten sich die Neuankömmlinge hier besonders lange gewehrt, ihre Sprache und Traditionen aufzugeben. Doch weil König Carlos III an einer schnellen Anpassung der Siedler gelegen war, trieb er die Hispanisierung voran, bis die deutsche Sprache in den Dörfern verschwunden war und nur noch einige Bräuche wie das Bemalen der Ostereier (das in Spanien völlig unüblich ist) erhalten blieben.
La Carolina
La Carolina ist die kleine Hauptstadt der “neuen” Siedlungen in der Sierra Morena, dort wo Kastilien aufhört und Andalusien anfängt. In einem kleinen Papierladen, der Papelería Liberia Arte, ganz in der Nähe der Zolltürme, treffen wir Francisco Gonzalez Teclemayer, einen Nachfahren der deutschen Einwanderer. Während im Hintergrund Musik aus einem Radio rauscht, spielt ein Vater mit seinem kleinen Sohn Lotto. In den Regalen stapeln sich neben Büchern, Bilderrahmen und Buntstiften jede Menge Puzzle, denn Francisco hat seinen kleinen Laden zu einem der größten Puzzle-Versand-Shops Europas verwandelt. Mit einem strahlenden Lächeln weist er nicht nur den Touristen, die sich in seinen Laden verirren, die Sehenswürdigkeiten seiner Stadt, sondern zeigt auch gern das mit zigtausenden Puzzeln (11.600 verschiedene Motive!) bis unter das Dach gefüllte Lager.
Bei einem Bummel durch die Stadt kann man die Zolltürme, das ehemalige Gefängnis und zwei Monolithe bestaunen, auf denen Reliefdarstellungen die Besiedlung der Sierra Morena zeigen. Olavide, der Leiter des Projekts, hatte seinen Sitz im Palast des Intendanten neben der Kirche eingerichtet, heute ein Museum, das die Geschichte der Siedlungen nachzeichnet.
Baños de la Encina
Ganz anders als die geradlinigen Dörfer der „Neuen Siedlungen“, schmiegen sich die Häuser von Baños de la Encina dicht an dicht, durch enge Gassen über einen Hügel. Schon von Weitem kann man die mächtige Burg und die kleinen weißen Häuser erkennen. Schon in der Frühzeit siedelten Menschen an dieser strategisch günstigen Stelle, mit Blick über die Ebene.
Die bis heute fast komplett erhaltene maurische Burg stammt aus dem 11. Jahrhundert. Als in der Nähe die neuen Siedlungen gegründet werden sollte, wurden der Gemeinde Baños de la Encina ungenutzte Ländereien genommen. Dass die Einwohner davon besonders begeistert waren, ist nicht anzunehmen. Heute weiß man nur, dass es vor allem wegen der ungewohnten Bräuche und Lebensweisen der neuen Siedler zu kleineren Reibereien mit den neuen Nachbargemeinden kam. Denn dort arbeiteten Frauen Hand in Hand mit den Männern auf den Feldern – skandalös für die alteingesessenen Bewohner der Gegend.
Beim Bummel durch die verschlungenen, alten Gassen in Baños de la Encina kann man nicht nur die beeindruckende Burg besichtigen. Neben der trutzigen Hauptkirche, der Iglesia Sant Mateo, die sich auf dem zentralen Platz der Altstadt erhebt, gibt es in der Ermita del Cristo del Llano einen echten Schatz zu entdecken: el camarín barroco, eine über und über mit kleinen Engeln gespickte Kammer in der Absis der Ermita.
Informationen und nützliche Adressen
Centro de Arte Rupestre
Calle Concordia 2 (neben dem Markt)
Aldeaquemada (Jaén)
nur an Wochenenden geöffnet.
turismoaldeaquemada.com
Museo de la Carolina
Plaza de la Iglesia,
23200 La Carolina (Jaén)
museo-de-la-carolina
Geöffnet Di-Fr 10-13 und 18-21 Uhr, Sa 10-14 und 18-21 Uhr, So 10-14 Uhr, Montag Ruhetag
Tipp: Ecoturismo Aldeaquemada
Ángel Alcaide zeigt bei seinen Touren durch die nähere Umgebung von Aldeaquemada nicht nur die unglaublichen Wasserfälle und die steinzeitlichen Felsmalereien. Er kennt jeden Strauch und jede Blume, findet Fossilien, die davon zeugen, dass sich hier einst der Meeresboden befand, und erklärt, wie die tektonische Verwerfung die heutige Landschaft geformt hat. www.lacimbarra.com (geführte Wanderungen, Unterkunft und Restaurant)
Bury Restaurant
Calle Bailén 6
Baños de la Encina (Jaén)
buryrestaurante.com Eine sehr informative Website hat das Restaurant Bury, in dem wir extrem lecker gegessen haben. Dort finden sich ausführliche Informationen zu allen Sehenswürdigkeiten der Stadt, wie dem Camarín Barroco oder der Burg. Fusion Küche, die saisonale regionale Produkte mit mozarabischen Einflüssen mischt.
Unterkunft Baños de la Encina:
Geschlafen haben wir in einem kleinen Hotel in der Altstadt. Wenige Zimmer, aber alle gemütlich, mit Frühstück. Auch Restaurant.
Palacete Maria Rosa
Calle de la Trinidad 25
23711 Baños de la Encina (Jaén)
Hinweis: Pressereise Turisme Jaén.