Berliner Senat prüft Zukunft der Waldbühne – Vertrag mit Eventim endet 2026 | ABC-Z

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Senat prüft Zukunft der Waldbühne – Vertrag mit Eventim endet 2026
Mi 15.10.25 | 06:16 Uhr | Von
Seit 2009 ist die Waldbühne an den umstrittenen Live-Entertainment-Konzern Eventim verpachtet. Der Vertrag wurde immer wieder ohne Ausschreibung verlängert – zumindest bis jetzt. Von Nathalie Daiber und Tina Friedrich
Die Berliner Philharmoniker spielen jedes Jahr in der Waldbühne. Aber auch Seeed, Robbie Williams, Roland Kaiser, die Rolling Stones und selbst Martin Luther King traten schon in der größten Freilichtbühne Berlins auf.
Die Bühne im Stil eines antiken Amphitheaters gehört dem Land. Betrieben wird sie aber seit 2009 von dem Live-Entertainment-Riesen Eventim. Das könnte sich Ende 2026 ändern. Dann läuft der Pachtvertrag zwischen dem Land und Eventim aus – und die Musikbranche in Berlin hofft nach rbb-Recherchen ebenso wie einige Landespolitiker auf ein politisches Statement: gegen den Großkonzern, für eine regionale Lösung, vielleicht sogar für günstigere Ticketpreise.
Dafür müsste die zuständige Senatsverwaltung für Inneres und Sport den Pacht- und Betreibervertrag für die Waldbühne ausschreiben und entsprechend detaillierte Vertragsbedingungen bestimmen.
Haushaltsrecht könnte Ausschreibung erzwingen
Eventim führt in der Freiluftbühne selbst Veranstaltungen durch, vermietet aber auch an andere und verdient damit Geld. Bislang hieß es seitens des Senats immer, Pachtverträge müssten nicht ausgeschrieben werden. Begründet wird dies durch ein Urteil des Kammergerichts im Jahr 2015, als der Konzertveranstalters Deag gegen die Vergabe geklagt hatte. Seitdem wurde der Vertrag mit Eventim immer wieder verlängert.
Diese Praxis könnte nach Ansicht von Klaus-Martin Groth gegen das Haushaltsrecht verstoßen. Groth ist Jurist und Experte für Verwaltungsrecht. Er ist der Überzeugung, dass der Pachtvertrag ausgeschrieben werden muss. “Nach meiner Meinung hat Berlin da keine freie Wahl, weil es sich um einen erheblichen Betrag handelt”, sagt er im Interview mit rbb24 Recherche.
Das Haushaltrecht regele eindeutig, dass das Land in seiner Geschäftstätigkeit stets die wirtschaftlich beste Lösung finden müsse. Das gelte nach seiner Einschätzung auch für Pachtverträge. “Da muss ich schon im Wege eines Wettbewerbs oder jedenfalls einer Markterkundung feststellen, wer zahlt am meisten für das, was ich möchte”, sagt Groth.
Kritik soll in Prüfung berücksichtigt werden
Auf Anfrage von rbb24 Recherche heißt es seitens der für die Waldbühne zuständigen Senatsverwaltung für Sport: “Für die Zeit nach Beendigung des zum 31.12.2026 auslaufenden Pachtvertrages prüft der Senat von Berlin die in Betracht kommenden Vertrags- und Betriebsoptionen. Die Prüfung orientiert sich maßgeblich an wirtschaftlichen und stadtpolitischen Erwägungen.” Doch diese Prüfung dauert bereits länger als ein Jahr, wie aus mehreren Antworten der Senatsverwaltung auf parlamentarische Anfragen der Grünen hervorgeht.
Eventim ist seit Jahren umstritten. Kritiker werfen dem Unternehmen vor, für überteuerte Ticketpreise verantwortlich zu sein und seine Machtposition als Veranstalter, Ticketing-Unternehmen und Betreiber diverser Veranstaltungsorte stetig auszubauen. Konzertagent und Publizist Berthold Seliger schrieb 2019 über die Macht von Live-Entertainment-Konzernen ein Buch. “Das Problem ist, dass nicht nur ein horizontales Monopol entstanden ist, sondern auch ein vertikales Monopol, bei dem mehrere Bereiche in einem Geschäft von einem Monopolisten zusammengefasst werden”, beschreibt er die Methode Eventim im Gespräch mit rbb24 Recherche.
“Die machen mit den Superstars Superprofite”
Den Vorwurf, eine marktbeherrschende Stellung zu haben, weist Eventim zurück. “Die Anzahl der in Deutschland aktiven Ticketing-Anbieter steigt stetig”, schreibt ein Unternehmenssprecher auf Anfrage von rbb24 Recherche. Regelmäßig werde das Unternehmen dahingehend “ohne Beanstandung” überprüft. “Es besteht weder im Gesamtmarkt noch in den Teilmärkten eine marktbeherrschende Stellung.”
Seliger kritisiert, dass große Aktiengesellschaften wie Eventim oder ihre amerikanische Konkurrentin Live Nation Musik nur als Ware begriffen. “Die machen mit den Superstars Superprofite und die kümmern sich gar nicht mehr um Künstleraufbau. Die kümmern sich nicht um neue Bands, nicht um junge KünstlerInnen.” Das gefährde die künstlerische Vielfalt in einer Stadt wie Berlin.
Ein Argument, mit dem sich auch die Senatsverwaltung zu beschäftigen scheint. Dem rbb teilt sie mit, dass sie “die von Verbraucherseite und aus der Konzert- und Veranstaltungsbranche geäußerte Kritik über Ticketpreise, Art der Preisgestaltung und die im Zusammenhang stehenden Gerichtsentscheidungen sehr genau” verfolgen und “bei laufenden beziehungsweise neu abzuschließenden Verträgen” berücksichtigen wolle.
Mustermietvertag schreibt anteiligen Ticketverkauf über Eventim vor
Julian Schwarze, Sprecher für Clubkultur bei den Berliner Grünen, spricht im Interview über die Kritik an den Geschäftspraktiken von Eventim, die ihn aus der Musikbranche erreicht habe. “Eventim ist immer wieder in der Kritik, ihre Marktmacht gegenüber Konzertveranstaltern aber auch Bands und Kulturschaffenden auszuüben und sie mit schwierigen Konditionen nahezu zu erpressen. Und deswegen sagen wir, das sollte nicht mit öffentlichen Liegenschaften passieren.” Eventim schreibt dazu: “Von diesen Vorwürfen ist uns nichts bekannt. Sie sind unzutreffend.”
rbb24 Recherche liegt ein Mustervertrag vor, den Eventim mit Konzertveranstaltern abschließen soll, die die Waldbühne mieten wollen. Darin finden sich klare Vorgaben: Die Hälfte aller Tickets muss über die Ticketing-Plattform von Eventim verkauft werden. Pro verkauftem Ticket muss der Veranstalter zusätzlich eine Facility Fee von zwei Euro an Eventim bezahlen. Und der Großkonzern wird am Umsatz des Konzerts beteiligt.
Eventim teilt dazu mit: “Wir kommentieren keine kommerziellen Vertragsdetails. Grundsätzlich gilt: Jeder Vertrag wird individuell verhandelt und geschlossen. Die von Ihnen zitierten Angaben sind marktüblich.” Der Mustervertrag verbietet auch, dass beispielsweise der Künstler selbst Tickets anbietet, bevor der Vertrieb über Eventim beginnt, sogenannte Pre-Sales. Solche Regelungen sollen “vor allem bei stark nachgefragten Events sicherstellen, dass möglichst alle Fans eine faire Chance auf den Erwerb eines Tickets erhalten”, schreibt der Eventim-Sprecher dazu.
Mehr als eine Million Euro Einnahmen für das Land
Im Haushaltsplan des Landes Berlin für die Jahre 2024/2025 sind 775.000 Euro jährlich als Pacht für die Waldbühne veranschlagt. Im Plan für die darauffolgenden zwei Jahre findet sich rückwirkend die tatsächlich eingenommene Summe: Für das Jahr 2024 liegt sie bei rund 1,23 Millionen Euro. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport kommentiert das nicht. Nach Angaben von Eventim ist im Vertrag eine “erfolgsabhängige Komponente” verabredet. Deshalb habe die tatsächlich überwiesene Summe in den Jahren 2022 bis 2024 jeweils deutlich über der Festpacht gelegen. Die Waldbühnen-Konzerte sind ein Erfolgsprojekt.
Für den sportpolitischen Sprecher der SPD, Dennis Buchner, Grund genug, den Betrieb in Landeshand zu nehmen. “Ich glaube, dass wir Strukturen, mit denen wir Rendite erzielen können und Geld verdienen, das dem Haushalt und damit den Steuerzahlenden zugutekommt, selbst betreiben können und nicht an kommerzielle Unternehmen vergeben müssen.” Aus seiner Sicht wäre es sinnvoll, die landeseigene Olympiastadion GmbH, die das benachbarte Olympiastadion betreibt und dort neben Sport- auch Konzertveranstaltungen durchführt, mit der Aufgabe zu betrauen.
Berlin könnte die Waldbühne selbst betreiben
Auch Julian Schwarze und Daniel Wesener von den Grünen unterstützen die Idee des Landes als Betreiber der Waldbühne. Dann könnten auch Sozial- oder Studententickets eingeführt werden. Die Ärzte und Die Toten Hosen haben auf ihren Tourneen bereits günstigere Ticketkontingente angeboten.
Vergaberechtlich sei das kein Problem, sagt Verwaltungsrechtsexperte Groth. Im Haushaltsrecht sei zwar geregelt, dass Aufgaben, die private Unternehmen besser erledigen können als das Land, diese Aufgaben auch an Private vergeben werden sollen. “Aber diese Entscheidung ist eine rein politische Entscheidung. Da ist das Land im Prinzip frei und kann sagen, das machen wir in Zukunft selber.”
Sendung: rbb24 Inforadio, 15.10.2025, 9 Uhr
















