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Anschläge in Paris 2015: Zwei dumpfe Knalle, die ich nie vergessen werde | ABC-Z

Die beiden Knalle werde ich nie vergessen. Dumpf und scheppernd klangen sie, hallten noch eine Weile nach rund um das Stade de France im Norden von Paris. Schwer erträglich aber wurden die Geräusche für mich erst viel später, als ich verstand, wer sie verursacht hatte: zwei Selbstmordattentäter. Es war der Beginn des islamistischen Terroranschlags auf Paris am 13. November 2015. Ich habe also gehört, wie sich Menschen in die Luft sprengten. 

Vor zehn Jahren saß ich auf der Pressetribüne des größten Stadions Frankreichs. Ich sollte als Reporter über das Länderspiel gegen den Weltmeister Deutschland berichten. Zwei der besten Mannschaften Europas, eine schöne Stadt, eine imposante Arena – es gab schon Dienstreisen, auf die ich mich weniger gefreut hatte. Am Vorabend des Spiels spazierte ich unter dem Eiffelturm hindurch, aß Boeuf Bourguignon und fuhr in mein Airbnb in der Rue Bichat im 10. Arrondissement. Da ahnte ich noch nicht, dass ich diese Straße in der nächsten Nacht im Fernsehen sehen würde. 

Ich denke nur selten an diesen Abend zurück. Vielleicht aus Selbstschutz. Vielleicht aber auch, weil es für mich so schlimm ja nicht gewesen ist. Ich hatte Angst, ja, aber 130 andere Menschen sind gestorben, 683 wurden verletzt. Ich war eher überrascht davon, dass sich die Anschläge nun schon zum zehnten Mal jähren. Doch als ich die beiden Dokus bei Sky und in der ARD gesehen habe, die den Abend aus der Sicht der deutschen Nationalelf schildern, kamen die Erinnerungen wieder. Und das Gefühl, wie zerbrechlich Normalität sein kann.  

Erster Reflex: Verdrängung

Den ersten Knall, das weiß ich noch, hielt ich für einen Böller, einen sehr großen Böller. Einige Zuschauer johlten, andere schauten sich irritiert um. Ein Knall, aber kein Rauch wie sonst bei Pyrotechnik. Nach dem zweiten Knall, vier Minuten später, war ich mir sicher, dass etwas nicht stimmte. Auch Frankreichs Verteidiger Patrice Evra, der in dem Moment am Ball war, hielt kurz inne und blickte hinauf zu den Rängen.  

Doch weil wieder nichts zu sehen war, lief das Spiel weiter. Ich schaute auf mein Handy, ob es irgendwelche Informationen zu den Geräuschen gab. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, was genau ich wann erfuhr. Ich weiß nur noch, dass Twitter damals am schnellsten war: Anfangs hieß es, es habe eine Explosion in einer Bar in der Nähe des Stadions gegeben. Und eine Schießerei in einer Kneipe in der Innenstadt. Dann waren es mehrere Schießereien. Erst waren es wenige Tote, dann sehr viele.  

Mein erster Reflex, das weiß ich noch, war Verdrängung. Ich habe mir selbst eingeredet, dass das nicht stimmen konnte, oder zumindest nichts mit dem Spiel zu tun haben kann. Ein Irrtum. Über dem Stadion kreisten zu diesem Zeitpunkt schon Hubschrauber. Frankreichs Präsident François Hollande, der auf der Ehrentribüne saß, wurde in Sicherheit gebracht. Securityleute liefen hektisch umher. Aufs Spielfeld schaute ich kaum noch. Dann war Halbzeit. 

Die deutschen Nationalspieler erzählen in den Dokus, dass ihnen in der Pause nichts gesagt wurde. Den Verantwortlichen lagen noch nicht genügend Informationen vor. Weil die Zuschauer auf ihren Handys aber sehr wohl mitbekamen, was in ihrer Stadt vor sich ging, wurde die Stimmung in der zweiten Halbzeit immer seltsamer.  

Da war er, der Terror

Je länger das Spiel dauerte, desto genauer wurden die Informationen. Die Explosionen vor dem Stadion wurden wahrscheinlich von Selbstmordattentätern ausgelöst, hieß es. Auf Twitter gab es nun auch Bewegtbilder: Menschen, die vor Restaurants und Cafés lagen, viel Blut, Sanitäter, Polizisten, Krankenwagen. Es war auch von einer Geiselnahme während eines Konzerts die Rede. “Mit jeder Spielminute steigt die Zahl der Toten”, schrieb ich damals in einem Text, der am nächsten Morgen veröffentlicht wurde. “Aber während Paris brennt, wird ein Fußballspiel zu Ende gespielt.” 

Einige Fans wollten noch während des Spiels das Stadion verlassen. In einer der eindrücklichsten Szenen erzählt ein deutscher Fan in der Sky-Dokumentation, dass ihm auf dem Weg nach draußen andere Fans entgegenkamen, die zurück ins Stadion drängten. Weil sie in der dunklen Einöde rund um das Stadion weitere Attentäter vermuteten. Das wiederholte sich wenige Minuten nach dem Schlusspfiff. Hunderte, vielleicht Tausende Menschen rannten panisch auf den Rasen. Es hatte Gerüchte gegeben, dass ein Attentäter in den Stadiongängen lauerte. Da war er, der Terror: Wenn niemand weiß, wer sich hinter der nächsten Ecke verbirgt. 

Auch mir kamen in den Katakomben rund um den Pressebereich des Stadions plötzlich Kollegen entgegengerannt. Irgendjemand hätte von irgendjemandem gehört, hier seien Terroristen unterwegs. Nach ein paar Minuten war klar, dass das nicht stimmte. Aber aus den Köpfen ging das nicht mehr. Dort blieb der Gedanke, dass alles möglich und nichts sicher ist. Auch am Centre Georges-Pompidou und in der Nähe des Louvre sollten noch Attentäter durch die Straßen ziehen, was sich später als Fehlinformationen herausstellte.  

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